Auf dem Obstbaubetrieb von Jörg Streckeisen ist dieser Tage viel los. Zwei Mitarbeiter sind daran, eine neue Hagelschutzanlage zu erstellen, die ein Unwetter letztes Jahr zerstört hat. «Eigentlich würde ich meine Energie lieber in den Betrieb investieren, anstatt mich mit dem Amt für Umwelt herumzuschlagen», sagt der Landwirt auf dem Betriebsrundgang. Kurze Zeit später stehen er und seine Frau Margrit auf einer Wiese neben einer Obstanlage südwestlich des Betriebs. Hier hat es Altlasten im Boden.

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Historischer Hintergrund
Die Anfänge der Geschichte gehen weit zurück. Im 20. Jahrhundert betrieb die Firma Minger in Andhausen eine Gerberei. Zum Gerben kam  am Anfang Eichenrinde, und irgendwann das Schwermetall Chrom zum Einsatz. Die Abfallprodukte wurden in Absetzwannen gesammelt und vermutlich auf die umliegenden Felder ausgebracht. Verschiedene Parzellen in der Nähe der ehemaligen Gerberei sind heute noch mit Chrom belastet. Bei Jörg Streckeisen sind es 10 a. Anfang der 70er-Jahre wurde hier eine Geländemulde mit dem Gerbereischlamm aufgefüllt. Jörg Streckeisen war da noch ein Kind. Über Umweltschäden habe man sich damals noch keine Gedanken gemacht, sagt er. Es wurde eine Wiese angesät und damit hatte sich die Sache.

Pflug brachte die Altlasten zum Vorschein

Erst als Jörg Streckeisen den Betrieb 1989 übernahm und die Wiese mit dem Pflug bearbeitete, kam der «Dreck» zum Vorschein. Streckeisen beliess es dann bei einer  Wiese und legte daneben eine Obstanlage an. Viel Gras wachse nicht an dieser Stelle, «wir mulchen hier nur». Der Betriebsalltag ist dadurch nicht beeinträchtigt. Doch Streckeisen sagt: «Natürlich stören mich die Altlasten im Boden, aber man wusste es früher halt nicht besser.»

Im Jahr 2007 liess das Amt für Umwelt (Afu) die Parzelle im Grundbuch als belasteten Standort eintragen. Die Auffüllung erstreckt sich über zwei Parzellen, der Nachbar von Jörg Streckeisen ist zu gleichen Teilen beteiligt. Streckeisen sagt: «Es gibt einen genauen Fahrplan für die Vorgehensweise, an den wir uns immer gehalten haben.» Dazu gehören verschiedene Voruntersuchungen.

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Streckeisens Pech ist, dass die ehemalige Gerberei Minger für den Schaden nicht mehr belangt werden kann, da sie zwischenzeitlich aufgelöst wurde. Zudem handelt es sich beim Standort nicht um eine öffentliche Deponie, für welche eine oder mehrere Gemeinden aufkommen müssten.

Kostenverteiler angefochten

Damit müssen Jörg Streckeisen und sein Nachbar als Standortinhaber die Kosten für die Untersuchungen, Variantenstudien und auch die Sanierung des Bodens vorfinanzieren. Zudem handelt es sich beim Standort nicht um eine öffentliche Deponie. Damit müssen Streckeisen und sein Nachbar als Standortinhaber die Kosten für die Untersuchungen, Variantenstudien und die Sanierung des Bodens vorfinanzieren.

«Wir müssen das Geld vorschiessen, danach gibt es einen Kostenverteiler, wer wie viel bezahlen muss.»

Margrit Streckeisen zum Kostenverteiler des Kantons

Ginge es nach dem Afu, müssten die Standortinhaber für 10 Prozent der Kosten aufkommen. «Anfangs hiess es, dass die Sanierung über 1 Million kostet, da habe ich erst mal leer geschluckt», erzählt Streckeisen. Er focht den Kostenverteiler an und wurde schliesslich daraus entlassen. Laut Rekursentscheid kann Streckeisen nicht verantwortlich gemacht werden für die Altlasten. Das Afu musste rund 9000 Franken für den historischen und technischen Untersuch zurückzahlen.

Spezialfolie für 500'000 Franken

Abo Bei einer Explosion im Jahr 1947 wurde eine Bergflanke weggesprengt. Mitholz wurde grösstenteils zerstört.(Bild SRF) Swiss Fleckvieh Evakuierung ist alternativlos: Die Mitholzer müssen weg Sunday, 21. February 2021 2015 ordnete das Afu Detailuntersuchungen an. Denn unter der Altlastendeponie, auf 2,5 Meter Tiefe, verläuft eine intakte Drainageleitung, die in den Tobelbach fliesst. Dort sei die gemessene Konzentration hoch gewesen, sagt Jörg Streckeisen. Auch am Tobelbach liess das Afu Proben nehmen, und die Belastung war – wenig verwunderlich – viel tiefer als in der Parzelle. Streckeisen wirft dem Amt vor, dieses habe danach die Spielregeln geändert. «Sie argumentierten, bei der Konzentration, die im Bach gemessen wurde, sei das Oberflächengewässer nicht schutzwürdig.»

