Verletzungen gehören zum Schwingsport wie Hitzewellen zum Sommer. Das weiss niemand besser als die «Schwinger-Mütter». Der menschliche Körper ist wohl nicht darauf ausgelegt, 100 Kilo ruckartig zu bewegen oder unter derselben Last im Sägemehl begraben zu werden. Matthias Herger, der älteste der vier Söhne der Urner Bergbäuerin Annagreth Herger, hat sich einen Monat vor dem Saisonhöhepunkt Unspunnen am Nordwestschweizer Teilverbandsfest im Anschwingen eine Ellbogenverletzung zugezogen. Er wird, so steht seit Dienstag fest, den Unspunnen wieder verpassen. Verletzungsbedingt ist das dem 33-fachen Kranzer schon bei der letzten Ausgabe vor sechs Jahren widerfahren.

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Unbändiger Bewegungsdrang bei Matthias

Annagreth Herger will nicht lamentieren. Sie kennt ihren Sohn zu gut. Natürlich sei es schade, aber Matthias sei einer, der das wegstecke, der sich nie in den Sport verbissen habe und immer mit offenen Augen durchs Leben gehe. So war er schon als Kind. Die Bäuerin beschreibt ihn schmunzelnd als «sehr aufgeweckt mit unbändigem Bewegungsdrang».

Abgesehen von unserer kleinen Serie über bäuerliche Schwinger-Mütter lohnt sich ein Besuch bei Paul und Annagreth Herger nur schon wegen der Wohnlage. Über Jahrzehnte war eine Seilbahn die Lebensader und einzige praktische Verbindung vom Betrieb «Kessel» im Schächental, «sonnenhalb», wie man hier die Sonnseite bezeichnet, runter ins Tal nach Bürglen UR. Alternativ musste über einen fast einstündigen Umweg zugefahren werden. Die neue Zufahrt auf kürzestem Weg den Hang hoch wurde diesen Sommer nach längerer dreietappiger Bauphase fertiggestellt und erleichtert das Leben auf dem auf 1400 m ü. M. hoch gelegenen Ganzjahresbetrieb ungemein. Die vier erwachsenen Kinder gingen noch mit der Seilbahn in die Schule, und auch zum Schwingen im Fall von Matthias, Andreas und dem Jüngsten Elias. Sie nahmen dann morgens auch gleich die Verkehrsmilch der Braunviehkühe mit ins Tal.

Gemüsegarten auf 1400 m ü. M.

Die 24 ha LN, Pacht inklusive, auf dem Betrieb Kessel sind in Hanglage. Über den Sommer ist das Milchvieh auf Alpen und Hergers sind mit dem aufwendigen Heuen beschäftigt. Wobei die Hauptarbeit bei Paul liegt, unterstützt wird er von seinen Söhnen. Annagreth arbeitet in einem 40-Prozent-Pensum auswärts. Die 53-jährige Bäuerin pflegt auf dieser Höhe einen Gemüsegarten mit fast einem Dutzend Sorten zur Selbstversorgung. Gekauft werden eigentlich nur Bohnen und Kartoffeln. Dieses Jahr blieb der Garten schadlos. Sommergewitter sind fast an der Tagesordnung. Die Winter hier oben sind lang und Annagreth Herger, selbst auf einem Urner Bauernhof mit Alp aufgewachsen, erlebte schon Schneehöhen von 2 Metern. Ganz eingeschneit und von der Umwelt abgeschlossen waren sie aber nie. «Die Seilbahn fährt immer», sagt sie, ausser bei starkem Wind.

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Zu Fuss auf die Skipiste

Seit der Heirat mit Paul vor gut 30 Jahren kennt und schätzt die gelernte Floristin die Abgeschiedenheit. Das Vereinsleben suchte sie nicht, nur schon aus praktischen Gründen. «Lesen, Handarbeiten und natürlich der Garten», sind die Hobbys der Mutter von Elias, Lukas, Andreas und Matthias im Alter von 17 bis 28 Jahren. Und im Winter Skifahren. Dazu kämpfen sich Hergers zu Fuss hoch auf den Berg. Dort befindet sich nämlich die Bergstation des kleinen Skigebiets Biel-Kinzig. Oben angekommen, sei man froh, die komplette Ausrüstung dabei zu haben, sagt Paul Herger süffisant. So war der Schwing-Eidgenosse Matthias Herger bereits als Dreijähriger auf Skiern.

Zum Schwingsport kam er spät, erinnert sich die Mutter. Begonnen habe er zwar schon als Neunjähriger mit Nationalturnen. Zu den Disziplinen gehören auch Ringen und eben Schwingen. Schwingen war aber nicht so beliebt bei Matthias, das Sägemehl habe ihn «gekratzt», sagt Mutter Herger. Die ersten Jungschwingen bestritt er erst im Alter von 15 Jahren.

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Sie bleibt lieber im Hintergrund

Annagreth Herger gehört nicht zu den Sportlermüttern, die an jedem Wettkampf zuvorderst mitfiebern. Wobei sie zugibt, dass es sie eher beruhige, wenn sie am Fest selbst sei. Zu Hause sei die Ungewissheit grösser. Man merkt, die Gesundheit ist wichtiger als der sportliche Erfolg. In Pratteln, als Matthias Herger vor einem Jahr den Kranz holte am Eidgenössischen, war sie aber unter den Zuschauern. «Zum Glück», wie sie sagt. Eindrücklich war es.

«Zum Glück war ich dabei in Pratteln.»

Beim Kranzgewinn von Sohn Matthias war Annagreth Herger vor Ort.

Dass Matthias Herger heute noch schwingt, ist keine Selbstverständlichkeit. Vor Jahren hatte er sich so ziemlich alles gerissen, was man braucht, um den Ellbogen bewegen zu können. Herger setzte allerdings nie alles auf die Karte Schwingsport. Nach der Lehre als Landmaschinenmechaniker machte er die Berufsmatur und studierte Maschinenbau. Das Programm nebenbei helfe, Rückschläge im Sport zu verkraften, ist die Mutter überzeugt. Auch wenn es für Besuche hier oben im Kessel zeitlich manchmal knapp wird.

Gelassen blicken Hergers auch in die Zukunft. Sohn Andreas absolviert die Lehre als Landwirt. Er hat bereits die Abschlüsse als Schreiner und Zimmermann in der Tasche. Ob er dereinst auch noch Milch produziert und mit der Seilbahn ins Tal liefert, werde man dann sehen.

Mini-Serie

Dies ist der dritte und letzte Artikel der kleinen Serie über die Mütter von bäuerlichen Kranz­schwingern im Vorfeld des Unspunnen-Schwinget von Sonntag.