Es ist ein Landwirtschaftsbetrieb der besonderen Art und kommende Woche wird der instandgesetzte Milchvieh- und Aufzuchtstall offiziell eröffnet. Und am Samstag, 20. September, ist die Öffentlichkeit von 10 Uhr bis 16 Uhr zu einem Tag der offenen Stalltür eingeladen. Abgeschlossen wird ein Bauprojekt in der Höhe von rund 8,5 Millionen Franken. Die Rede ist vom Gutsbetrieb Realta der Justizvollzugsanstalt Cazis GR. Der Betrieb umfasst 135 ha LN im Talboden und zusätzlich eine Alp für 138 Normalstösse (2000 ha).

Produktion lief weiter

Gebaut wurde in erster Linie für das Rindvieh (64 Milchkühe sowie Rindermast und Aufzucht). Der grosse Stall ist hufeisenförmig angeordnet und besteht seit 1967. Ein Teil wurde bereits 2018 saniert, der Kanton wollte graue Energie möglichst erhalten. Der Rest wurde komplett neu aufgebaut. So entschieden sich die Behörden in einem politischen und verwaltungsinternen Prozess. Milchvieh- und Aufzuchtstall befinden sich im Nord- und Westflügel. Liegeboxen und Fressbereich genügten heutigen Anforderungen an das Tierwohl nur noch bedingt, das 55-jährige Tragwerk und die Jauchegruben wiesen altersbedingte Mängel auf.

Während der Bauphase (Februar 2024 bis August 2025) wurde die Nutztierhaltung weitergeführt. Die Milchkühe wurden im Jungviehstall Süd platziert und in einem Provisorium in Stallnähe gemolken, Jung- und Aufzuchttiere waren auf der Weide oder der Alp Niemet.

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Melkstand statt Roboter

Die Landwirtschaft wird unter der Leitung von Hanspeter Geisser professionell betrieben. Aber sie ist – die Baukosten lassen es erahnen – vor allem auch Mittel zum Zweck. Denn in der JVA stehen die Resozialisierung und spätere Integration der Insassen, eingewiesene Personen genannt, im Mittelpunkt. Dies war auch einer der Auslöser für den Systemwechsel in der Milchproduktion. 

Die Realta-Braunviehherde war lange ein Begriff für Hochleistungstiere. Heute setzt man auf Rotationskreuzungen mit Kiwis, Rotbunten oder Norweger Rotvieh, der Stallschnitt liege dank hervorragender Raufuttergrundlage aber noch immer um die 7600 Kilo, so Geisser. «Vorher lief während 14 Jahren ein Melkroboter», ergänzt er. Man machte bewusst einen Schritt zurück, neu eingebaut wurde ein 2×12 Swing-Over-Melkstand. «Low Technics» heisst das Motto, also der Verzicht auf viel Automatisierung und komplexe Maschinen.

Rund 75 Personen, davon rund 20 Fachkräfte und 55 eingewiesene Personen, arbeiten auf dem Gutsbetrieb, den Feldern, in den Ställen, in der Werkstatt, in der Gärtnerei oder im Hofladen. Dass Maschinen Arbeitskräfte ersetzen, ist hier nicht das Ziel. «Beim Melkstand lassen sich die Eingewiesenen besser in den Prozess integrieren als bei einem Roboter», so Hanspeter Geisser. Aber trotzdem müsse es rationell sein. Die Melkarbeit beispielsweise wird durch eine Fachkraft und zwei eingewiesene Personen innerhalb einer Stunde erledigt.

Fachkräfte und Eingewiesene

Neu gebaut wurden auch ein Technikraum, eine Remise, eine Garage und ein Betriebsgebäude inklusive Garderobe für die Arbeitskräfte. Eingewiesene Personen dürfen die JVA Realta ausschliesslich für Arbeitseinsätze auf dem Gutsbetrieb und nur tagsüber verlassen. Über Nacht sind sie in den Zentrumsgebäuden der JVA. Um 7.30 Uhr öffnen sich die Tore wieder. Wer Stalldienst hat, kommt aber bereits früher. Etwa die Hälfte der eingewiesenen Personen sind Schweizer, der Rest aus verschiedensten Ländern. Das Bildungsniveau ist eher tief, viele haben keinen Beruf erlernt. [IMG 3]

In einem Eintrittsgespräch wird eruiert, in welchem Bereich ein Einsatz möglich und sinnvoll ist. Bis zu zehn Personen arbeiten gleichzeitig im Team Tierhaltung, angeführt von fünf Landwirten EFZ, und kümmern sich um Rindvieh, Schweine (Zucht und Mast) und die Biogasanlage. Motivierte und talentierte eingewiesene Personen haben die Möglichkeit, innerhalb des Teams gefördert zu werden und aufzusteigen, über den Hoflader bis hin zum Traktorfahrer. «Es ist meist rasch ersichtlich, was eine Person will und kann», so Hanspeter Geisser, der davor in der Landi Graubünden als Geschäftsführer wirkte.

