Eine bunt blühende Wiese, mit einzelnen Steinen oder Felsen durchsetzt, dazwischen ein Busch Alpenrosen, ein paar Kühe und im Hintergrund das Bergpanorama – die Alpen sind ein Inbegriff eines naturnahen Ökosystems. Und sie sind es dank jener, die sie bewirtschaften: «Die enge Verzahnung von Natur- und Kulturland hat Lebensräume geschaffen, die äusserst reizvoll sind», heisst es beim Forum Biodiversität. Verschiedene Studien belegten denn auch eindrücklich die hohe biologische Vielfalt in den Alpen.
Wachsender Druck
[IMG 4]«Die Biodiversität auf Alpen ist auf einem anderen Niveau als im Talgebiet», bekräftigt Niklaus Hofer, der bei IP-Suisse für den Bereich Biodiversität zuständig ist. Aber es gebe Anzeichen, dass die Vielfalt auch in den alpinen Lebensräumen sinkt. «Der Druck auf diese Flächen wächst», erklärt Hubert Schürmann, Leiter Lebensraum Kulturland bei der Schweizerischen Vogelwarte. Es gebe eine Polarisierung: Gut erreichbare und eher flache Gebiete würden tendenziell intensiver genutzt und dazu z. B. Steine aus dem Weg geräumt oder Flächen eingeebnet. Andererseits verbuschen steile Hänge, deren arbeitsintensive Bewirtschaftung sich nicht mehr lohnt bzw. unter den heutigen Gegebenheiten nicht mehr umsetzbar ist. «Grundsätzlich ist die Biodiversität im Sömmerungsgebiet in einem guten Zustand», so Schürmann. «Aber wir müssen schauen, dass es so bleibt.» Es gelte, einer negativen Entwicklung punkto biologischer Vielfalt wie im Talgebiet zuvorzukommen.
Kein Punktesystem wie im Tal
Mit diesem Ziel vor Augen hat IP-Suisse Richtlinien für ihre Sömmerungsbetriebe ausgearbeitet. Sie umfassen neun Anforderungen, wovon acht erfüllt sein müssen (ein Joker). «Alpen sind sehr unterschiedlich und wir haben schnell gemerkt, dass ein Punktesystem wie im Talgebiet keinen Sinn macht», erläutert Niklaus Hofer. Ein weiterer Unterschied zu den IP-Suisse-Punktesystemen ist der Fokus auf den Erhalt von Bestehendem in den Sömmerungsrichtlinien. «Dort oben sollen keine Hecken gepflanzt werden oder Ähnliches», gibt der Agronom ein Beispiel.
Stattdessen verpflichten sich IP-Suisse-Alpen etwa zur jährlichen Weidepflege und zum Erhalt biodiversitätsfördernder Strukturen wie Steine, Einzelbäume oder Büsche. Die meisten Vorgaben sind darauf ausgerichtet, eine Intensivierung der Nutzung zu verhindern. Daher dürfen – vorbehaltlich der Wahl als Joker – keine Mulchgeräte, Steinbrecher, Handelsdünger oder alpfremder Hofdünger und nur in reduziertem Mass Kraftfutter fürs Rindvieh eingesetzt werden.
Schnell zu viel Stickstoff
Die Restriktionen zu Kraftfutter und Dünger tragen dem sensiblen Gleichgewicht der Nährstoffzufuhr auf Alpen Rechnung. «Durch die Alpwirtschaft hat immer eine Düngung stattgefunden», ist sich Hubert Schürmann bewusst. «Aber die Vielfalt von Tier- und Pflanzenarten reagiert sehr sensibel auf eine höhere Nährstoffzufuhr.» Seltene Pflanzen wie Orchideen gehen zurück und nährstoffliebende Arten wie Blacken werden häufiger, mit den entsprechenden Auswirkungen auf die Tierwelt.[IMG 5]
«Die tieferen Temperaturen in den Alpen verlangsamen den Abbau organischer Substanz stark», heisst es in einem Merkblatt des Inforamas Hondrich. Dadurch sei Stickstoff oft der limitierende Faktor und bereits eine kleine Zugabe verändere die Vegetation, was sowohl den Wert für die Biodiversität als auch den Futterwert reduzieren kann. «Einmal durch Düngung zerstörte Pflanzengesellschaften lassen sich nicht mehr oder nur mit sehr grossem Aufwand wiederhergestellten», warnt das Inforama.
