Da wurde ein altes Hühnerhaus saniert. Hier wurde ein Hofladen in einen Schuppen eingebaut. Dort wurde ein Vordach an die Scheunenwand als Maschinenunterstand angebracht. Dort sind neu Pferde oder Schafe in einer Remise eingestallt. Hier wurde ein Balken aus einer nicht mehr für Tiere benötigten Scheune entfernt, um Platz als Lagerraum für Wohnwagen zu schaffen. Da wurde die Fassade eines Wohnhauses ersetzt. Dort wurde eine Hinweistafel zur Direktvermarktung mit Beton verankert. Hier werden in einem Stall mehr Tiere gehalten als vor zehn Jahren. Dort wurde ein geschotterter Vorplatz asphaltiert. Da wurden Gartenplatten zur Pergola verlegt.
«Die Behörden scheuen sich, den Ermessensspielraum zu nutzen.»
Für Raphael Kottmann, Rechtsberater beim Luzerner Bäuerinnen- und Bauernverband ist die Interessenabwägung zu verbessern.
Viele offene Fragen
Sind das bewilligungspflichtige Bauten und Umnutzungen? Wofür braucht es überhaupt eine Baubewilligung? Was gilt heute als «unrechtmässig», das früher kaum beachtet wurde oder als Bagatelle galt? In welchen Fällen sollte nachträglich ein Baugesuch eingereicht werden und was hat Chancen auf eine Bewilligung?
Spielraum nicht genutzt
Die Rechtslage beim Bauen ausserhalb von Bauzonen sei überaus komplex, und beim Vollzug hätten sich in den Kantonen teils unterschiedliche Praxen entwickelt, sagt Rechtsanwalt Raphael Kottmann, Rechtsberater beim Luzerner Bäuerinnen- und Bauernverband. Eigentlich sollte das Raumplanungsgesetz eine einheitliche Rechtsanwendung gewährleisten. «Raumplanung ist aber in hohem Masse Interessenabwägung», betont Kottmann. Und die erfolge teils unvollständig, indem private Interessen wenig und auch öffentliche Interessen wie beispielsweise die Ernährungssouveränität kaum berücksichtigt werde. Kottmann stellt auch fest, dass sich die Behörden zunehmend scheuen, den zustehenden Ermessensspielraum auszunutzen, und es verpassen, einzelfallgerechte und rechtlich durchaus vertretbare Entscheide zu fällen. Dabei sei auch die Verhältnismässigkeit zu berücksichtigen. Etabliert sich eine «Haltung der unbegründeten Vorsicht» führt dies zu einer systematische Risikoabwälzung zum Nachteil der Privaten und kann im Einzel-fall eine Ermessensunterschreitung und damit eine Rechtsverletzung darstellen.
Viele Bauern frustriert
Von «lebensfremden» Beurteilungen berichtet Rechtsanwalt und Nationalrat Leo Müller, Ruswil LU. Fast täglich gelangten frustrierte Bauern an ihn wegen unverständlich abgelehnten Baugesuchen oder Rückbauverfügungen, wegen Bagatellen. Beispielsweise weil ein Landwirt von seinem Wohnhaus zu seinem bewilligten Gartenhaus einige Gartenplatten verlegte, was nicht bewilligungsfähig sei. Die Verwaltung pflege eine ausgeprägte «Überwachungsmentalität». Wegen der Digitalisierung und Luftbildern von früher würden aktuelle Situationen mit der Vergangenheit verglichen und die Zustände auf Rechtmässigkeit beurteilt. Bei alten Bauten sei es aber heute schwierig zu beurteilen, ob die früher bewilligungspflichtig gewesen wären, und wenn ja, auch bewilligungsfähig. Bedauerlich sei auch, dass Entscheide oft vom Bürotisch gefällt würden, ohne Bereitschaft für einen Augenschein vor Ort.
