Abo Das Schweizer Mittelland ist stark landwirtschaftlich geprägt. Hier wurde bezüglich ökologischer Infrastruktur ein grosses Defizit festgestellt. Strategie Biodiversität Beschluss bekommt Risse: Was wird nun aus der Ökologischen Infrastruktur? Tuesday, 19. December 2023 Was ist wichtiger: Biodiversität oder Lebensmittelproduktion? Das ist eine Frage, die sich so nicht stellen darf. Denn wir brauchen beides – was im Grunde auch niemand bestreitet. Der grosse Streitpunkt ist seit Jahren das Wie: Wie bringt man beides unter einen Hut – oder besser, alles auf eine begrenzte Landesfläche?

Blinde Flecken bei der Biodiversität 

Die Produktion zu intensivieren, um gemäss Verfassungsauftrag eines «wesentlichen Beitrags zur sicheren Versorgung» der wachsenden Bevölkerung zu leisten, funktioniert nur bedingt. Das zeigt primär das Ausland, denn die Schweiz verfügt mit den ÖLN-Anforderungen über eine eingebaute Bremse für die Intensivierung. Aber auch hierzulande werden einem immer wieder die alarmierenden Zahlen des Bundes um die Ohren geschlagen: Die Hälfte der Lebensräume in der Schweiz und ein Drittel der Arten hierzulande sind bedroht. Im aktualisierten Synthese-Bericht zu den Roten Listen ist zudem zu lesen, dass mangels Experten und Daten insbesondere bei Insekten nur ein kleiner Teil der bekannten Arten hinsichtlich Aussterberisiko beurteilt worden seien – gerade mal 10 Prozent. Ausserdem nehmen Fachleute an, dass es hierzulande weitere 20 000 noch nicht entdeckte Insektenarten gibt. Sterben diese aus, merkt es niemand.

Es fällt auf, wenn etwas fehlt

Oder doch? Leider fällt der Nutzen eines Puzzleteils häufig erst dann auf, wenn es fehlt. Es kann für den Mäusedruck durchaus eine Rolle spielen, ob Greifvögel und Wiesel in Feldnähe Sitzwarten und Versteckmöglichkeiten finden. Ausrotten werden diese Jäger die Nager nicht, aber sie können die hohen Wellen ihrer zyklischen Populationsentwicklung brechen und Totalschäden verhindern. Im Kleinen funktioniert es mit Insekten gleich. Sie agieren als Bestäuber, natürliche Feinde oder Nahrungsquelle für grössere Tiere. Jedenfalls, solange sie in ausreichend grossen Beständen und zur richtigen Zeit am richtigen Ort überleben können.

Kein gutes Zeugnis

Abo Die grosse Artenvielfalt in der Schweiz führt Marcel Züger auf die abwechslungsreiche Topografie zurück. Eine «Problemzone» sei das Mittelland, genauer die Agglomerationen und ihr Umfeld. Studie im Auftrag des SBV «Positive Tendenz»: Ein gänzlich anderer Befund zur Biodiversität Friday, 31. May 2024 Der drohende Verlust von Arten und Lebensräumen lässt sich nicht wegdiskutieren. Man dürfe aber auch keine Biodiversitätskrise herbeireden, heisst es beim Nein-Komitee der Biodiversitäts-Initiative (BDI). Verschiedene Arten wie Störche, Rotmilane oder Luchse seien im Aufwind. Nur bringt das der Landwirtschaft wenig. Dass es beispielsweise bei den Insekten anders aussieht, hat das Parlament mit der Annahme einer Motion «zur Sicherstellung der Bestäubung» kürzlich anerkannt. Der Rückgang kleinerer Vogelarten, die auf Insektennahrung angewiesen sind, stellt dem Zustand der Sechsbeiner in der Schweiz auch kein gutes Zeugnis aus. Der Sinkflug der Bodenbrüter und von Kulturlandbewohnern wie dem Feldhasen sind weitere Indikatoren, dass es – allen nachweislichen Bemühungen vonseiten der Landwirtschaft zum Trotz – bisher eben doch nicht reicht. Zahlenmässig sind die Ziele des Bundes übertroffen und 19 Prozent BFF auf der LN ausgewiesen – doch nur ein Prozent im Ackerland. Hinzukommt die Qualitätsfrage, bei der die BDI-Gegner ansetzen wollen.

