Bereits äusserlich lässt sich feststellen: Etwas an diesen Tieren ist anders. Ihr Fell ist glatter und kürzer und ihr Hals weist mehr Hautfalten auf. Verantwortlich dafür ist das sogenannte Slick-Gen. Das von der karibischen Tropenrasse Senepol stammende Gen soll den Tieren eine bessere Hitzetoleranz verleihen.

Über 40 Embryonen ins Ausland verkauft

Den Weg in die Schweiz fand das Gen während Corona durch den Agronomen und ehemaligen «Schweizer Bauer»-Chefredaktor Rudolf Haudenschild. In den USA machte er Anpaarungen mit dem dominant vererbbaren Slick-Gen; als Erster in Europa importierte er Embryonen. Diese pflanzte er 2021 den Kühen seines Kollegen Hans Schär, Landwirt aus dem bernischen Mülchi, ein.

Insgesamt vier Kuhkälber sowie das von Swissgenetics gekaufte genetisch hornlose Stierkalb Ja-Bob Thermo-Red entstanden daraus. Zur Weiterzüchtung und Vermarktung des Slick-Gens gründeten Haudenschild und Schär das Züchtersyndikat «KeepCool». Über 40 Embryonen haben sie verkauft, davon die Hälfte nach Frankreich und Deutschland.

[IMG 2]

Die Tücken der Sprinkleranlagen

Am wohlsten fühlen sich Kühe bei Temperaturen zwischen –5 °C und +15 ° C. Im Sommer werden diese Werte oftmals überschritten; steigende Temperaturen belasten den Stoffwechsel der Kuh. «Bisher hat man mit baulichen Massnahmen wie offenen Stallseiten, schattenspendenden Vordächern oder der Installation von Lüftern versucht, die Tiere an heissen Sommertagen zu kühlen und so vor einer Überhitzung zu schützen», erklärt Rudolf Haudenschild.

«Das Slick-Gen ist die genetische Antwort der Natur auf den Hitzestress»

Rudolf Haudenschild, Agronom und ehemaliger Chefredaktor des «Schweizer Bauern».

Auch Sprinkleranlagen kommen immer mehr zum Einsatz. Diese können laut dem Agronomen aber tückisch werden, wenn die Temperatur zwar gesenkt wird, aber gleichzeitig die relative Luftfeuchtigkeit gegen 95 Prozent steigt. «Die Tiere können so kaum mehr schwitzen», erklärt Haudenschild. Für die Kühe sei es dann wie in einer Sauna, wenn Wasser über die heissen Steine gegossen werde.

«Wärmestress entsteht schon ab 24°C»

Neben dem sehr kurzhaarigen Fell im Sommer weisen die Slick-Tiere mehr und leistungsfähigere Schweissdrüsen auf. Ihren öligen Schweiss verdunsten die Rinder fortlaufend direkt auf der Haut statt über dem haarigen Fell, wodurch sie ihren Körper im Sommer effizienter kühlen können. Die Körpertemperatur bei einem Kalb könne dank des Gens gegen 1 °C gesenkt werden auf konstant unter ca. 39 °C, so Haudenschild.

[IMG 4]

Betrachte man das aktuelle Jahr, sei der Sommer zwar mehr von Regen und kühlen Tagen als von starken Hitzeperioden gekennzeichnet gewesen. Wärmetage mit Temperaturen über 24 °C werde es in den kommenden Jahren jedoch immer öfter geben. «Wärmestress mit tieferen Leistungen und verminderter Fruchtbarkeit entsteht schon ab 24 °C», hält der Agronom fest.

Bessere Fruchtbarkeit dank dünnerem Blut

«Aktuelle Forschungsergebnisse aus Puerto Rico zeigen zudem, dass Slick-Kühe dünneres Blut mit einer höheren Sauerstoff- und Nährstoffkonzentration haben. Dadurch werden die Organe besser versorgt, was in Verbindung mit einer besseren Fruchtbarkeit und Produktionsleistung der Tiere steht», erklärt er weiter. Fruchtbarkeitsstörungen gehören beim Milchvieh mit zu den häufigsten Abgangsursachen. «Kühe landen häufig bereits vor dem Erreichen ihrer Höchstleistung beim Schlachter», weiss der Agronom.

