Im Frühling fangen die Jungwölfe an, durch Gebiete zu streifen, wo es bislang keine Wölfe gab, und fallen Nutztiere an – so geschehen in den vergangenen Wochen in der Ostschweiz. Herdenschutz wird immer mehr zum Thema. Der Zürcher Landwirt Hans Egli setzt sich im Kantonsrat dafür ein, dass zumindest Herdenschutzhunde-Halter von der Hundeabgabe befreit sind.
Warum wollen Sie Herdenschutzhunde von der Hundesteuer befreien?
Hans Egli: Es gibt auch im Kanton Zürich Herdenschutzhunde-Züchter und Schafhalter, die Herdenschutzhunde halten. Die machen bereits viel für den Herdenschutz und berappen das meiste aus dem eigenen Sack. [IMG 2] Für sie ist es eine finanzielle Erleichterung, wenn die Hundesteuer auf Herdenschutzhunde wegfällt. Die Allgemeinheit will Wölfe, also darf man nicht jene zur Kasse bitten, die ihre Herden schützen wollen. Man muss Schafhalter und Herdenschutzzüchter auch im Unterland etwas entlasten und vermehrt unterstützen.
Auf wann denken Sie, könnte eine Änderung bei der Besteuerung von Herdenschutzhunden eintreten?
Laut den Verwaltungsabläufen hat der Regierungsrat zwei Jahre Zeit, eine Gesetzesanpassung dem Kantonsrat vorzulegen. Aber der Regierungsrat war ja einverstanden mit der Änderung und seitens der übrigen Parteien gab es keine Opposition. Auch gilt die Befreiung von der Hundeabgabe schon für Blindenhunde, Polizeihunde, Rettungshunde usw. So muss man den Artikel im Hundegesetz einfach um eine Kategorie erweitern. Eigentlich könnte das in wenigen Wochen gemacht werden. Ich hoffe schon, dass diese Anpassung in einem Dreivierteljahr spruchreif sein wird.
Der Regierungsrat misst Herdenschutzhunden im Kanton Zürich eine eher untergeordnete Rolle bei. Teilen Sie die Meinung der Kantonsregierung, dass man keinen Nachholbedarf hinsichtlich eines wirkungsvollen Herdenschutzes sehe.
Der Zürcher Regierungsrat geht vom Istzustand aus. Das ist blauäugig. Der Wolfsbestand entwickelt sich trotz Abschüssen exponentiell und Jungwölfe müssen neue Reviere suchen. Im Kanton Zürich wurden in letzter Zeit vermehrt Wölfe gesehen. Wölfe werden sich auch im Unterland mehr und mehr ausbreiten, und es ist nicht ausgeschlossen, dass sich im Zürcher Oberland auch ein Rudel bilden könnte. Immer mehr Zürcher Landwirte werden gezwungen sein, Herdenschutz zum Schutz ihrer Tiere ergreifen zu müssen. Demzufolge wird auch die Nachfrage nach Herdenschutzhunden im Kanton Zürich steigen.
Ist damit zu rechnen, das Wölfe vermehrt ins Unterland flüchten, wenn in Graubünden oder St. Gallen reguliert wird?
Tiere, die bejagt werden, flüchten. Wölfe sind ja nicht dumm. Sie weichen in Regionen aus, wo sie sich geschützt fühlen – und das ist klar auch im Kanton Zürich. Ausserdem sind Wölfe sehr anpassungsfähig und passen sich ihrem Umfeld an. Also ich bin überzeugt, dass sich in den nächsten Jahren im Unterland Rudel ansiedeln werden.
Stefanie Giger: «Die Risse sollten ein Warnzeichen sein»
Macht der Kanton Thurgau genug, um Nutztiere vor Wolfsrissen zu schützen?
Stefanie Giger: Der Schutz der Nutztiere obliegt dem Halter, darauf hat der Kanton keinen Einfluss. Aber die kürzlich erfolgten Risse bei Alpakas sollten ein Warnzeichen sein. Ich würde es begrüssen, wenn eine Fachgruppe Herdenschutz mit Beteiligung der Jagdverwaltung, der kantonalen Wildhut, des Arenenbergs und des Verbands Thurgauer Landwirtschaft ins Leben gerufen würde. Aber, und da habe ich nachgefragt, die Regierung sieht im Moment keine Notwendigkeit für ein Wolfskonzept, das so eine Fachstelle beinhalten würde.
Gibt es am Arenenberg keine Herdenschutzfachstelle?
