Nach der Ausrottung der heimischen Wildschweinart wanderten vor ungefähr 40 Jahren Tiere aus den Nachbarländern Frankreich, Deutschland und Italien ein. Wie Agridea in ihrem Merkblatt über die Prävention von Wildschweinschäden in der Landwirtschaft schreibt, nimmt der Bestand der Tiere in der Schweiz zu. In manchen Regionen steigt er dabei markant an.

Ein Kanton, der immer sehr stark von Wildschweinschäden betroffen ist, ist der Kanton Aargau. Im Jagdrevier von Jagdaufseher Roger Ehrensperger beläuft sich die jährliche Schadensumme durch das Schwarzwild auf mehrere 10'000 Franken. Neben der ehrenamtlichen Arbeit als Jagdaufseher bewirtschaftet Ehrensperger einen 33 Hektaren grossen Ackerbau- und Munimastbetrieb in Siglistorf. Dieses Jahr waren die Schäden besonders schlimm und erfolgten bereits sehr früh.

BauernZeitung: Was sind die Gründe für die hohen Wildschweinbestände?

Roger Ehrensperger: Aufgrund der Klimaerwärmung, welche mildere Winter zur Folge hat, entfällt grösstenteils der wichtigste Mortalitätsfaktor. Durch die immer häufigere Eichen- und Buchenmast, wodurch den Wildschweinen im Überfluss Futter zur Verfügung steht, werden die Jungtiere bereits mit ungefähr 30 kg geschlechtsreif. Schon einjährige Bachen mit Frischlingen sind zu beobachten. Als ich vor 17 Jahren mein Amt als Jagdaufseher antrat, hatten die meisten Bachen im Schnitt fünf Frischlinge bei sich. Heute beobachte ich deutlich grössere Würfe und es ist keine Seltenheit, dass eine Bache mit sieben oder acht Frischlingen daherkommt.

Wie schätzen Sie die diesjährigen Schäden in Ihrem Jagdrevier ein?

Die Schäden dieses Jahr sind markant. Anders als in den letzten Jahren verursachten die Wildschweine bereits sehr früh Schäden in den Kulturen, besonders im Mais. Die Tiere machten sich bereits vor der Kolbenbildung über Mais her.

Wie schätzen Sie die momentane Stimmung bei den Landwirten in Ihrer Region in Bezug auf die Wildschweinschäden ein?

Die Stimmung ist angespannt. Das Frustlevel befindet sich auf einem relativ hohen Niveau. Dieses Jahr verzeichneten wir zum ersten Mal das Phänomen, dass die Wildschweine trotz der Einzäunung der Felder Schäden verursachten. Durch die Einzäunung hatten die Landwirte zusätzliche Arbeit und Kosten, doch die Schäden blieben trotz der Bemühungen nicht aus. Das frustriert natürlich.

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Wer kommt im Kanton Aargau für die Wildschweinschäden auf? Wie läuft das ab?

Für jeweils acht Jahre verpachtet der Kanton Aargau den Jagdgesellschaften das Jagdrevier, wodurch die Gesellschaften entsprechend einen Pachtzins zahlen. Die Jagdgesellschaft beteiligt sich mit bis zu maximal 25 % des jährlichen Pachtzinses an der Summe der Wildschäden. Als kleines Beispiel: Beträgt der jährliche Pachtzins 10'000 Franken, so beteiligt sich die Jagdgesellschaft mit 2'500 Franken an der Entschädigung der Wildschäden. Bis 75 % der Wildschäden werden aus der Kantonskasse gezahlt. Unternimmt die Jagdgesellschaft etwas gegen die Wildschweinepopulation, das heisst, erlegt die Gesellschaft Wildschweine, so wird die restliche Schadenssumme vom Kanton übernommen.

Wird man als Landwirt nur für den Schaden entschädigt, wenn man einen Elektrozaun um die Kulturen angelegt hat?

