Der Andrang am Älpler(innen)-Treff vom 7. Januar 2023 am Plantahof war enorm. Anna Sonnleithner von der Interessengemeinschaft Alp (IG-Alp) und Organisatorin des Anlasses bestätigte, dass noch nie so viele Leute anwesend waren. Ob es an der verstärkten Werbung, der Corona-Zwangspause, an den vielen offenen Alpstellen oder dem Thema der Podiumsdiskussion lag, kann nicht abschliessend beantwortet werden.
Austauschen und nicht urteilen
«Als vor einigen Jahren die ersten Wölfe in die Schweiz kamen, dachte ich, die bringen uns die Hirten zurück. Heute frage ich mich, ob die Wölfe nicht die Hirten vertreiben.» Mit diesen Worten eröffnete Giorgio Hösli, IG-Alp, die Podiumsdikussion «Hirten unter Druck – Hüten mit dem Wolf». Sogleich herrschte Stille im Saal, alle Augen waren nach vorne gerichtet. Die Stimmung war ernst, aber nicht emotionsgeladen. Man spürte, hier ist man unter Gleichgesinnten und kann offen sprechen.
Moderator Kaspar Schuler, Geschäftsführer der Internationalen Alpenschutzkommission CIPRA und ehemaliger Älpler, hielt zu Beginn fest: «Wir sind nicht hier, um zu politisieren. Wir wollen einen Austausch unter Hirt(innen), wie wir mit der Situation Wolf auf Schafalpen umgehen.» Es sei schwierig gewesen, überhaupt Betroffene zu finden, die sich öffentlich zum Thema äussern wollen.
Schuld daran sind unter anderem auch die Medien. Hungrig (wie Wölfe?), stürzten sich Journalist(innen) während des ganzen Sommers immer wieder auf betroffene Hirt(innen) und veröffentlichten Schlagzeilen. Und dies, obwohl sie selbst nie einen Fuss auf Sömmerungsgebiet gesetzt hatten, geschweige denn eine Ahnung davon haben, worüber sie überhaupt schrieben.
Nach einem Rissereignis ist kein Platz für Emotionen
Wanda Segginger war im Calancatal als Schafhirtin angestellt und verzeichnete bis Ende Sommer fünf bestätigte Wolfsrisse. Hirt Beni Seydel war auf einer Schafalp im Prättigau mit über 50 bestätigten Rissen. In einem sind sich die beiden Betroffenen einig: «In dem Moment, in dem du ein totes Tier findest, haben grosse Emotionen oder psychische Betroffenheit keinen Platz.»
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Man habe schlicht keine Zeit für das tote Tier, denn die Arbeit beginne erst jetzt. Was so viel bedeutet wie: Verängstigte Schafe aus Netzen befreien, verletzte und verstiegene Tiere suchen und zur Herde zurückbringen. Wildhüter informieren, Fotos machen, Tiernummer erfassen, Tierhalter informieren. Ist man auf einer Alp ohne Empfang wie Segginger, kann die Administration zu einer zusätzlichen Herausforderung werden.
Schama Nef, Alpmeister auf der Nachbarsalp von Beni Seydel, erläuterte die Situation aus seiner Perspektive. 250 Netze hatten seine Hirtin, Helfer und er im Frühling gestellt, trotzdem kam es zu Rissen. Die zusätzlichen Arbeitsstunden seien enorm und können nicht nur von den Hirten bewältigt werden. Die Hirten hätten genug Arbeit damit, sich um das Wohl der Schafe zu kümmern.
«Wir können nicht auch noch von den Hirt(innen) verlangen, dass sie Zaunmaterial schleppen, neue Zäune stellen und Nachtpferche aufbauen. Dazu braucht es zusätzliches Personal.»
Schama Nef, Alpmeister im Prättigau
Schafe und Herdenschutzhunde unter Dauerstress
Bei wenigen Rissen scheinen die Schafe ruhig zu bleiben. Im Fall von Beni Seydel standen Schafe und Hunde gegen Ende der Alpsaison unter Dauerstress und es wurde schwierig, mit der Herde zu arbeiten. Die Schafe waren unruhig, immer in Bewegung, blickten umher und wenn sich die Hütehunde näherten, versprangen die verängstigten Tiere. Die Hunde waren völlig ausgepowert. Obwohl die Hirten inmitten der Schafe übernachteten, kam es gegen Ende Alpsaison fast täglich zu Rissen. Schliesslich beschloss man, zwei Wochen früher abzufahren.
«Dieser Entschluss war nicht einfach zu akzeptieren, heute weiss ich aber, dass es die richtige Entscheidung war», erklärt Seydel. Trotz des Erlebten werden er und Wanda Segginger den kommenden Sommer wieder auf denselben Alpen verbringen, mit dem Unterschied, dass sie schon einiges mehr an Vorwissen mitbringen.
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So nutzte Seydel die Wintermonate, um eine detaillierte Karte «seiner» Schafalp zu erstellen. Er analysierte die Risse und Schwachstellen in den Zäunen, plant neue Weiden, Zäune, Nachtkoppeln und Netzdepots. Zusätzlichen Arbeitsstunden wurden versucht zu berechnen, weiteres Personal wird wohl nötig sein. Diese Planung war für ihn auch ein wertvolles Verarbeiten des letzten Alpsommers: «Wir Hirten können die Politik und die Wolfssituation nicht ändern, doch wir können aus unseren Erfahrungen zu lernen.»
Austausch und Networking
Rege wurden am Äpler(innen)-Treff Telefonnummern ausgetauscht. Ein Blick auf die überfüllten Pinnwände zeigte, es wird alles gesucht: Sennen, Hirt(innen), Küher(innen), Helfer(innen), Haushälter(innen). Auf der anderen Seite ist das Personalangebot sehr vielfältig. Erfahrene Älpler(innen) wünschen neue Herausforderungen, Städter wollen Alpluft schnuppern und Neulinge suchen ihre Bestimmung in den Bergen. Doch an das Plantahof-Treffen kommt man nicht nur aus Personalgründen, erklärte der Älpler Fridli Jöhl: «Ich schätze den Austausch und die Diskussionen untereinander sehr, hier bekomme ich viele neue Ideen und wir Älpler sind unter uns.» [IMG 5]
Zum letzen Mal fand der Anlass im Januar statt. «Die Stellensuche hat sich in den letzten Jahren nach vorne verschoben. Alpmeister beginnen heute bereits im Herbst mit der Suche nach neuem Personal. Diesem Trend wollen wir entgegenkommen», erklärt Giorgio Hösli von der IG-Alp. Aus diesem Grund wird für die Alpsaison 2024 der Älplertreff bereits am 25. November 2023 stattfinden.


