Die Geschichte des Bibers in der Schweiz ist derjenigen des Wolfs ähnlich: Beide wurden einst hierzulande ausgerottet und stehen heute unter gesetzlichem Schutz – und für beide Tierarten soll ebendieser Schutz mit der revidierten Jagdverordnung (JSV) gelockert werden, die sich aktuell in der Vernehmlassung befindet. Dies zur Verhütung erheblicher Schäden oder falls eine Gefährdung für Menschen besteht, was etwa durch das Einstürzen untergrabener Strassen gegeben sein könne. Im erläuternden Bericht zur JSV wird aber auch darauf hingewiesen, dass Biber in seltenen Fällen wiederholt und unprovoziert Badende beissen – «vorgängig zu ergreifende und dabei auch wirksame Verhütungsmassnahmen sind keine bekannt oder deshalb auch nicht erforderlich». Bissige Biber sollen erlegt werden können.
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Graben ist «erheblicher Schaden»
Für die Landwirtschaft interessanter ist der Plan, wie künftig mit anderen Schadensfällen umzugehen sei. Als erheblicher Schaden – der unter Umständen zum Abschuss eines Bibers führen kann – gilt gemäss erläuterndem Bericht auch der Aufstau von Gewässern, falls dadurch Drainagesysteme im Bereich von Fruchtfolgeflächen überflutet werden könnten, oder das Untergraben von landwirtschaftlichen Erschliessungswegen. Bei Letzterem gelte bereits die Grabtätigkeit als erheblicher Schaden, sofern dadurch Einsturzgefahr besteht. Bei den Entschädigungen für Biberschäden sieht die JSV – was landwirtschaftliche Kulturen und den Wald betrifft – keine Änderungen vor. Neue Entschädigungen sind aber unter anderem für Schäden an Bauten und Anlagen in öffentlichem Interesse sowie an privater Verkehrsinfrastruktur geplant.
Ausserdem soll sich der Bund künftig mit maximal 30 Prozent an kantonalen Massnahmen zur Verhütung von Infrastrukturschäden oder der Abwehr einer Gefährdung durch Biber beteiligen. Dazu zählen etwa der Einbau von Biberkunstbauten oder das Vergittern von Bachdurchlässen. Die Förderbeiträge des Bundes beschränken sich allerdings auf Massnahmen zum Schutz von Bauten und Anlagen von öffentlichem Interesse, von für die Hochwassersicherheit wichtigen Uferböschungen und landwirtschaftlichen Erschliessungs-, nicht aber Bewirtschaftungswegen. Bisher beteiligt sich der Bund nicht an Präventionsmassnahmen gegen Biberschäden, und es gilt voraussichtlich auch weiterhin: präventiv gegen Biberschäden vorzugehen, liegt in der Eigenverantwortung der Grundeigentümer und Bewirtschafter. Die Entscheidung, ob, wann und welche Massnahmen zur Schadensverhütung finanziert werden, treffen die Kantone (siehe Kasten).[IMG 3]
Möglichkeiten für die Prävention
Das Konzept Biber Schweiz unterscheidet technische Massnahmen zur Prävention und solche, die beim Lebensraum des Bibers ansetzen. Beides solle Massnahmen am Biberbestand (Abschüsse) vorangehen. Im Folgenden einige Beispiele.
Frassschäden: Kulturen einzäunen oder Obstbäume mit Drahtgeflechten zu schützen, wären technische Massnahmen. Als Alternativen nennt das Konzept eine standortgerechte, natürliche Ufervegetation, um eine andere Nahrungsquelle anzubieten oder einen breiten, extensiven Uferstreifen auszuscheiden.
Vernässungen: Höhe des Biberdamms mit Elektrozaun regulieren, ihn verschieben oder das Drainagesystem anpassen. Alternativ LN in eine Feuchtwiese umwandeln, Grünland statt Ackerfläche, Gewässerraum ausscheiden und Revitalisierung.