Die bessere Fruchtbarkeit helfe somit, die Nutzungsdauer und damit die Effizienz der Milchproduktion wie auch die Rentabilität für die Produzenten zu steigern. «In Anbetracht der stagnierenden Milchpreise und der Kritik an tierischen Produkten gilt es, die Effizienz und die Nachhaltigkeit in der Milchproduktion zu steigern», so Haudenschild.

Bescheidene Nachfrage in der Schweiz

Die Nachfrage nach dem hitzetoleranten Gen sei in der Schweiz aktuell noch spärlich. Insgesamt 250 Samendosen wurden laut Haudenschild in der ersten Hälfte dieses Jahres verkauft. Rund die Hälfte davon als gesexter Samen.

«Die Landwirte sind sich der negativen Auswirkungen von Stress und ganz besonders von Hitzestress auf die Leistung, Gesundheit, Tierarztkosten und das Wohlbefinden der Tiere noch kaum bewusst.»

«Es muss noch eine andere Möglichkeit geben»

Einer, der bereits heute auf das Gen setzt, ist Landwirt Mathias Gnägi aus dem bernischen Bellmund. Nachdem er im heissen Sommer 2023 eine Kuh aufgrund von Hitzestress verloren hatte, suchte der Landwirt nach Alternativen.

Er habe zwar einen Lüfter im Stall installiert, doch ab einer gewissen Temperatur bringe man die Wärme auch damit einfach nicht mehr aus dem Stall, so Gnägi. «Es muss noch eine andere Möglichkeit als bauliche Massnahmen geben, um die Tiere vor der Hitze zu schützen, dachte ich mir», sagt der Landwirt.

«Das Slick-Gen ist wie eine Hagelversicherung, nur kostet es nicht zusätzlich» 

Vergleicht Rudolf Haudenschild das Gen.

Bei seiner Recherche im Internet sei er auf das Slick-Gen und Ruedi Haudenschild gestossen. So entschied sich der Berner, voll auf das hitzetolerante Gen zu setzen. Das Rind mit der besten Abstammung spülte er mit dem Stier Thermo, insgesamt 26 Embryonen produzierte das Tier. «Schon die gute Fruchtbarkeit erstaunte mich», so der Landwirt. Auch die beiden Slick-Stiere Chip Slick und Aviator von Selectstar kamen zum Einsatz.

Vitalere und lebhaftere Kälber

«Im Vergleich zu den anderen Kälbern scheinen mir die Slick-Tiere vitaler und neugieriger zu sein», sagt Landwirt Mathias Gnägi. Bereits am ersten Tag nach der Geburt kommen die Kälber laut dem Landwirt neugierig ans Gitter des Iglu-Auslaufs, während die anderen Kälber lieber noch im Iglu bleiben.

Gleiches gelte beim Tränken der Tiere. «Während die anderen Kälber oftmals erst nach einigen Stunden Kolostrum aufnehmen, saufen diese schon kurz nach der Geburt», so der Landwirt. «Mein Sohn sagte enttäuscht zu mir, dass das Tränken nun langweilig werde, wenn die Kälber von alleine an den Nuggi gehen und saufen», erzählt er weiter und schmunzelt.

Angenehmer Geruch nach Handcreme

Auch mit der Bise, die bei Gnägis oft ums Haus zieht, scheinen die Kälber trotz ihres kürzeren Fells gut zurechtzukommen. Neben der besseren Hitzeverträglichkeit sollen die Kälber auch weniger unter den Fliegen leiden, so der Landwirt weiter. Dies könnte laut Rudolf Haudenschild am leicht öligen Fell liegen, das dem Kalb einen anderen Geruch verleiht. «Streicht man über die Kälber, riechen sie nach Handcreme», beschreibt er den angenehmen Geruch.

