Werden Sie diesen Herbst wählen? Wenn ja, gehören Sie zur Minderheit in der Schweiz, die an eidgenössischen Wahlen teilnimmt. In den letzten Jahrzehnten haben im Durchschnitt jeweils nur knapp die Hälfte aller Wahlberechtigten an den nationalen Wahlen teilgenommen. Damit liegt die Wahlbeteiligung paradoxerweise in der direktdemokratischen Schweiz deutlich tiefer als in den meisten anderen Ländern. Die Komplexität des politischen Systems in der Schweiz ist gemäss einer Analyse der «Republik» ein Grund dafür.
Männer über 65 wählen fleissig
Deshalb ist die Mobilisierung der stimmberechtigten Wählenden in Zeiten von eidgenössischen Wahlen ein wichtiges Werkzeug – gerade weil die Mehrheit der Wählenden gemäss Zahlen von «Selects Fors» über 65-jährige Männer sind. Dabei ist der Geschlechtsunterschied markant: Auch 2019 noch nahmen deutlich weniger Schweizerinnen über 65 an den Wahlen teil als gleichaltrige Schweizer. Die Differenz betrug fast 20 Prozentpunkte, wie die Analyse des Magazins «Republik» zeigt.
41 % der Wählenden sind Frauen
Bei den Personen unter 30 hingegen war die Geschlechterdifferenz bereits in den 1970er-Jahren viel kleiner. Über die Jahre ging sie weiter zurück und 2015 nahmen zum ersten Mal sogar mehr junge Frauen an den Nationalratswahlen teil als junge Männer. 2019 waren 49 % der Wählenden Männer und 41 % Frauen – die totale Wahlbeteiligung belief sich auf 45,1 Prozent aller Stimmberechtigten.
Mit Geld und «Bauerntricks»
Mit Kampagnen wie die «Perspektive Schweiz» versuchen Verbandszusammenschlüsse, Bürger und Bürgerinnen im frühen Stadium in eine Diskussion über Veränderungen miteinzubeziehen. Solche Symbiosen haben eine zunehmende Verdrängung im umkämpften politischen Umfeld. Im aktuellen Kampf um Sitze im Parlament will die Wirtschaft die Wahl nun «mit Geld und Bauerntricks» gewinnen, wie der «Bund» kürzlich titelte. Doch einige Stimmen kritisieren diesen Schulterschluss. Ist es, weil man Respekt vor dem Einfluss des Schweizer Bauernverbandes und der bäuerlichen Anhänger hat?
Mit Bauern zusammenspannen
Der Wirtschafts-Dachverband Economiesuisse und der Gewerbe- und Arbeitgeberverband hätten den erfolgreichen Bauernverband für die Kampagne Perspektive Schweiz vor den Karren gespannt, schreibt der «Bund». Total kostet diese Aktion 2,2 Millionen Franken. Je 550 000 Franken haben die beteiligten Verbände bezahlt, heisst es. Dies haben sie vergangene Woche aufgrund des neu eingeführten Gesetzes zur Transparenz in der Politikfinanzierung bekannt geben müssen, wie der «Bund» schreibt. Derweil streiten die wirtschaftlichen Verbandsvorsitzenden der Kampagne ab, Hilfe bei den Bauern zu suchen. Es sei eine gemeinsam geführte Kampagne, betont der Economiesuisse-Kampagnenleiter gegenüber dem «Bund». Doch nach dem Doppelerfolg des Schweizer Bauernverbandes an der Urne im Juni 2021 lässt sich unschwer erahnen, dass sich die Wirtschaft nun mit den Bauern als Partner dieselbe Wirkung erhofft.
Fakt ist, dass das Parlament stark bäuerlich geprägt ist und somit der Einfluss der bäuerlich ausgerichteten Parlamentarier(innen) bemerkenswert sein kann. Nach den letzten eidgenössischen Wahlen im Jahr 2019 zählte die grosse Kammer 32 bäuerliche Vertreter und Vertreterinnen. Das sind immerhin 16 % der Nationalräte. Im Vergleich: Der Anteil aktiver Landwirte macht von der Gesamtbevölkerung (Stand 2022) 1,7 % aus.
