Am Dienstag vergangener Woche kamen auf der Alp Nüschlete ob Boltigen zwanzig Schafe zu Tode. Die Tiere seien durch einen Schwarm von Gänsegeiern aufgeschreckt und in den Abgrund getrieben wurden, erzählen Augenzeugen gegenüber der BauernZeitung.
Eine Handyaufnahme zeigt, wie die Vögel über den verendeten Schafen kreisen und sich um die Kadaver scheren. Den Vorfall beschreiben die Zeugen als «traumatisierend».
«Die Geier gingen sofort auf die Schafe los, pickten und zerrten an den Gliedmassen.»
Augenzeugen berichten vom Vorfall auf der Alp Nüschlete.
Steinschlag statt Geier?
[IMG 2] Die Wildhut gehe indessen davon aus, dass die Tiere einem Steinschlag zum Opfer fielen, erzählt Matthias Stucki, Besitzer der getöteten Schafe. Niklaus Blatter, Jagdinspektor des Kantons Bern, erklärt auf Nachfrage der BauernZeitung, dass die Verletzungen der Schafe durchaus mit einem Steinschlag in Verbindung gebracht werden könnten. Er betont allerdings, dass die abschliessende Beurteilung der Todesursache nicht durch die Wildhut vorgenommen werde.
Weiter erläutert er, dass ein Absturz der Schafe nach einem Schreckereignis zwar möglich sei, ein solches Verhalten der Gänsegeier aber gemäss den vorliegenden Informationen der Spezialisten und den eigenen Erfahrungen nicht belegt werden könne.
Die Vereinigung zum Schutz von Wild- und Nutztieren vor Grossraubtieren im Kanton Bern spricht in einer Medienmitteilung von einem «fatalen Fehlentscheid». Sie fordert eine genauere Analyse durch das Jagdinspektorat und will eine eigene DNA-Untersuchung einleiten. Wie Stucki erzählt, konnte eine solche am Tag des Vorfalls nicht durchgeführt werden: «Wir wollten einen Tierarzt aufbieten, um die Situation zu klären. Doch die Wildhut war dagegen.»
Kein Tierarzt vor Ort
Niklaus Blatter wehrt sich gegen diese Vorwürfe. Sämtliche Tiere seien in Gegenwart der Älpler untersucht und keine Bissspuren festgestellt worden. Demnach habe es keine Veranlassung gegeben, DNA-Proben zu nehmen. Ein telefonisch beigezogener Veterinär habe aufgrund der Situation darauf verzichtet, die Schafe selber zu untersuchen. Auch den Vorwurf, die Wildhut sei nicht auf die Aussagen der Älpler(innen) eingegangen, dementiert Blatter. So hätten die Wildhüter am nächsten Tag die Situation nochmals vor Ort beurteilt. «Neue Erkenntnisse gab es dabei allerdings keine», meint der Jagdinspektor auf Nachfrage.
«Es tut weh, zu merken, dass man nicht ernst genommen wird.»
Matthias Stucki, Besitzer der getöteten Schafe, ist enttäuscht.
Er selber hat aus dem Vorfall bereits Konsequenzen gezogen. So hat er die restlichen Schafe ins Tal gebracht – nach nur zwei Wochen Alpzeit. Für ihn ist klar, dass er seine Tiere im nächsten Jahr nicht mehr auf «Nüschlete» sömmern wird. Dann werde er eine Alp suchen, wo die Schafe 24 Stunden behirtet und zusätzlich von einem Herdenschutzhund bewacht werden.
Das Problem aufzeigen
[IMG 3] Für die verendeten Tiere wird Matthias Stucki nicht entschädigt. Viel grösser als die finanziellen Einbussen sei für ihn jedoch der emotionale Schaden: «Die Schafe lagen mir sehr am Herzen. Sie kannten mich, einige davon habe ich selber aufgezogen.»
Umso wichtiger findet er, dass über die Problematik der Gänsegeier aufgeklärt wird. «Es geht mir in dieser Diskussion darum, dass man das Thema und die betroffenen Älpler ernst nimmt und einsieht, dass diese Vögel früher oder später zu einem Problem werden.»