Einbrüche von Kulturland: Biberbau auffüllen oder Kunstbau aufstellen. Alternativ Einbrüche bestehen lassen und Ufer mit tiefwurzelndem Gehölz stabilisieren.
Bei erheblichen Schäden an landwirtschaftlichen Kulturen wäre ein punktueller Einfang und der Abschuss einzelner Biber eines Reviers mit der geltenden Verordnung bereits möglich, dafür brauchen die Kantone aber die Zustimmung des Bundesamts für Umwelt. Eingriffe an Biberdämmen brauchen eine kantonale Bewilligung. Welche Präventionsmassnahmen jeweils als zumutbar gelten, müsse im Einzelfall die kantonale Fachstelle prüfen. «Grundsätzlich liegt es in der Eigenverantwortung der Grundeigentümer und Bewirtschafter, Präventionsmassnahmen gegen Biberschäden zu ergreifen», heisst es im Konzept Biber Schweiz.
Vorher präventiv
Das Ergreifen zumutbarer Präventionsmassnahmen setzt die neue JSV allerdings voraus, damit die Kantone dereinst einen Biber zum Abschuss freigeben können. Um erhebliche Schäden oder die Gefährdung von Menschen zu verhindern, nennt die Vorlage im Zusammenhang mit der Landwirtschaft folgende zumutbaren Massnahmen:
Begrenzung der Stauaktivität: Durch Massnahmen am Biberdamm, z. B. Senkung der Kronenhöhe des Damms oder aber auch dessen vollständige Entfernung. Solche Massnahmen müssen vom Kanton bewilligt werden.
Elektro- oder Drahtgitterzäune: Zum Schutz landwirtschaftlicher Kulturen.
Drahtmanschetten: Zum Schutz von Einzelbäumen.
Dass erheblichen Schaden an landwirtschaftlichen Kulturen oder am Wald verursachende Biber abgeschossen werden dürfen, ist nicht neu. Aus Sicht der Umweltverbände ist es aber «unverständlich, befremdend und unnötig», die Nager mit einem eigenen Abschussartikel ins Visier zu nehmen. Pro Natura, die Gruppe Wolf Schweiz, WWF und Birdlife weisen darauf hin, dass sich das Schweizer Stimmvolk mit der Ablehnung des Jagdgesetzes und das Parlament vor zwei Jahren für die vollumfängliche Beibehaltung des Biberschutzes entschieden hätten. «Dem widerspricht die Absicht des Bundes diametral.» Der Schweizer Bauernverband ist anderer Meinung und warnt, man sei beim Biber gerade an einem Kipppunkt (siehe unten). Noch bis zum 5. Juli läuft die Vernehmlassung zur revidierten JSV.
Kantone regeln Entschädigungen
Das geltende Recht sieht Entschädigungen für Biberschäden in der Landwirtschaft unter folgenden Bedingungen vor:
- Schäden eindeutig vom Biber verursacht.
- Keine Bagatellschäden (Schwelle legt der Kanton fest).
- Zumutbare Präventionsmassnahmen wurden ergriffen, wo sich Biberbestände dauerhaft etabliert haben.
Wie es im Konzept Biber Schweiz heisst, regeln die Kantone, welche Schäden an landwirtschaftlichen Kulturen und Wald entschädigt werden. Ebenso verhält es sich mit der allfälligen Finanzierung möglicher Folgekosten und Arbeitsaufwände sowie von Präventionsmassnahmen. Land- und forstwirtschaftliche Biberschäden entschädigen Bund und Kantone gemeinsam (jeweils hälftig). Hingegen gibt es gemäss heutiger Verordnung bisher keine Bundesbeiträge für Schäden an Infrastrukturanlagen oder für präventive Massnahmen.
Abschiessen oder mehr Platz lassen?