Bis dato nicht. Der Kanton Thurgau hat die kantonale Herdenschutzberatung, für die er eigentlich zuständig wäre, an die Beratungsstelle Agridea in Lindau ZH ausgelagert. [IMG 3] Ich will deren Kompetenzen gar nicht infrage stellen, aber Lindau ist nun mal nicht der Kanton Thurgau. Eine gute und vertrauensvolle Fachberatung sollte auch bei uns möglich sein. Es reicht nicht, die Tierhalter auf die Agridea-Website und Merkblätter zu verweisen.
Zumindest sieht der Thurgau in der Botschaft zum revidierten Hundegesetz eine Steuerbefreiung für Herdenschutzhunde vor. Das ist doch schon ein erster Schritt?
Diesbezüglich geht der Kanton Thurgau voran – obwohl der Einsatz von Herdenschutzhunden im Thurgau kaum verbreitet ist. Der Umgang mit Herdenschutzhunden ist nicht unproblematisch. In dicht besiedelten Gebieten kann es immer zu Konflikten mit der Bevölkerung kommen. Interview dc
Mathias Rüesch: «Es braucht parallel dazu die Regulierung»
Was halten Sie von der Jagdverordnung, die aktuell in der Vernehmlassung ist?
Mathias Rüesch: Einerseits begrüssen wir die aktuelle Gesetzeslage, dass man Wölfe regulieren kann. [IMG 4] Andererseits gibt es verschiedene Punkte, die unschön für die Landwirtschaft sind, beispielsweise dass im Massnahmenkatalog der Sofortmassnahmen die Beiträge für das Hilfspersonal gestrichen wurden. Die aktuelle Version zielt nur auf Notfallhilfspersonal, Wolfswehren oder Ähnliches. Dass diese Anpassungen extrem kurzfristig vor dem Alpsommer 2024 kommuniziert wurden, macht es für die Älplerinnen und Älpler sehr schwer. Ganz grundsätzlich und unabhängig von der Jagdverordnung ist die Entschädigung für Herdenschutzmassnahmen und für den Zusatzaufwand für die betroffenen Kreise viel zu tief angesetzt.
Macht Ihr Kanton genug für den Herdenschutz?
Am landwirtschaftlichen Zentrum gibt es eine Herdenschutzberatung, die in diesem Jahr mit Stellenprozenten aufgestockt wurde. Der Herdenschutz ist extrem aufwendig und bedeutet für jeden einzelnen Betrieb einen riesigen Aufwand. Das suchen wir nicht – zumal der Wolf auch schon in der Vergangenheit gelernt hat, Herdenschutzmassnahmen zu umgehen. Herdenschutz allein reicht nicht aus. Es braucht parallel dazu die Regulierung. Die Wölfe müssen lernen, dass ihr Aufenthalt im Siedlungsraum und in Nähe von Nutztieren tödlich ist.
Sollte man im Kanton St. Gallen nicht auch die Hundesteuer für Herdenschutzhunde abschaffen?
Das wäre begrüssenswert und eine Erleichterung für die Herdenschutzhunde-Besitzer. Ein solches Zeichen seitens des Kantons würden wir sehr begrüssen. Eine entsprechende Anpassung des kantonalen Hundegesetzes wäre ein starkes Signal in die Richtung der Herdenschutzhunde-Besitzer und der Landwirtschaft.
Walter Grass: «Herdenschutz gleicht einem Wettrüsten»
Macht Graubünden genug für den Herdenschutz?
Walter Grass: Der Kanton macht viel, und der Herdenschutz auf den Alpen wird gut umgesetzt. [IMG 5] Bedauerlich ist, dass die Bundesbeiträge für den Herdenschutz gekürzt wurden. Aber man muss realistisch sein, Herdenschutz ist ein jährliches Wettrüsten mit immer mehr Massnahmen, um die Herden vor dem Wolf zu schützen. Selbst unser Regierungsrat hat einmal gesagt, dass der Herdenschutz gescheitert sei. Umso wichtiger ist die Regulation. Aktuell leben mindestens elf Rudel auf dem Kantonsgebiet, allein im Jahr 2023 sind im Kanton 53 neue Welpen geboren worden.
Sie bemängelten im Grossen Rat die zögerliche Haltung der Regierungsrätin. Bewegt sich nun etwas für eine bessere Regulierung?