Plötzlich war nicht mehr von einer Totalsanierung die Rede, sondern von einer Minimalvariante. «Als ich diese sah, hat es mir endgültig den Deckel glupft», empört sich Streckeisen. Die Pläne sahen nämlich vor, 50 cm abzutragen und die übrigen 10 bis 20 cm belasteten Schlamm im Boden zu belassen. Auf den abgetragenen Boden käme eine spezielle Folie für 470'000 Franken. Das Afu behauptet, die Schutzfolie sei wasserdurchlässig, aber für Pflanzenwurzeln undurchlässig. Streckeisen kann ob diesem Schwachsinn nur den Kopf schütteln.

Für ihn ist die Folien-Variante, bei der nicht alles belastete Material rausgeholt wird, ein Pfusch. «Das Afu sagt, wir wollen eine Luxusvariante», sagt der Biobauer und ergänzt: «Natürlich wollen wir eine bessere und vor allem praktikablere Lösung.» In seinen Augen ist es unverantwortlich, nur einen Teil der Altlasten rauszuholen.

Betriebsspiegel
Name: Jörg und Margrit Streckeisen
Ort: Berg TG
Betriebstyp: Bio
LN: 17 ha
Kulturen: Äpfel, Birnen
Arbeitskräfte: 3 bis 4 Angestellte
Weiteres: Obstlager für die Tobi Seeobst AG

Zweiter Dämpfer für das Amt für Umwelt

Dreieinhalb Jahre kämpfte Jörg Streckeisen dafür, dass die Folien-Variante wieder verworfen wird – mit Erfolg. Er wandte sich direkt ans Bundesamt für Umwelt (Bafu), welches auch einen Teil der Sanierungskosten trägt. Dieses gab Streckeisen Recht. Nun muss das Afu den Boden bis auf 70 cm abtragen lassen und alles hochbelastete Material aus dem Boden holen. «Mir wären 2,5 Meter lieber, aber das ist unrealistisch», weiss Streckeisen.

Die vom Bafu abgesegnete Variante kostet 600'000 Franken. 40 Prozent zahlt der Bund, je 30 Prozent Kanton und Gemeinde. Doch da kam der nächste Hammer: Streckeisen und sein Nachbar sollen den Betrag, je 300'000 Franken, vorfinanzieren.

«Ich zahle doch nicht für eine Variante, die ich eigentlich gar nicht will.»

Jörg Streckeisen kritisiert die Variante des Kantons

Niemand könne ihm sagen, was da noch alles zum Vorschein komme und was die nächste Generation allenfalls noch aus dem Boden holen müsse.

Margrit und Jörg Streckeisen verlangen, dass der Kanton einen Fonds für solche Fälle schafft oder das Geld beim Bund und der Gemeinde einfordert. Letztendlich müsse der Kanton ja so oder so bezahlen. Beim Brand des Raduner Areals 2015 in Horn habe der Kanton auch vorfinanziert. Ebenso wie beim Brand bei der Tobi Seeobst AG 2018 in Egnach, wo giftiger Löschschaum in eine Wiese floss. «Dort geht es, aber von uns verlangt man, dass wir das Geld vorauszahlen», ärgert sich Jörg Streckeisen. «Ich gehe sicher nicht zur Bank, um einen Kredit zu beantragen für Geld, das mir der Kanton zurückzahlen muss.»

«Leute, die keine Ahnung von der Sache haben»

Mittlerweile füllt der Papierkram bei Streckeisens zwei Ordner. «Ich hatte 2012 damit gerechnet, dass es fünf oder sechs Jahre dauert, aber keine zehn Jahre. Und wir sind noch lange nicht am Ziel», sagt Jörg Streckeisen. Er will Bauern und Verbände sensibilisieren, sich zu wehren. Er ist überzeugt, dass es noch andere Bauern gibt, die Ausfallkosten auf ihrem Land haben, wo keine Gemeinde und keine Firma belangt werden kann. [IMG 4]

Am wütendsten macht ihn, dass er sich mit Leuten rumschlagen muss, die absolut keine Ahnung von der Praxis haben. Vom Afu habe sich nie jemand die Mühe gemacht, die Situation vor Ort anzuschauen. Immer wieder gebe es neue Berichte und Forderungen und dann heisse es, der Kostenvoranschlag sei nicht mehr aktuell.

«Ich hätte das Geld lieber in die Bodensanierung als in Papier investiert.» 33'000 Franken hat sie das bist jetzt gekostet. 9000 Franken zahlte der Kanton bisher zurück. «Das alles hat uns viele Nerven gekostet und jetzt haben wir immer noch eine Variante, die unglaubwürdig und verheerend für die Umwelt ist.» Denn ein Teil des Chroms, so viel ist sicher, wird auch weiterhin ausgewaschen werden und Boden und Gewässer verunreinigen.