IP-Suisse und die Vogelwarte sind sich bewusst, dass die in Zusammenarbeit mit zwei externen Büros entwickelten Sömmerungsrichtlinien nicht überall wohlwollend aufgenommen werden. «Sie sind aber nicht am Bürotisch entstanden», betont Niklaus Hofer. Vielmehr habe man sich mitAlpbewirtschaftenden ausgetauscht und 20 Alpen besucht. «Wir wollen eine Balance zwischen Schutz und Nutzen sowie Anforderungen, die für eine angemessene Anzahl von Alpen umsetzbar sind.»
Kein Herbizidverbot
Als Resultat der Gespräche mit Betroffenen steht in den Richtlinien kein Herbizidverbot und es gibt die erwähnte Möglichkeit des Jokers. Die Rückmeldungen seien generell unterschiedlich gewesen, sagt Niklaus Hofer. «Man merkt, dass der Druck auf die Älpler hoch ist», erinnert sich Hubert Schürmann. «Sie haben sehr viel Arbeit und befürchten, dass noch mehr auf sie zukommt.» Ihre Leistungen sollten dank der IP-Suisse-Zertifizierung auch an Sichtbarkeit gewinnen, ergänzt der Luzerner, der selbst einen Betrieb im Nebenerwerb führt. Emotional diskutiert worden sei insbesondere das Mulchverbot. Nur als einmalige Sanierungsmassnahme mit Sonder- und allfälliger kantonaler Bewilligung dürfen solche Geräte auf IP-Suisse-Alpen genutzt werden. «Mulchen ist ein massiver Eingriff und für die Tierwelt sehr schädlich», begründet Hubert Schürmann. «Wenn damit eine Weidefläche saniert wird, muss die anschliessende Nutzung stimmen, z. B. mit angepasstem Weidedruck gegen die Verbuschung», ergänzt Hofer.
Prämie bleibt gleich
Ein Knackpunkt bei der Akzeptanz der neuen Sömmerungsrichtlinien besteht darin, dass für deren Erfüllung keine zusätzliche Prämie ausbezahlt wird. Vielmehr wird sie ab 2027 Pflicht für alle, die während der Sömmerung IP-Suisse-Wiesenmilch produzieren wollen oder IP-Suisse-Alpschweine halten. «Bisher mussten Sömmerungsbetriebe mit Wiesenmilch keinen expliziten Mehrwert leisten», gibt Niklaus Hofer zu bedenken. Dass da irgendwann etwas komme für die Prämie von 5 Rp./l, sei vor Jahren angekündigt worden. Wer z. B. aufgrund des Leistungsniveaus seiner Kühe mehr Kraftfutter einsetzen müsste, als die Richtlinien erlauben, kann entweder hier seinen Joker einsetzen oder während der Sömmerung auf Wiesenmilch verzichten. «Man hat 25 kg pro gemolkene Kuh zur Verfügung», bemerkt Hubert Schürmann. «Es lohnt sich, die ganze Herde zu betrachten: Je nach Position in der Laktation brauchen nicht alle Tiere gleich viel Kraftfutter.»
«IP-Suisse steht für ein zusätzliches Engagement im Bereich Biodiversität», fährt Niklaus Hofer fort. «Nach und nach wurden neben dem Punktesystem Biodiversitäts-Anforderungen für Spezialbetriebe wie Reb- und Gemüsebau integriert.» Die Sömmerungsrichtlinien würden daher eine Lücke schliessen, um die eigenen Vorgaben, die Zertifizierung und die Glaubwürdigkeit des Labels in allen Bereichen einzuhalten. Nicht zuletzt werde so die Gleichbehandlung aller Labelproduzenten gewahrt. «Und wir hoffen, mit den Sömmerungsrichtlinien mehr Bewusstsein für den Wert der Alpen zu schaffen», sagt Hubert Schürmann. Künftig könnte also der Käfer auch auf Alpkäse auf die besondere Leistung der Produzenten hinweisen.