Ja und nein. Eine Parzelle mit einem Schaden von mehr als 500 Franken gilt in den nachfolgenden zwei Jahren als «gefährdete Parzelle». Baut der Landwirt in diesen beiden Jahren eine Kultur an, welche einen durchschnittlichen Ertrag von mehr als 5000 Franken einbringt, muss er diese einzäunen, um Anrecht auf eine Entschädigung zu haben. Ausser im Biolandbau, Gemüsebau und beim Kartoffelbau beträgt der Ertrag im konventionellen Anbau jedoch meist nicht über 5'000 Franken.

Hat man bereits versucht, mit Massnahmen die Schäden zu minimieren? Woran ist es gescheitert? Und was sind die Herausforderungen dabei?

Wir haben fast alles ausprobiert. Neben dem Einzäunen der Parzellen haben wir Radios an den Feldern montiert, Menschenhaare gestreut, die wir samstags beim Coiffeur abholten, Blinklichtlampen installiert und künstlich hergestellten Menschenschweiss ausgebracht. Die Wildschweine gewöhnten sich aber leider sehr schnell an die getroffenen Massnahmen, sodass sie nach kurzer Abschreckung nutzlos waren. Bis zu diesem Jahr hat das Einzäunen der Parzellen mit einem Elektrozaun am besten funktioniert. Dieses Jahr zeigte sich jedoch, dass nicht einmal mehr das die Tiere abschreckt.

Wie geht es Ihnen als Jagdaufseher mit diesem Problem?

Die Jagd auf die Tiere ist sehr zeitaufwendig. Ich gebe mein Bestes, um den Schaden in meinen eigenen sowie in den Parzellen meiner Berufskollegen zu minimieren. Man erlegt immer wieder Tiere, doch ganz verhindern kann man die Schäden trotzdem nicht. Da die Tiere erst nach dem Eindunkeln aktiv werden und ich hauptberuflich als Landwirt tätig bin und jeden Morgen in den Stall muss, ist es mir nicht möglich, jede Nacht auf Wildschweinjagd zu gehen. Besonders im Sommer, wenn es erst um zehn Uhr oder noch später eindunkelt, ist es unmöglich. Die Situation ist ein wenig zweischneidig, doch irgendwann muss man auch akzeptieren, dass man sein Bestes tut und der restliche Schaden finanziell entschädigt wird.

Wie gehen Sie bei der Jagd auf Wildschweine vor? Was sind die Schwierigkeiten bei der Wildschweinjagd?

Die Jagd auf Wildschweine ist längst keine Passion mehr, sondern vielmehr fast schon eine Schädlingsbekämpfung. Durch den hohen Borkenkäferbefall im Wald mussten viele Bäume gefällt werden, wodurch sich Gebüsch und Brombeersträucher ausbreiteten. Dieses Dickicht bietet den Wildschweinen eine perfekte Versteckmöglichkeit.

Wildtiere Die Wildschweinschäden in der Landwirtschaft sind unter Kontrolle Sunday, 22. January 2023 Bei der Treibjagd bringt man die Tiere fast nicht mehr aus dem Gestrüpp, und wenn man sie herausbringt, fehlt meist der Raum zum Abschuss. Bei der Einzeljagd hingegen ist das Problem, dass Wildschweine erst in der Nacht aktiv werden. Für die Jäger, welche noch anderweitig im Berufsleben tätig sind, wird es daher schwer, jede Nacht auf die Jagd zu gehen. Zudem verfügen Wildschweine über einen sehr guten Geruchssinn und sind sehr schlau. Bei der Jagd muss der Wind zu 100 Prozent stimmen, ansonsten muss man nicht einmal versuchen zu jagen. Man muss jedoch sagen, dass die nun erlaubte Technik wie Wärmebildkameras zu einer Erleichterung der Jagd geführt haben.

