Dieses Mal kam der Vorschlag nicht von der Schweiz, sondern der EU – und er hatte Erfolg: Voraussichtlich wird der Wolf in der Berner Konvention künftig als «geschützte» statt «streng geschützte» Art aufgeführt. Ende 2022 war der letzte entsprechende Antrag aus der Schweiz abgelehnt worden. Sind die Wolfsgegner in Europa und der Schweiz am Ziel?

«Würde bejagbar»

Mit der Rückstufung des Schutzstatus werden Wölfe nach Ablauf einer Frist von drei Monaten im Sinne der Berner Konvention bejagbar, sagt der Luzerner Rechtsprofessor Roland Norer. Dies unter der Voraussetzung, dass nicht mindestens ein Drittel der Mitgliedstaaten Einwände erhebt. Für streng geschützte Arten verbietet die Konvention «jede Form des absichtlichen Tötens», während bei geschützten Arten lediglich ihr Bestand zu sichern ist (z. B. mit Schonzeiten). Der Wolf würde also Luchs und Biber gleichgestellt.

Abo Die Schweiz könnte Gebiete ausscheiden, in denen der Erhalt der Alpwirtschaft als übergeordnetes öffentliches Interesse gilt – diesen Vorschlag bringt Rechtsprofessor Roland Norer ins Spiel. Schutzstatus «Eine Art Raumplanung für Wölfe» Monday, 27. May 2024 Sofort wirksam ist die Änderung der Berner Konvention nicht nur wegen der erwähnten Frist nicht. Denn die EU-Kommission muss die Anpassung in ihre eigenen Richtlinien übernehmen und beschliessen lassen. «Als letzter Schritt ist dann das nationale Recht daran anzupassen», so Norer.

Erhalt bleibt das Ziel

In der Schweiz werden Wölfe bereits seit einem Jahr präventiv reguliert. Wie der WWF in einem Kommentar schreibt, habe das Büro der Berner Konvention dies bisher als «Fehlinterpretation» der Regeln für streng geschützte Arten beurteilt. Wie am 6. Dezember 2024 bekannt wurde, wird die der ständige Ausschuss der Berner Konvention eine Untersuchung zur bisherigen Schweizer Wolfsabschuss-Politik einleiten. Dies nach der Beschwerde von CH Wolf und Avenir Lynx Jura, berichtete die Nachrichtenagentur Keystone-SDA.

«Wenn der Wolf neu in der Kategorie geschützt ist, kann die Schweizer Wolfsregulierung die Konvention eher erfüllen», schlussfolgert der WWF. Vorausgesetzt, Eingriffe würden mit Augenmass und unter Einhaltung der Gesetze umgesetzt, denn das Ziel der Berner Konvention sei nach wie vor ein günstiger Erhaltungszustand der Wolfspopulation in der Schweiz.

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Aktuelle Zahlen dazu, wie sich der hiesige Wolfsbestand entwickelt hat, liefert die Stiftung Kora: 35 Rudel leben hierzulande, davon neun grenzüberschreitend. Man gehe ausserdem von 28 reproduzierenden Rudeln aus, die 2024 gesamthaft 120 Welpen geboren haben, zitiert der Schweizer Bauernverband (SBV) in einer Mitteilung. «Diese Zahlen zeigen deutlich, dass die Anzahl Wölfe in der Schweiz trotz Regulierung weiter wächst», so der SBV. Daher sei die Entnahme von Problemrudeln und -wölfen unerlässlich, um eine konfliktarme Koexistenz von Land- und Alpwirtschaft mit dem Wolf zu ermöglichen. Zusammen mit dem Schweizerischen Alpwirtschaftlichen Verband (SAV) fordert der SBV eine «Effizienzsteigerung» der Regulierung. Bei unerwünschtem Verhalten sollten Wölfe «sofort und ohne bürokratische Hürden» entnommen werden dürfen.

Wie viel die Regulation bringt, lasse sich wissenschaftlich noch nicht abschätzen, hält die Stiftung Kora fest. Dafür brauche es Daten mehrerer Jahre. «In der aktuellen Zeit scheinen Antworten auf dringliche Fragen wichtig», ist sich Kora bewusst. Wissenschaftlich fundierte Aussagen bräuchten aber Zeit. «Das heisst beispielsweise auch, dass das Aufzeigen von Einzelbeispielen aus dem aktuellen Alpsommer (Zahlen über Abschüsse in einem Rudel versus Nutztierrisse) zurzeit wenig über die generelle Wirksamkeit der präventiven Abschüsse aussagt.»

Untersuchungen geplant

Andere Faktoren wie z. B. Änderungen im Herdenschutz, Aufgabe von Alpen, Beuteverfügbarkeit oder der Umsiedlung von Nutztieren seien ebenfalls zu berücksichtigen. Internationale Studien hält Kora für den Schweizer Kontext nur bedingt für aussagekräftig. Es soll in den kommenden Jahren aber Schweizer Wirkungs-Untersuchungen geben. «Dies als Basis eines effektiven Wolfsmanagements, das sowohl die Bedürfnisse der Nutztierhalter als auch den Erhalt der Wolfsbestände berücksichtigt und damit ein konfliktarmes Zusammenleben ermöglicht.»