Was heisst schon bäuerlich?
Aber was heisst schon bäuerlich? Ist ein Kandidat bäuerlich, wenn sein Onkel einen Esel besitzt, oder ist eine Kandidatin bäuerlich, wenn sie einen Agronomie-Abschluss im Rucksack hat? Unsere aktualisierte Zusammenstellung der Kandidaten und Kandidatinnen, welche die kantonalen Bauernverbände für die kommenden Wahlen vorschlagen, gibt eine Übersicht. Doch die Vielzahl an «bäuerlichen» Politikern heisst noch nicht zwingend, dass sich die praktizierenden Landwirtinnen und Landwirte von diesen Parlamentariern vertreten fühlen.
Heutzutage stellt sich die Frage, welche Partei sich zwar bäuerlich und volksnah gibt, aber ihre politische Agenda nicht unbedingt mit den Anliegen der Landwirtinnen und Landwirte übereinstimmt.
Grosse Lobbygruppe
Nicht selten spielt der Lobbyismus eine wichtige Rolle in der eigentlichen Politik eines jeden Politikers und einer jeden Politikerin. Denn die Lobbygruppe um die allgemeine Landwirtschaft ist gemäss dem unabhängigen journalistischen Verein Lobbywatch.ch eine der grössten im Bundeshaus. 158 Organisationen und eine Vielzahl Politiker und Politikerinnen aus unterschiedlichsten Parteien sind ihr entweder direkt oder indirekt angeschlossen. Nur die Lobbygruppe Bildung und Wissenschaft zählt mit 299 mehr Organisationen. Im Vergleich: Der Lobbygruppe um die Atomenergie sind gerade einmal 21 Organisationen angeknüpft. Das politische Tagesgeschäft ist also stark geprägt von Lobbyisten, die ihre eigene Agenda führen und versuchen, ihre Interessen einzubringen. Somit bleibt die politische Landschaft ständig in Bewegung.
Apropos Bewegung: Dass die Pandemie alle möglichen Auswirkungen auf alles Mögliche hatte, wissen wir. Doch besonders in der Schweizer Politik ist seit oder während den staatlich eingeführten Massnahmen einiges gegangen.
Die politische Palette trägt nun auch Farben von Bewegungen wie
«Freunde der Verfassung»: Während der Pandemie gegründet, setzen sich für die Verteidigung der Verfassung ein.
«Massvoll»: Während der Pandemie entstanden, sieht eine Schwächung der Grundrechte und will diese wiederherstellen.
«Aufrecht Schweiz»: Nach der Pandemie entstanden, steht für Menschenwürde, Freiheit, Selbstbestimmung und Eigenverantwortung ein.
Aus Idee wird Partei
Fachpersonen sind der Meinung, dass Bewegungen in der Regel kurzlebiger sind als Organisationen. «Sie entstehen schneller bei aufkommenden Problemen, wie die Pandemie eines war, lösen sich dann aber auch wieder auf, wenn ein Problem an Bedeutung verliert», schreibt die Plattform «Easyvote.ch». Allerdings kann es durchaus vorkommen, dass aus einer Bewegung eine Partei entsteht.
Junge Männer tendieren zur SVP
In Hinblick auf die Wahlen 2023 gestalten sich trotz vieler neuer politischen Bewegungen und Möglichkeiten gemäss dem Sotomo-Wahl-barometer die Wahlabsichten bei den 18 bis 29-Jährigen in ähnlicher Verteilung wie bisher bekannt: Befragte Männer wählen vorwiegend SVP und FDP – befragte Frauen SP und GPS. Welche Bauernweisheiten den Trick machen und Stimmen gewinnen, wird sich am nach einem langen Wahlsonntag am 22. Oktober zeigen.