Die BDi hat keine Antwort auf den Flächenkampf

Die Frage nach der richtigen Umsetzung von Biodiversitätsschutz und -förderung artet aber vor der Abstimmung zu einem Kampf um Flächen aus. Die Schweiz ist klein, die Interessen – Landwirtschaft, Energieproduktion, Siedlungsraum, Tourismus, Verkehr – sind zahlreich. Die BDI hat keine Antwort darauf, will aber wörtlich «die zur Sicherung und Stärkung der Biodiversität erforderlichen Flächen, Mittel und Instrumente» gewährleisten. Weiter verlangt sie den «ungeschmälerten Erhalt der Kerngehalte von Schutzwerten». Was darunter zu verstehen ist, müsste bei einer Annahme das Parlament definieren. Weder der Initiativtext noch die Botschaft des Bundesrats seien bei diesem Begriff direkt anwendbar, heisst es in einem Rechtsgutachten im Auftrag der Initianten. Das lasse viel Raum für die Konkretisierung auf Gesetzesebene.

Was heisst «Schutz»?

Abo Viele Ackerbegleitpflanzen wie der Frühe Zahntrost (vorne, violett blühend) und der Acker-Hahnenfuss (rechts, gelbe Blüte und stachelige Frucht) brauchen viel Licht am Boden. Man findet sie oft in der Nähe von Ameisenhaufen, da Ameisen ihre Samen verbreiten. Förderung der Biodiversität 80 Prozent der BFF sind Grasland: «Es fehlt das Andere» Friday, 21. June 2024 Zu definieren ist insbesondere auch der «Schutz» der Biodiversität. Denn längst nicht alle Arten profitieren davon, wenn ein Gebiet oder eine Fläche sich selbst überlassen wird. Ein Beispiel ist die Ackerbegleitflora, die nur auf extensiven Feldern aufkommen kann. Der Mensch und Landwirte im Speziellen haben mit ihrem Tun die Fähigkeit, die Vielfalt des Lebens zu fördern. Wenn das gelingt, entsteht ein System, in dem die landwirtschaftliche Nutzung integriert ist und das besser gegen Störungen wie Klimawandel oder neue Schädlinge gewappnet ist. Man kennt das Prinzip von Gründüngungen, in deren Mischungen verschiedene Arten je nach Witterung die Schwächen der anderen kompensieren und am Ende für eine gute Bodenbedeckung sorgen. Die Vielfalt gibt es leider – wie jede Versicherung – nicht gratis. Da wäre es sinnvoll, die erforderlichen Mittel vom Staat zu sichern.

Das Ihrige beitragen

Im Gegensatz zur BDI ist der Entscheid über die Acker-BFF bereits gefallen: Die Pflicht zu 3,5 Prozent kommt nicht. Ackerschonstreifen, Nützlingsstreifen, Säume, Getreide in weiter Reihe und Brachen bleiben aber ein Instrument, mit dem Landwirte die Biodiversitätsförderung umsetzen und ein bestehendes Defizit angehen können. Denn heute sind über 80 Prozent der BFF in der Schweiz Grasland.

Obwohl Landwirt(innen) nicht alleine für den Erhalt der biologischen Vielfalt zuständig sind und sie auch nicht im Alleingang retten können, so trägt die Landwirtschaft doch zumindest einen Teil der Verantwortung dafür. Das gilt es, der Bevölkerung zu erklären – damit sie das Ihrige für einen SVG in der gewünschten Höhe und genügend Raum für die Biodiversität beitragen kann.