Zusätzlich können Wildschweine wegen des Muttertierschutzes im Sommer nicht immer geschossen werden. Bevor man eine Wildschweinbache schiessen kann, muss immer noch zuerst geschaut werden, ob die Bache tatsächlich keine Frischlinge bei sich hat. In den Zuckerrübenfeldern oder sonstigen bereits höheren Kulturen ist es teilweise sehr schwer, zu erkennen, ob die Bache tatsächlich Frischlinge hat oder nicht. Es wird nur geschossen, wenn man sich wirklich sicher ist, dass keine Frischlinge zur Bache gehören. Könnte man das ganze Jahr über ungehindert Wildschweine erlegen, wäre das Problem auch einfacher in den Griff zu bekommen. Jedoch ist es selbstverständlich, dass man auf die Muttertiere Rücksicht nimmt und den Mutterschutz der Tiere respektiert.

Wie schätzen Sie die Entwicklung des Wildschweinebestands in den nächsten Jahren ein?

Dass es uns gelingt, den Bestand zu reduzieren, scheint mir eher unwahrscheinlich. Ich hoffe und denke jedoch, dass sich der Bestand auf einem hohen Niveau einpendeln und nicht weiter ansteigen wird.

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Wie gross schätzen Sie die Gefahr ein, dass die Afrikanische Schweinepest (ASP) durch Wildschweine in die Schweiz gelangt?

Meiner Meinung nach ist die Wahrscheinlichkeit, dass die ASP durch die Wildschweine in die Schweiz gelangen wird, klein. Durch den weltweiten Personenverkehr sehe ich die Gefahr, dass die ASP durch einen Menschen in die Schweiz verschleppt wird, viel grösser. Das Virus ist sehr widerstandsfähig und kann mehrere Monate in Trockenfleisch überleben, sodass das Risiko hier viel grösser ist. Bis vor etwa zehn Jahren stellten wir regelmässig fest, dass Wildschweine aus Deutschland über den Rhein in die Schweiz geschwommen sind. Seither war das nicht mehr zu beobachten.

Die Autobahn A1 als Barriere gegen die Wildschweine

Thomas Jäggi, Fachverantwortlicher Wald und Holz beim SBV, schätzt den Wildschweinebestand in den letzten Jahren als konstant ein. Genaue Zahlen zum Bestand liegen jedoch nicht vor, da in der Schweiz keine Zählungen des Schwarzwildes vorgenommen werden.

Flüsse sind kein Hindernis

Die Thematik der Wildschweinschäden kommt laut Jäggi immer wieder auf. Schäden aufgrund des Schwarzwildes entstehen meist punktuell. Wer das Glück hat, südlich der Autobahn A1 zu leben, werde laut Jäggi tendenziell von Wildschweinschäden verschont. An vielen Orten gilt die Autobahn A1 mit ihren wenigen Wildübergängen als Barriere gegen die unerwünschten Gäste. Flüsse hingegen stellen für die hervorragenden Schwimmer kein Hindernis dar.

Aargau als Spitzenreiter

Besonders stark von Schäden betroffen ist immer wieder der Kanton Aargau. Die jährliche Schadenssumme beträgt rund 500 000 Franken, was laut Jäggi eine beachtliche Summe darstellt. Durch den Rhein als Nahgrenze und die Autobahn A3, welche zu einem beachtlichen Teil in einem Tunnel verläuft und den Tieren somit die Überquerung erlaubt, bietet der Aargau gute Voraussetzungen für die Tiere. Zudem eröffnet der Kanton den Wildschweinen viel Lebens- und Deckungsraum. Zur Hilfestellung erarbeitete Agriexpert im Auftrag des SBV einen Entschädigungsleitfaden für Wildschäden. Dieser wird jedoch leider nicht in allen Kantonen angewendet.

Ausbreitung durch Wildübergänge

Thomas Jäggi befürchtet, dass das Bauen weiterer Wildübergänge über die Autobahn A1 zur weiteren flächenmässigen Ausbreitung und somit Vergrösserung des Schwarzwildbestandes führt. Mit dem Populationsaufbau werden sich also in der Tendenz auch die Wildschweinschäden mehren.