Nur zwei Monate hatten die Kantone im letzten Winter, um die präventive Regulierung schadenstiftender Wolfsrudel in Angriff zu nehmen. Gross waren die Hoffnungen deshalb für das nächste Zeitfenster – ab diesem Jahr dürften die Kantone schon ab Beginn der offiziellen Saison am 1. September mit der Regulierung beginnen. Zu diesem Zeitpunkt lagen die Gesuche der Kantone aber noch unbeantwortet auf den Schreibtischen des Bundesamts für Umwelt (Bafu) in Bern. Mindestens 15 Arbeitstage brauche es für ein Gesuch, gab dieses pflichtbewusst am letzten Arbeitstag im August per Medienmitteilung bekannt, natürlich nur, «sofern die Unterlagen vollständig sind». Das sind in Bundesbern, wo die Fünftagewoche gilt, drei Wochen.
Bündner dürfen schiessen
Somit reichte es nicht einmal dem schnellsten Kanton für einen pünktlichen Jagdbeginn. Die Bündner, die dem Vorab-Rudel in der Surselva endlich den Garaus machen wollen, haben ihr Gesuch bereits am 15. August eingereicht. «So, wie es aussieht, sind Bund und Kantone von verschiedenen Annahmen ausgegangen und gewisse Abläufe müssen sicherlich für das nächste Jahr verbessert werden», kommentiert Adrian Arquint, Leiter des Amts für Jagd und Fischerei Graubünden, auf Anfrage. Am Dienstag war es dann doch so weit. «Wichtig ist nun, dass wir die Zustimmung erhalten haben und dass wir jetzt mit unserer Regulationsarbeit beginnen können», teilte Arquint am Dienstagabend mit und fügte an: «Wir haben glücklicherweise etwas mehr Zeit als im vergangenen Jahr, nämlich von morgen an bis Ende Januar 2025.»
Bafu schweigt
Deutlich später dran sind die Waadtländer (14. August), die Walliser (21. August), die St. Galler (26. August) und die Tessiner (28. August). Für einen pünktlichen Jagdbeginn hätten die Gesuche Anfang August eingereicht werden müssen – zu einem Zeitpunkt also, zu dem «die Kantone noch nicht alle Angaben zur Anzahl der in der Saison 2024 geborenen Jungwölfe» hatten, wie das Bafu in einer Mitteilung schreibt. Ob die Kantone über die Dreiwochenfrist informiert worden waren, war beim Bafu bis Redaktionsschluss nicht in Erfahrung zu bringen.
Nationalpark betroffen
Gemäss Medienmitteilung geht das Bundesamt aber ohnehin davon aus, dass viele Gesuche erst noch folgen werden. So hat der Kanton Graubünden bereits ein weiteres Gesuch gestellt: Am 3. September reichte dieser ein Gesuch für den Abschuss des sogenannten Fuorn-Rudels ein. Dabei handelt es sich um das einzige Wolfsrudel im Schweizer Nationalpark. Grund für den Antrag ist ein tödlicher Angriff auf ein Rind.
Nationalparkdirektor Urs Haller sagte der Nachrichtenagentur Keystone-SDA, er stehe dem Vorhaben kritisch gegenüber und hinterfrage die Regelung, dass beim Riss eines Rindes bereits ein ganzes Rudel «ausgelöscht» werden könne. Der Verein CH Wolf, der im November 2023 bei der Berner Konvention Beschwerde gegen die revidierte Jagdverordnung eingereicht hatte, sieht damit gar eine rote Linie überschritten. Bereits mit der vorliegenden Bewilligung dürfte im Nationalpark geschossen werden. «Mit dem Erteilen der Bewilligung, das Nationalpark-Rudel zu regulieren, verstösst der Bund eklatant gegen das Bundesgesetz über den Schweizerischen Nationalpark», schreibt der Verein in einer Mitteilung. Dort sei die Natur vor allen menschlichen Eingriffen geschützt.
Rudel im Jura soll verschwinden
Derzeit plant der Kanton Wallis die Entnahme der vier Rudel Nanz, Augstbord, Hérens-Mandelon und Les Toules. Eine weitere vollständige Entnahme hat der Kanton Waadt beantragt. Sie betrifft das Rudel am Mont Tendre im Waadtländer Jura. Der Kanton St. Gallen will beim Gamserrugg-Rudel eingreifen und maximal die Hälfte der Welpen abschiessen. Im Tessin ist das Onsernone-Rudel im Fadenkreuz: Hier möchte der Kanton die Hälfte der nachgewiesenen Jungtiere entnehmen. In den Rudeln Val Colla und Carvina sollen zwei Drittel der Welpen abgeschossen werden. Graubünden darf bei allen Rudeln zwei Drittel der diesjährigen Jungtiere sowie das ganze Vorab-Rudel abschiessen.
Mehr Personal für die Jagd
Der Schweizer Bauernverband (SBV) fordert von den Kantonen, dass sie «nun die nötigen personellen Ressourcen sicherstellen, um das Zeitfenster für die aktive Regulierung effizient zu nutzen». Aktuell verdoppele sich die Zahl der Wölfe alle zwei Jahre, was die Plafonierung auf einem erträglichen Niveau zwingend notwendig mache, so die Mitteilung des SBV. Dabei bleibe auch die reaktive Regulierung nach Schadensfällen wichtig. Von einer tragbaren Situation sei die Schweiz noch weit entfernt. «Die aktive Bestandesregulierung der Wölfe muss zu einer tatsächlichen Begrenzung der Wolfsbestände führen», verlangt der SBV. Es brauche deshalb weitere Anpassungen im Jagdgesetz.
Namentlich fordert der SBV eine Reduktion der Schadschwellen, bei deren Überschreiten Raubtiere reguliert werden dürfen, und geeignete Sofortmassnahmen, um eine Wiederholung von Schadereignissen zu verhindern. Als Beispiel bringt der SBV den Verteidigungsabschuss ins Spiel. Ferner sollen auch Risse auf nicht schützbaren Alpen uneingeschränkt entschädigt werden und bei den Ereignissen, die zum Erreichen der Schadschwelle führen, mitgezählt werden. Damit wäre ein früheres Eingreifen möglich. Der SBV unterstütze die Herdenschutzmassnahmen, hält der Verband in seiner Mitteilung fest. Diese müssten aber ausgebaut werden. So gebe es derzeit zu wenig geprüfte Herdenschutzhunde, weshalb die Zulassung weiterer Rassen geprüft werden müsse. Auch sei das finanzielle Engagement des Bundes für den Herdenschutz sowie die Herdenschutzhunde weiterhin zwingend.
