Unterwegs mit einer Viehhändler-Legende. Ein passender Abschluss unserer kleinen Sommerserie, dachten wir uns. Wobei «unterwegs» schliesslich ein wenig übertrieben ist. Wegen einer Augen-OP steht der Transporter von Willy Zumstein noch für einige Tage «am Schärme». Gesucht habe er das Interview nicht, sagt er in seiner offenen und unkomplizierten Art. Vermittelt hat ihn uns der Zentralschweizer Viehhändlerverband. Dann hat er aber doch spontan zugesagt. «Und bei einem Interview nichts zu sagen, geht ja irgendwie auch nicht», meint er schelmisch. Der 79-Jährige könnte Bücher füllen mit seinen Erlebnissen an Märkten und in den Hunderten von «Gäden», die er in den vergangenen Jahrzehnten anfuhr.
Eigentlich längst pensioniert
Übernommen hat er den Handel damals von seinem Vater. Dieser kam von Lungern OW nach Sarnen und konnte im Obwaldner Hauptort am Dorfrand drei kleinere Liegenschaften erwerben, die heute zusammen einen stattlichen Betrieb ausmachen. Die Wohnquartiere sind in der Zwischenzeit bedrohlich nahe. «Aber Bauern ohne Land geht nicht», sagt Zumstein.
«Mit 65 wollte ich alles geregelt haben.»
2010 hat der Viehhändler den Betrieb übergeben. Der Handel wird aber nicht weitergeführt.
Wobei es längst nicht mehr in seinem Ermessen liegt, wie sich der Hof entwickelt. Den Betrieb übergaben Hedi und Willy Zumstein 2010 an Sohn Jörg. «Mit 65 wollte ich alles geregelt haben», so Zumstein. Auf der Alp, wo die Hälfte der rund 40 OB-Kühe gesömmert wird, schauen Tochter und Schwiegersohn zum Rechten. Auf dem Talbetrieb im Türlacher ist der leidenschaftliche Viehhändler seitdem bloss noch «Helfer». Er habe im Handel bei den Kunden oft genug erlebt, wie schwierig es für die Jungen sei, wenn die ältere Generation sich nicht lösen könne von Chef-Aufgaben und ständig danebenstehe. Das seien für ihn immer heikle Momente gewesen. Er wollte sich ja nicht auf eine Seite schlagen, wenn sich die zwei Kunden-Generationen uneinig waren. Da brauchte es seinerseits wohl überlegte «Pfarrersworte».
Kunden in drei Kantonen
Beim lockeren Gespräch auf dem Hof seines Sohnes, wo er lieber im Stall ist als auf den Maschinen, spricht er häufig in der Vergangenheit beim Thema Viehhandel. Ganz bewusst. Er sei am «Usplampen», sagt er und lacht dabei. Höchstens noch einen Zehntel von früher, handle er heute. Sohn Jörg habe immer klar signalisiert, dass er den Viehhandel nicht übernehmen werde. Das sei für ihn nachvollziehbar, sagt er, der lange im Vorstand der Zentralschweizer Viehhändler war und die Kantone Obwalden, Nidwalden und Uri bewirtschaftete. Metzgkühe, Nutzvieh und Tränker waren seine Spezialitäten. Seit der Pensionierung kommen keine neuen Kunden mehr dazu, und irgendwann wird es dann die letzte Fahrt sein im gepflegten Vieh-Transporter mit dem Logo «wz» für Viehhandel Willy Zumstein, Sarnen. Der Handel habe sich enorm gewandelt in den letzten Jahrzehnten. «Anfänglich war noch freier Markt von A–Z», mit weniger Reglementierung und Bürokratie, erklärt er. Strukturwandel auch hier. Viele kleine Händler sind verschwunden, genauso wie Viehmärkte. Junge würden kaum noch in den privaten Viehhandel einsteigen. Dafür gibt es nun einige grosse Handelsorganisationen und Verbände, die Auktionen organisierten.
Zeit fehlt heute
«Das ist der Lauf der Zeit», sagt er mehrmals. In anderen Branchen laufe es genauso, dagegen habe er nichts. Trotzdem trauert er wohl einigen traditionellen Plätzen ein wenig nach. Etwa dem Handel von Metzgkühen wöchentlich im Städtli Sursee LU auf dem Viehmarktplatz. «Nach einem erfolgreichen Morgen, wenn das Vieh der Kunden gut verkauft werden konnte, ging es dann noch gemeinsam mit den Berufskollegen zum Znüni ins Bahnhöfli.» Früher traf man sich auch ab und zu noch am Küchentisch des Kunden zu einem Kaffee. Heute fehle die Zeit auf beiden Seiten. Der Konkurrenzgedanke zu anderen Einmann-Viehhandelsbetrieben sei überschaubar. Gute Viehhändler betreten die Ställe von Kunden anderer Händler nicht.