Mathias Gnägi wird auch zukünftig auf das Slick-Gen setzen. «Im Gegensatz zu baulichen Massnahmen ist das Gen kostengünstig, natürlich und es scheint, als würde das Gen weitere positive Eigenschaften mit sich bringen», so der Landwirt. Er ist gespannt, wie sich die Tiere entwickeln und letztlich als Milchkühe schlagen werden.

US-Züchter «Siemers Holsteins» setzen auf Gen

Rudolf Haudenschild ist überzeugt, dass die Nachfrage nach dem Slick-Gen steigt, sobald sich die Landwirte der negativen Auswirkungen des Hitzestresses auf die Produktion und die Reproduktion bewusst werden. Und sobald ihnen klar wird, dass tiefere Milchleistungen und Trächtigkeitsraten im Sommer nicht zwingend dazugehören. «Das Slick-Gen ist wie eine Hagelversicherung, nur kostet es nicht zusätzlich», vergleicht der Agronom.

[IMG 3]

Das Gen sei momentan weltweit ein brandaktuelles Thema. Führende Genetikentwickler seien sich einig, dass Hochleistungskühe das Gen benötigten, um künftig mit steigenden Leistungen und Hitzewellen bestehen zu können. Zudem gehe es darum, so den CO2- Fussabdruck pro Liter Milch mit Blick auf die erklärten Ziele von «Net Zero» im Jahr 2050 zu senken. Anerkannte Züchter wie «Siemers Holsteins» in den USA setzen bereits heute von den meisten noch unbemerkt auf das Slick-Gen in ihren besten Kuhfamilien.

Nur für Hochleistungskühe?

Ist das Gen nun also hauptsächlich für Hochleistungsbetriebe interessant? «Auf keinen Fall», betont der Agronom. Genauso oder vielleicht noch viel mehr lohne sich das Gen auch für extensive Weidebetriebe und Fleischrinderrassen. «Denn anders als in anderen Ländern liegt der Fokus in der Schweizer Rindviehfütterung darauf, eine möglichst hohe Leistung aus dem Grundfutter zu erzielen», sagt der Agronom.

«Die Slick-Tiere scheinen mir vitaler und neugieriger zu sein»

Landwirt Mathias Gnägi aus dem bernischen Bellmund setzt bereits heute auf das Gen.

So produzieren die Rinder durch den höheren Rohfaseranteil im Raufutter bei der Verstoffwechslung (Metabolismus) noch mehr Abwärme, die dank des Slick-Gens besser an die Luft (Verdunstungskälte) abgeleitet und die Körpertemperatur in den vier Mägen und im Darm sicher reguliert werden kann, um einem durchlässigen Darm («leaky gut») vorzubeugen.

Neue Schweizer Kuh setzt kurzhaarige Stiere ein

In Zukunft werde der Bedeutung des Schweizer Graslandes auch wirtschaftlich und politisch noch mehr Beachtung geschenkt. So habe beispielsweise die Interessengemeinschaft Neue Schweizer Kuh bereits Embryonen mit dem Schweizer Weidestier Gibbs PP vom Züchtersyndikat KeepCool (Schär und Haudenschild) eingepflanzt und setze aus privater Initiative kurzhaarige Stiere ein, wie z. B. Campus P, mit einem Vater aus Neuseeland.

«Das Slick-Gen ist die genetische Antwort der Natur auf den Hitzestress», so der überzeugte Experte. Dank des Gens müsse nicht Jahrzehnte auf eher bescheidene Resultate von Zuchtanstrengungen gegen Hitzestress gewartet werden. Länder wie Australien, Neuseeland und Italien hätten bereits Zuchtwerte für Hitzetoleranz. Neben Stier Thermo findet sich ab nächsten Herbst der erste in Europa gezüchtete reinerbige Slick-Stier KeepCool All im Samenkatalog von Swissgenetics. Wie auch beim Hornlos-Gen gehe es beim Slick-Gen darum, das Erbgut in die Herde zu bringen.