Es komme auch vor, dass die Gemeinden Bauten genehmigten, aber es versäumten, beim Kanton eine Beurteilung einzuholen. Das führe zu grossen Rechtsunsicherheiten, wenn die Kantone nachträglich ein erneutes Baugesuch verlangen und unklar sei, ob das überhaupt noch bewilligt werden könne. «Die Unsicherheit und Unzufriedenheit bei Landwirten ist gross.» Er erwarte von den Baubewilligungsbehörden mehr Augenmass und eine Philosophieänderung, betont Müller.
«Vielen ist gar nicht bewusst, dass Nutzungen nicht rechtmässig sind.»
Raphael Amrein vom Team Terra in Sursee hat viel Erfahrung mit raumplanerischen Fragen.
Eine Blackbox
Von gleichen Erfahrungen berichtet Bauherrenberater Kaspar Widmer von Widmer Consulting aus Weggis LU. Gerade beim «Aufräumen» von alten Fällen, beispielsweise bei einem neuen Bauprojekt, wisse man nie, was herauskomme und ob das noch bewilligungsfähig sei, eine Blackbox eben. Die Toleranzschwelle sei sehr gering. Er vermisst auch, dass die wirtschaftliche Bedeutung der Landwirtschaft im Gegensatz zur «überregulierten Raumplanung und komplizierten Landwirtschaftspolitik» zu wenig gewichtet werde. Heute brauche es für jede kleinste Veränderung ein Bau- und Umnutzungsgesuch. Das sei für Bauern irritierend, die sich gewohnt seien, viel selber zu machen, selber Holz zum Bauen zur Verfügung haben und eben betriebliche Abläufe durch kleine bauliche Veränderungen optimieren wollen. Nachträgliche Baugesuche seien aufgrund der möglichen Folgen ein Risiko und deshalb vorgängig sehr gut abzuklären. Gleichwohl rät Widmer dazu, Klarheit zu schaffen. «Gerade bei Hofübergaben oder Käufen von Liegenschaften sollte der Übernehmer unbedingt klären, ob es Altlasten wegen unbewilligten Bauten oder Nutzungen gibt.» Bewilligte Bauten hätten auch den Vorteil, dass die Besitzstandsgarantie und der Werterhalt gesichert, und die Baute versicherbar sei.
«Die Verwaltung pflegt eine ausgeprägte Überwachungsmentalität.»
Nationalrat und Rechtsanwalt Leo Müller, Ruswil, ist mit vielen Fällen von frustrierten Bauern konfrontiert.
Jeder Fall anders
Raphael Amrein vom Team Terra in Sursee, welche unabhängige Beratungen bei rechtlichen und raumplanerischen Fragen rund um die Landwirtschaft anbieten, hat ebenfalls die Feststellung gemacht, dass den Betroffenen oft gar nicht bewusst sei, dass Bauten oder Nutzungen nicht rechtmässig sein könnten. Beispielsweise wenn in bestehenden Remisen eine Box eingebaut und eingestreut wird für Kälber oder Mastschweine. Landwirt und Agronom Amrein war vorher Fachperson für Bodenrecht bei der Dienststelle Landwirtschaft und Wald und hat somit grosse Erfahrung. Bauten und Anlagen könnten oft nachträglich bewilligt werden, in der Regel gelte das mildere Recht (damals oder heute). Oft seien scheinbare Lappalien aber schwieriger zu bewilligen als beispielsweise grössere Bauten mit mehr Tieren. Es sei schwierig vorhersehbar, was nachträglich bewilligungsfähig sei, denn jeder Einzelfall sei wieder anders. Er empfiehlt für Abklärungen eine neutrale Beratung durch Fachleute, bevor offiziell die Behörden angefragt würden und der «Ball ins Rollen kommt».