Hoffentlich. Ich erwarte, dass man zumindest das umsetzt, was auch die Walliser gemacht haben. Wie seitens des Kantons versichert wurde, sei man auch im Erfahrungsaustausch mit den Wallisern. In diesem Jahr dauert die Regulation vom 1. September bis zum 31. Januar 2025. Die Jägerschaft soll miteinbezogen werden, und man muss Infrastruktur wie zum Beispiel mobile Jagdhütten zur Verfügung stellen.
In wenigen Wochen beginnt die Alpsaison. Reicht der neue Zusatzbeitrag für einzelbetriebliche Herdenschutzmassnahmen, um den Aufwand abzugelten?
Die Fr. 250.– pro Normalstoss reichen allenfalls, um die Materialkosten zu decken, aber sicher nicht, um den Arbeitsaufwand abzugelten.
Sollte man in Graubünden die Hundesteuer für Herdenschutzhunde abschaffen?
Es ist sicherlich eine wünschenswerte Massnahme und auch umsetzbar. Wenn einer vier bis sechs Herdenschutzhunde hat und pro Hund eine Abgabe von Fr. 100.– entrichtet werden muss, wäre das eine Entlastung. Aber in Graubünden müsste man das auf Gemeindeebene regeln.
Thomas Elmer: «Eine Alibisache und löst unser Problem nicht»
Am 1. Mai gab der Kanton Glarus eine Änderung der kantonalen Jagdverordnung in die Vernehmlassung. Dabei sollen in einem Pilotprojekt einzelne Wölfe von Rudeln mit Sendern versehen werden. Als wie praktikabel betrachten Sie so ein Wolfsmonitoring?
Thomas Elmer: Das war eine Motion von einem bäuerlichen Landrat im April 2023 – also, bevor Bundesrat Rösti im November 2023 eine Regulation von schadstiftenden Wolfsrudeln zuliess. [IMG 6] Unsere damalige Stossrichtung war eine bessere Überwachung der Wölfe, sodass die Jagdverwaltung aktiver wird. Die Kosten für das nun ausgearbeitete Projekt sind enorm und würden laut Regierung Fr. 237 000.– pro Jahr ausmachen bzw. für die vierjährige Dauer nahezu Fr. 800 000.–. Einfacher und günstiger wäre es, die proaktive Regulation voranzutreiben und bei der Wildhut für die nötige Verstärkung zu sorgen.
Wie kann Glarus den Herdenschutz unterstützen, wenn der Bund Beiträge kürzt?
Der Kanton wird gezwungen sein, die fehlenden Bundesmittel zu kompensieren. Ein Stück weit sehe ich es als Chance, dass auch wolfsfreundliche bzw. wolfsneutrale Stimmbürger aufgrund der Kosten Druck machen, sodass die Regulation vorangetrieben würde.
Die Glarner Landwirtschaft war sehr unzufrieden, wie es mit der Regulation lief. Ändert sich nun etwas?
Wir hatten allen Grund, unzufrieden zu sein, und ich hoffe, dass sich auf September etwas bewegt. Positiv ist, dass bei den Wahlen im März Thomas Tschudi in die Regierung gewählt wurde und das Departement Bau und Umwelt übernimmt. Wir hoffen, mit ihm einen landwirtschaftsfreundlicheren Regierungsrat zu haben. Auch haben wir von der Bauerngruppe Glarus Süd einen Memorialsantrag eingereicht. Wir wollen, dass durch den Wolf verursachte Schäden an Grossvieh auch ohne Nachweis eines technischen Herdenschutzes entschädigt werden. Ebenso braucht es eine Entschädigung für Tiere, die vermisst und nicht mehr auffindbar sind.
Herdenschutzhunde sind im Kanton Glarus nicht steuerbefreit. Sollte man diese auch von der Hundesteuer befreien?
Das ist so eine Alibisache und löst unser Problem mit dem Wolf nicht – zumal die Haltung von Herdenschutzhunden nicht unproblematisch ist. Wir müssen einfach so weit kommen, dass alle kapieren, dass eine Koexistenz mit dem Wolf nur möglich ist, wenn die Bestände stark reguliert werden – nach dem Beispiel von Norwegen. Dort sind nur ca. 5 % der Landesfläche als offizielles Wolfsgebiet eingestuft, wo sich Rudel bilden dürfen. Die Ausbreitung wird durch Abschüsse strikt begrenzt. Die Regierung setzt dies trotz des Widerstands von Umweltorganisationen durch, weil sie die traditionelle Landwirtschaft mit der Rentierzucht schützen will. Wir hier brauchen auch Schutz für unsere Weidewirtschaft und Sömmerung.