An der Wirksamkeit von Biberabschüssen hegen Fachleute Zweifel. So bezeichnet die Schweizer Biberfachstelle Abschüsse als keine nachhaltige Lösung für Konflikte. «Erfahrungen aus Bayern zeigen, dass die frei werdenden Reviere innert kurzer Zeit wieder besiedelt werden», so die Fachstelle. In den meisten Fällen sei nicht der Biber das Problem, sondern vielmehr das Gewässer, das zu wenig Raum bekomme. Ein genügend breiter Uferbereich solle präventiv wirken, zumal sich die Biberaktivität auf einen Gewässerabschnitt von 10 bis 20 Metern an beiden Ufern beschränke. Das Konzept Biber Schweiz stellt aber auch fest, dass im Mittelland etwa 40 Prozent der Gewässer beeinträchtigt bzw. künstlich seien. Dort müssten also Renaturierungen dafür sorgen, dass genügend Platz bleibt für ein konfliktfreies Zusammenleben mit Bibern. Laut der nationalen Biberbestandserhebung 2022 gibt es hierzulande immer mehr Biber – was mit einer Zunahme der Probleme hauptsächlich in landwirtschaftlichen Gebieten einhergehe. In rund einem Drittel der 1382 Biberreviere komme es zu Konflikten. «Um sie langfristig zu lösen, sind neue Instrumente erforderlich», heisst es bei der Biberfachstelle.
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Kürzungen der Direktzahlungen
Damit gemeint waren gemäss Bericht zur Biberbestandserhebung aber nicht Abschüsse. Denn das Problem für Landwirtschaftsbetriebe bestehe darin, dass sie unter Bibereinfluss stehende Flächen nicht mehr nach den gängigen Methoden bewirtschaften könnten und dadurch Kürzungen der Direktzahlungen erfolgten (Kulturbeiträge). Langfristig könne landwirtschaftliche Nutzfläche verloren gehen, was mit einer Reduktion der Flächenbeiträge, betrieblichen Konsequenzen und Konflikten mit dem ÖLN ver-bunden sei. «In der Summe sind dies für die Bewirtschaftenden kaum akzeptierbare Konsequenzen», so die Autoren. Es brauche daher im Offenland – analog zum Wald – in Zukunft Instrumente zur Abgeltung von Flächen, die wegen Bibern nicht mehr bewirtschaftet werden können.
Verluste sind keine Lösung
Abschüsse von schadenstiftenden Einzelbibern seien eine wirksame Methode, hält Sandra Helfenstein vom Schweizer Bauernverband (SBV) da-gegen. «Denn den Gewässern noch mehr Platz zu geben, kostet auch Kulturland.» Der Schutz und die Erhaltung von Landwirtschaftsflächen würden in den Betrachtungen der Umweltverbände jeweils untergehen, gibt sie zu bedenken und erinnert: «Landwirte bewirtschaften ihre Flächen nicht wegen der Direktzahlungen, sondern dann, wenn sie damit ein Einkommen mit dem Verkauf von Produkten erzielen können.» Nach Meinung des SBV steht man beim Biber gerade vor einem Kipppunkt. Es würden Jahre bis Jahrzehnte vergehen, in denen sich eine geschützte Art einigermassen problemlos entwickeln und ausbreiten könne, erklärt Helfenstein – bis die geeigneten Lebensräume besetzt sind. «Anschliessend folgt die Einwanderung in weniger oder nicht geeignete Lebensräume und damit beginnen die Probleme.» Wie oft seien diese regional sehr unterschiedlich und die Entwicklung der Problematik gehe somit schleichend voran. Für ein konfliktfreies Nebeneinander von Biber und Landwirtschaft braucht es nach Ansicht des SBV klare Regeln und das gegenseitige Verständnis, dass übermässige Schäden und schleichende Kulturlandverluste für die Bauernbetriebe nicht die Lösung sein können. «Die Biber sind übrigens auch eine Herausforderung aus Naturschutzsicht», ergänzt Helfenstein und verweist auf die grossflächige Zerstörung von Uferbäumen. «Auch schöne, alte Exemplare mit dicken Stämmen sind nicht vor ihren scharfen Zähnen sicher.»