Grundsätzlich steige der Druck im Vollzug, das sei aber auch bei der Raumplanung eine Frage des politischen Willens. Amrein verweist auf Beispiele in anderen Bereichen wie bauliche Massnahmen für den Lärmschutz oder zur Behindertengleichstellung, wo der Vollzug längst nicht den gesetzlichen Vorgaben entspreche.
Beratung beiziehen
Die Landwirtschaft sei vermutlich nicht stärker von der Thematik betroffen als Bauten und Nutzungen von nicht landwirtschaftlichen Kreisen, meint Andreas Vögtli, Präsident des Solothurner Bauernverbandes. Es könne allenfalls sein, dass es kleinere unbewilligte Bauten wie Hühnerhäuschen oder Holzunterstände gebe. Oder bei nicht mehr landwirtschaftlich genutzten Gebäuden komme manchmal zum Vorschein, dass nicht alle Bauten und Nutzungen bewilligt sein dürften. Heikel seien nicht bewilligte Umnutzungen mit nicht landwirtschaftlichen Tätigkeiten wie Lohnarbeiten oder das Anbieten von Gartenunterhalt. Bei Baugesuchen prüfe die Raumplanung den Bestand regelmässig.
Bei nicht bewilligten Bauten und Nutzungen könne das zu Verzögerungen und nachträglichen Baugesuchen führen. Die Bäuerinnen und Bauern seien sich aber durchaus bewusst, dass es für Bauten jeweils ein Gesuch brauche. Werden «nicht rechtmässige» Bauten und Nutzungen vermutet, sei es sinnvoll, sich an die Beratung zu wenden.
Der Kanton befiehlt, die Gemeinden haben zu vollziehen
Im Kanton Luzern gebe es keine Statistik, welche Bauten innerhalb und ausserhalb der Bauzone nicht bewilligt oder geduldet würden, schrieb die Regierung zu einer Anfrage aus dem Kantonsrat 2021. Grundsätzlich liege der baurechtliche Vollzug bei den Gemeinden. Sie hätten im Rahmen eines nachträglichen Baubewilligungsverfahren mit Vorliegen des kantonalen Entscheides als Leitbehörde eine allfällige Wiederherstellung des gesetzmässigen Zustandes zu prüfen. Inzwischen wurde aber das eidgenössische Raumplanungsgesetz revidiert. Damit sollen die Voraussetzungen für einen wirksamen Vollzug gegen das illegale Bauen ausserhalb von Bauzonen verbessert werden. Neu ist verankert, dass die kantonalen Behörden sicherzustellen haben, dass «unbewilligte Nutzungen innert nützlicher Frist festgestellt und anschliessend sofort untersagt werden». Rückbauten seien ohne Verzug anzuordnen und zu vollziehen. Nur die kantonale Behörde könne den ausnahmsweisen Verzicht auf die Wiederherstellung des rechtmässigen Zustands beschliessen.
Nach 30 Jahren gilt bald wieder die Verjährung
2021 fällte das Bundesgericht einen überraschenden Entscheid zu einem Fall aus dem Kanton Luzern und stiess die bisherige Praxis der Verjährung um: Unrechtmässig erstellte Bauten ausserhalb der Bauzone sind zurückzubauen – unabhängig davon, wann sie erstellt wurden. Weiterhin gilt aber innerhalb Bauzonen eine Verjährungsfrist von 30 Jahren. Das stiess auf grosses Unverständnis und Unmut und führte zu einer Motion, die im eidgenössischen Parlament Ende 2022 schliesslich angenommen wurde. Es brauche eine gewisse Rechtssicherheit und einheitliche Behandlung von illegalen Bauten, wurde argumentiert. Der Bundesrat änderte darauf letzten Herbst das Raumplanungsgesetz. Nachdem dagegen das Referendum nicht ergriffen wurde, tritt dieses 2025 in Kraft. Somit gilt künftig wieder: Der Anspruch auf Wiederherstellung des rechtmässigen Zustands verjährt auch ausserhalb der Bauzone nach 30 Jahren.[IMG 2]