Glück im Stall

Gut habe sich der Strategiewechsel im Milchviehstall ausgewirkt. «Die Milchproduktion läuft rund, die Kühe sind gesund», freut sich der Betriebsleiter.

So sei die grösste Herausforderung auf diesem speziellen Landwirtschaftsbetrieb auch nicht die landwirtschaftliche Produktion im eigentlichen Sinn, sondern eben der Umgang und der Tagesablauf zusammen mit den eingewiesenen Personen. Wer hier als Angestellter arbeitet, muss sich darauf einlassen können. Nicht selten stammten eingewiesene Personen aus Kriegsgebieten und seien traumatisiert. Es sei eindrücklich zu sehen, dass Tätigkeiten wie das Tränken der Kälber oder allgemein Verantwortung für ein Lebewesen zu übernehmen, einen positiven Einfluss haben könne, so die Erfahrung von Hanspeter Geisser.

Betriebsspiegel Gutsbetrieb JVA Realta

Betrieb: Gutsbetrieb der Justizvollzugsanstalt Realta, Cazis GR, Region Viamala, 650 m ü. M.
Betriebsleiter: Hanspeter Geisser
Arbeitskräfte: 20 Mitarbeitende, 2 Lernende Landwirt EFZ, 55 Arbeitsplätze für eingewiesene Personen
Tiere: 64 Milchkühe mit eigener Aufzucht und Mast, zusätzlich werden Tränker zugekauft (Platz für 330 Stück Rindvieh), 65 Muttersauen, 200 Mastschweineplätze
Flächen: 135 ha LN nach IPS (Mais, Kunst- und Naturwiesen, Saatgutvermehrung Dinkel und Hafer, Winterweizen, Roggen, Kartoffeln, Raps, Gemüse (Chicorée, Karotten, Grün- und Weissspargeln), Kern-, Stein- und Beerenobstanlage, Sömmerungsbetrieb für 138 Normalstösse (2000 ha)
Weiteres: Mosterei, Verarbeitungsküche, Hofladen, Gärtnerei, Pflanzen- und Feldgemüseproduktion, Agrowerkstatt für eigene Maschinen, Biogasanlage
Produktion: Gutsbetrieb liefert sämtliche Erzeugnisse, die aus der Urproduktion in der Anstaltsküche der JVA benötigt werden. Ein grosser Teil der Früchte- und Gemüseproduktion wird über den Hofladen vermarktet. Restliche Erzeugnisse über Handel, z.B. rund 400 000 kg Milch an Mooh.

Die Arbeit mit Tieren hilft

Für die Arbeit mit Tieren im Strafvollzug gibt es gute Gründe, wie im Leitbild der JVA Realta zu lesen ist:

- Emotionale und soziale Fähigkeiten fördern: Tiere bieten bedingungslose Akzeptanz und können helfen, Empathie, Verantwortungsbewusstsein und Fürsorge zu entwickeln. Dies kann unter anderem das Gefühl von Einsamkeit und Isolation verringern.

- Verantwortungsbewusstsein und Routine: Die Pflege und Verantwortung für ein Tier, für ein Lebewesen, können Insassen helfen, ein Gefühl der Verantwortung und Struktur in ihrem täglichen Leben zu entwickeln. Dies kann sich positiv auf ihr Verhalten und ihre Einstellung auswirken.

- Förderung von Vertrauen und Bindung: Die Beziehung zu einem Tier kann Insassen helfen, Vertrauen aufzubauen und sichere Bindungen zu entwickeln, was besonders für Personen mit traumatischen Erfahrungen wichtig ist.

- Stressreduktion und emotionale Stabilität: Die Arbeit mit Tieren kann als solches eine therapeutische Wirkung entwickeln. Sie kann beruhigend wirken und Stress reduzieren. Dies kann besonders in einer Umgebung wie dem Justizvollzug, die oft von Spannungen und Konflikten geprägt ist, von grossem Nutzen sein.