Nicht nur auf europäischer Ebene, auch in der Schweiz wurden dieser Tage neue Beschlüsse zum Wolf gefasst. So hat das Parlament in der laufenden Wintersession einer Motion zugestimmt, die «weniger Bürokratie und wirksame Massnahmen zum Schutz vor Wolfsschäden» verlangt. Dank «drastischem Bürokratieabbau» sollen Abschussbewilligungen rascher vorliegen. Ausserdem seien die finanziellen Unterstützungsmassnahmen für betroffene Tierhalter auszubauen und zu vereinfachen – auch ausserhalb der Sömmerungszeit. Damit gehen SAV und SBV einig und betonen, es brauche genügend Mittel für den Herdenschutz.

Wenn es nach dem Ständerat geht, könnte es hierzulande künftig wolfsfreie Zonen geben. Eine Motion verlangt, solche zu prüfen und kommt als Nächstes in den Nationalrat. Benedikt Würth (Mitte, SG) fordert in diesem Vorstoss ausserdem die Bejagung von Wölfen mit Abschussquoten. Diese Bejagung und auch wolfsfreie Zonen bräuchten eine neuerliche Anpassung des Jagdgesetzes, wehrt der Bundesrat ab. Zuerst müssten aber das kürzlich geänderte Gesetz und die neuen Verordnungsbestimmungen ihre Wirkung entfalten. «Sollten die Ziele der revidierten rechtlichen Grundlagen nicht erreicht werden können, wird der Bundesrat zu gegebener Zeit zusätzliche Massnahmen prüfen.»

Jurist Roland Norer geht davon aus, dass eine Änderung des Schutzstatus des Wolfs in der Berner Konvention Einfluss auf die Interessensabwägung haben wird: «Das öffentliche Interesse am Schutz einer ‹bloss› geschützten Tierart gegenüber dem Erhalt der Alp- und Viehwirtschaft wird an Gewicht verlieren.»

Verordnung per Februar 2025

Nachdem im letzten Jahr die präventive Regulierung von Wölfen nach einer Express-Vernehmlassung angelaufen war, folgte heuer die ordentliche Vernehmlassung der revidierten Jagdverordnung. Der SBV hat in diesem Verfahren unter anderem tiefere Mindestzahlen sowie eine neue maximale Anzahl von Rudeln je Region (Kompartimente), tiefere Abschussschwellen und die Abweisung allfälliger Einsprachen gegen Abschüsse gefordert. Alle Rassen sollen als Herdenschutzhunde zugelassen werden können sowie Konzepte und Lösungen für den Herdenschutz auch ausserhalb der Sömmerungsgebiete entwickelt werden, so der SBV.

Die bisherige proaktive Wolfsregulation fusst auf einem Teil der Jagdverordnung, die der Bundesrat im Dezember 2023 befristet bis Ende Januar 2025 in Kraft gesetzt hat. Die ordentliche Vernehmlassung zur Jagdverordnung werde aktuell ausgewertet, so der Bundesrat. Über die Inkraftsetzung per Februar 2025 werde er im Dezember entscheiden.

Falsche Tierart, falsche Individuen

Während der Bundesrat mit der Jagdverordnung für das kommende Jahr auch die künftige Wolfsregulation finalisiert, sorgen Fehler bei der laufenden Regulierung für Kritik. In Graubünden hat ein Wildhüter versehentlich drei Luchse (zwei Jungtiere und deren Vater) erlegt. Laut dem zuständigen Amt ereignete sich der Vorfall nachts und der Wildhüter habe geglaubt, auf drei zum Abschuss freigegebene Wölfe zu schiessen. Das Amt spricht von einem «Einzelfall», der im Detail und als Strafprozess aufgearbeitet werde.

Aufgrund dieses Vorfalls fordert die Gruppe Wolf Schweiz (GWS) Massnahmen gegen «Kollateralschäden». Regulierungsabschüsse sollten demnach nur noch zu zweit ausgeführt und der politische Druck auf Wildhüter beendet werden. Wenn Schäden oder Gefahren drohten, müssten nicht alle Abschüsse getätigt werden, findet die GWS. Diese Forderungen stehen im klaren Gegensatz zu jenen von SBV und Parlament, welche die Regulation vereinfachen wollen (siehe Haupttext).

Die GWS führt weiter Beispiele aus dem Wallis an. Dort sollen nur 15 der 27 im Jahr 2023 geschossenen Wölfe zu Rudeln gehört haben, die tatsächlich hätten reguliert werden dürfen. «Zu den Fehlabschüssen kam es, weil die Streifgebiete der Wolfsrudel falsch bestimmt wurden», schreibt die GWS. In diesem Wissen seien die Behörden aber 2024 genau gleich vorgegangen. Nach einer Beschwerde werde dieser Sachverhalt nun gerichtlich geklärt.