Würde man sich nur auf die Präsentation an den Landesausstellungen von 1889 in Genf und 1914 in Bern stützen, wäre die Geschichte in zwei Schritten verlaufen: Die arbeitenden Hunde wären von nicht ausstellungswürdigen «Bauernkötern» zu ausstellungswürdigen Nationalhunden geworden. Tatsächlich aber weisen die Auseinandersetzungen um die damals zahlreichen, vor allem auch in der Landwirtschaft verwendeten Zughunde auf komplexere gesellschaftliche Entwicklungen.
Bäuerinnen gegen Kynologen
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhundert gab es – grob gesagt – zwei Arten von Hunden: die, die arbeiteten, und die, die nicht arbeiteten. Dabei war aber keineswegs immer klar und eindeutig, was unter Arbeit verstanden wurde. Denn die Aufgaben (und das Schicksal) der Bauern-, Grämpler-, Jagd- und Herrenhunde wurden sehr unterschiedlich bewertet.
Auf der einen Seite standen diejenigen, für die die Hunde in existenzieller Weise Arbeitsaufgaben übernahmen: die Bauern und Bäuerinnen, die Milchhändlerinnen, die Metzger, die mobilen Kleinhändlerinnen und die Hausierer. Auf der anderen Seite finden wir die in der Kynologischen Gesellschaft zusammengeschlossenen Rassenhundezüchter, die sich als «obere Zehntausend» verstanden.
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Prof. und Mann der Arbeit
Hinzu kamen die Tierschutzvereine, die sich um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert aus dem aufkommenden Bürgertum rekrutierten. Für Erstere waren die Hunde notwendige Arbeitskräfte, für die Letzteren waren sie Statussymbole, die nicht zuletzt die wirtschaftlichen Möglichkeiten ihrer Besitzer(innen) zum Müssiggang repräsentierten.
In dieser Situation hatte nun Albert Heim, ein weltbekannter Geologe und passionierter Kynologe, seinen Auftritt und seine vermittelnde Wirkung, gelang es ihm doch, das Thema der arbeitenden Hunde mit dem Thema der schweizerischen Sennenhunde zu verbinden. Der an der ETH und der Universität Zürich lehrende Professor sah sich selbst als ein Mann der Arbeit und stellte sich auf den Standpunkt, nichts sei so widernatürlich wie arbeitslose Wesen.
Zughund «moralisch höher»
1913 schrieb Heim mit dem Tierarzt Adolf Scheidegger im Richterbericht der Langenthaler Zughundeprüfung, dass die Arbeit «das Tier wie den Menschen» ehre und der Zughund deshalb «moralisch höher» stehe als der reine Luxushund. «Das scheint uns der richtige Tierschutz zu sein. Ihm die Arbeit verbieten, für die er sich geeignet erweist, ist das Gegenteil von Tierschutz, ist ein Irrtum!»
Heim sah in der Arbeit ein aus der Domestikation folgendes gegenseitiges Vertragsverhältnis zwischen Menschen und Tieren. Der Mensch füttere die Tiere und die von der Nahrungssuche befreiten Tiere würden dadurch freigesetzt, um andere Tätigkeiten zu verrichten. Wenn man die Hunde ohne Beschäftigung halte, würde man sich an den Tieren vergehen, waren Heim und Scheidegger überzeugt.
Der Weg zur Zughunderasse
Auf seinen Exkursionen durch die Schweiz realisierte Heim, dass zur Arbeit verwendete Hunde auch ausserhalb der kynologischen Zuchtbemühungen als regionale Schläge oder als «Naturrassen» vorkamen. So etwa bei den Bernhardinern, bei den Dürrbächlern im Berner Oberland und im Schwarzenburgischen, bei den Blässen respektive den Treiberhunden im Appenzellischen, den Bauernhunden im Entlebuch und den sogenannten Metzgerhunden, für die er nun die Bezeichnung «Sennenhunde» vorschlug, die er wiederum als Appenzeller, Entlebucher, Berner und Grosse Schweizer Sennenhunde unterschied. Letztere versuchte Heim züchterisch zu einer eigentlichen Zughunderasse zu entwickeln.
Adolf Scheidegger betonte im Rückblick, es sei Heim gewesen, der zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Zucht der Sennenhunde «in die richtigen Bahnen geleitet und dank seines Einflusses die Sennenhunde in die besten Kreise eingeführt» und entscheidend zu deren neuerlichen Verbreitung beigetragen habe.
Propagandistisch geschickt
Heim propagierte die Verwendung der Zughunde und die Zucht der Sennenhunde in Zeitungsartikeln, hielt Vorträge und gründete zusammen mit Gleichgesinnten Vereine oder Klubs. Er war zudem federführend bei der Ausarbeitung von Zuchtrichtlinien und der Richter-Ausbildung für die Hundeausstellungen. Dabei verknüpfte er die Sache propagandistisch geschickt mit dem Anschwellen des nationalen Diskurses vor und nach dem Ersten Weltkrieg, in dessen Zusammenhang die Sennenhunde, die man kurz zuvor als «Bauernköter» abgetan hatte, nun zu eigentlichen Nationalhunden respektive «Nationalrassen» avancierten.