Neun Anforderungen und ein Joker
Ein IP-Suisse-Sömmerungsbetrieb muss mindestens acht der folgenden neun Anforderungen einhalten (ein Joker):
Biodiversitätsfördernde Strukturen erhalten: Mindestens 80 Prozent der bewirtschafteten Fläche müssen einen Anteil von mindestens 20 Prozent an wertvollen Strukturen aufweisen (z. B. Geröllflächen, Einzelbäume, alpine Rasen oder Waldweiden).
Kein Einsatz von Mulchgeräten und Steinbrechern: Weidepflege ist nur mit Motormäher (ohne Mulchgerät) oder Motorsense (mit Mulchmesser) erlaubt. Mit Bewilligung ist einmaliges Mulchen zwecks Sanierung möglich.
Keine Terrainveränderungen: Beispielsweise keine neuen Triebwege anlegen oder Dolinen auffüllen. Bestehende Triebwege können mit natürlichen Materialien unterhalten werden.
Jährliche Weidepflege: Standortangepasste Beweidung lenkt den Pflanzenbestand, drängt Gehölzarten zurück und fördert weidetolerante Gräser und Kräuter. Konkrete Massnahmen zu Weidepflege, -räumung und -führung sind schriftlich festzuhalten.
Keine Einsaaten mit standortfremdem Saatgut: In Schweineausläufen oder auf Skipisten ist die Einsaat von Hand mit regionalem, standortangepasstem Saatgut erlaubt.
Inventarisierte Flächen benötigen einen Naturschutzvertrag: Zum Beispiel Trockenwiesen und -weiden von nationaler Bedeutung dem Kanton melden und einen Vertragsabschluss anstreben.
Kein Einsatz von Handelsdünger und keine Zufuhr von alpfremdem Hofdünger: Kantonale Ausnahmebewilligungen werden berücksichtigt.
Reduzierter Einsatz von Kraftfutter für Rindvieh: Auf die gesamte Sömmerungsdauer dürfen pro gemolkene Kuh maximal 25 kg Kraftfutter zugefüttert werden.
Erhöhung der Normalstösse (NST) bedingt gutachterliche Beurteilung: Die kantonal festgelegten NST sind grundsätzlich zur Vermeidung einer Unter- oder Übernutzung einzuhalten.
Details zur Umsetzung
Unter den schweizweit 6500 Alpen sind rund 150 IP-Suisse-Sömmerungsbetriebe. Für die Zertifizierung müssen die Bewirtschaftenden auf einem Luftbild die Alpfläche, die bewirtschaftete und die unbewirtschaftete sowie Naturschutzvertragsflächen einzeichnen (von Hand). Während der zweijährigen Übergangsfrist sind Pilotkontrollen geplant, anschliessend sollen die Labelanforderungen in einem Zug mit den üblichen Alpkontrollen vor Ort überprüft werden. «Wir wollten eine Erstberatung einführen, bei der zusammen das Luftbild gezeichnet wird», sagt Niklaus Hofer. Dagegen habe es aber Widerstand vonseiten der Labelproduzenten gegeben und die Idee wurde fallengelassen. «Die Bewirtschafter ziehen also den Berater ihrer Wahl bei und tragen die einmaligen Mehrkosten selbst», so Hofer. Für ihn ist klar, dass es für die optimale Umsetzung der IPS-Richtlinien – und den Erhalt der hohen Biodiversität auf Alpen – Beratung braucht. Die Labelorganisation will ihre Produzenten u. a. mit Tagungen unterstützen und ihnen die nötigen Informationen zur Umsetzung der Richtlinien geben.
Der Sömmerungsbetrieb wird unabhängig vom Labelstatus des Talbetriebes beurteilt. Bei kollektiver Bewirtschaftung muss die gesamte Alp die Richtlinien Sömmerung erfüllen.


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