Nur Bares ist Wahres
Willy Zumstein ist kein Ewiggestriger. Er war der erste Obwaldner Meisterlandwirt. Entwicklungen verfolgt er noch heute mit Interesse. So schaut er am Morgen auf den Bildschirm, um zu sehen, ob auch alle Kühe fleissig zum Melkroboter gehen im neuen Stall. 30 Jahre war er politisch als Gemeinde- und Kantonsrat an vorderster Front. Damals für die CVP. Heute sei er politisch ein «Wilder».
«Nur Bares ist Wahres lautet die Devise.»
Ein paar Nötli in den Händen zu spüren sei mehr Wert als eine Bank-Überweisung.
Im Geschäftsleben allerdings funktioniert bei ihm noch alles wie zu den guten alten Zeiten. Seine Kunden rufen ihn aufs Festnetz an. Tiere will er vor Ort sehen, nicht auf Handy-Bildern. Und mit dabei ist immer das Portemonnaie. «Handschlag, Verladen und Bezahlen», war stets seine Devise. «Und nur Bares ist Wahres», schiebt er nach. Es mache einfach mehr Freude beim Handel, wenn man danach ein paar Nötli in den Händen spüre, sagte er jeweils auch zu seinen Landwirten.
Hornlos kam nie in Frage
Freude hat er auch am neuen Laufstall. Die Kühe haben freien Zugang zur Weide. Zumstein beobachtet, wann es diese nach draussen zieht. Manchmal bei grösster Hitze, erstaunlicherweise. Die OB-Kühe der Familie Zumstein sind ausnahmslos behornt. Eine Herzensangelegenheit für den Viehhändler. Dass der Nachfolger das auch so sieht, freut ihn. Es sei ein heikles Thema. Natürlich habe er immer Vieh mit und ohne Horn gehandelt. Für ihn sei der Fall aber klar: Der Natur sollte man hier nicht ins Handwerk pfuschen. Hornkühe brauchten im Laufstall sicherlich mehr Platz, dann funktioniere das problemlos. Und problemlos war auch seine Lieblingskuh. «Blüem», der Name ist Programm (siehe Bild), hat er vor rund zehn Jahren auf dem Viehmarkt Urnerboden gekauft. Auch diesen gibt es heute nicht mehr. Blüem habe einen Charakter, genauso wie er es mag. Ruhig gegenüber dem Tierhalter, aber mit dem nötigen Stolz innerhalb der Herde. Am Montag, einen Tag nach ihrem zehnten Kalb, trottet sie gemütlich ins Freie und stellt sich neben Willy Zumstein zum Fototermin. Es ist das letzte Bild von ihr, am Dienstag hatte sie einen Herzstillstand.
Glück gehabt beim Transport
Wie viele Arztbesuche gab es beim Viehhändler Willy Zumstein nach rund 50 Jahren Tiertransport? Er habe grosses Glück gehabt und sei nie «daruntergekommen». Die Narbe auf seinem Kinn stammt noch aus den Jugendjahren. Damals wollte er seinem Vater helfen und zwei hornende Kühe trennen. Das waren noch Zeiten. Montag und Dienstag fand auf dem Hof ein Vormarkt statt mit 100 Kühen. Ein Kommen und Gehen.
Am schlimmsten war für ihn als Händler die Zeit, als Metzgkühe noch drei Franken galten und man von «Entsorgung» sprach. «Wir sprechen hier von Lebensmitteln, wohlgemerkt», fügt er an. Corona habe vor Augen geführt, wie rasch die Regale auch hierzulande leer werden können. Doch erinnern tut er sich vor allem an schöne Erlebnisse und Begegnungen. Auch emotionale Abschiede gehörten dazu. Die ganze Familie stand etwa bei einem Kunden frühmorgens weinend neben seinem Transporter, als die Lieblingskuh in die Metzg ging. Da konnte der leidenschaftliche Tierhalter Willy Zumstein immer gut mitfühlen. Nach dieser Woche sowieso.