Immer, wenn ich mit meiner Nona abgewaschen habe, haben wir zusammen gejodelt und gesungen», erinnert sich Karin Niederberger an ihre Kindheit. Später hat die inzwischen 50-Jährige auf der Alp gesungen. Elf Sommer lang war sie bei einer Alpgenossenschaft als Käserin angestellt. Sie stand jeweils neben dem Käsekessel und jodelte während dem Arbeiten. Und natürlich auch abends, nach Feierabend draussen. «Es gibt nichts Schöneres als so einen Naturjuchzer. Jodeln gibt einen guten Boden für die Seele.» Es helfe ihr dabei, Gefühle auszudrücken.

Familien-Jodelchor

Karin Niederberger hat zusammen mit ihrem Mann Ruedi sechs Kinder grossgezogen. Zwei der Kinder sind inzwischen erwachsen, zwei in der Lehre und zwei noch in der Schule. Einige Jahre trat die ausgebildete Sennin und Dirigentin mit fast allen Kindern in wechselnder Besetzung als «Familienchörli Niederberger» an volkstümlichen Anlässen auf. Doch mit der Zeit hatten die Kinder nicht mehr so viel Zeit für gemeinsame Auftritte. Es entstanden Freiräume für anderes: Seit über zehn Jahren amtet die Bündnerin als Präsidentin des Eidgenössischen Jodlerverbandes; als erste Frau.

Erkämpfte Anerkennung

Dass auch Frauen in leitender Position erfolgreich tätig sein können, musste sie in den ersten Jahren bei Einigen erst beweisen. «Ich hatte das Gefühl, dass ich manchmal doppelt so viel arbeiten musste, um die gleiche Anerkennung zu bekommen.» Ihr Fazit heute: «Gleichberechtigung muss im Kleinen, in der Familie beginnen.»

Ihre Arbeit ist zu einem Grossteil ehrenamtlich; der Aufwand entspricht etwa einem 40- bis 60-Prozent-Pensum. Ihre Aufgaben sind die Leitung des Verbandes und der Sitzungen, woraus sich viel Schreibarbeit ergibt, sowie die Vertretung gegen aussen. «Das ist sehr spannend. Ich habe so die ganze Schweiz und viele regionale Traditionen kennengelernt.»

14'500 Schweizer Jodlerinnen und Jodler

Karin Niederberger wählt für das, was sie dabei empfindet, das Wort «Demut». Es sei schon beeindruckend, dass in der Schweiz so viele verschiedene Menschen trotz kulturellen Unterschieden seit Jahrhunderten friedlich zusammenleben. Rund 14'500 Jodlerinnen und Jodler zählt die Schweiz; ein Drittel davon Frauen.

Am meisten gejodelt werde im Appenzell, im Toggenburg, der Zentralschweiz und dem Berner Oberland. Auf dem Land sei das Jodeln, auch bei den Jungen, beliebt. Schwieriger sei es in städtischen Gebieten. «Dort fehlt teilweise der Nachwuchs. Viele Clubs sind überaltert.»

Spätzünder in Sachen Jodeln

Mit Nachwuchs meint Karin Niederberger nicht nur Kinder und Jugendliche. «Es gibt viele Menschen, die das Jodeln erst später entdecken. Solche, die mit 40 neu anfangen oder erst nach einer Frühpensionierung plötzlich Zeit dafür haben.»

Verschiebung des Eidgenössischen Jodlerfestes

Ein traditioneller Grossanlass für alle Jodelfreunde ist jeweils das Eidgenössischen Jodlerfest, das alle drei Jahre lockt. Doch diesen Sommer kann es nicht stattfinden. «Das war schon sehr traurig», sagt Karin Niederberger über den Moment, als ihr klar wurde, dass das vier Jahre lang geplante Fest wegen des Coronavirus um ein Jahr verschoben werden muss.

Der Verschiebung gingen viele Gespräche voraus. Zum einen musste das OK unter der Leitung von Carlo Conti mit allen Sponsoren sprechen. Zum anderen kontaktierten die Präsidenten der Unterverbände die Organisatoren der regionalen Jodlerfeste, die eigentlich für 2021 angesetzt gewesen waren. Nun werden diese ins Jahr 2022 verschoben. Es habe darum rund drei Wochen gedauert, bis der Entscheid nach aussen kommuniziert werden konnte. «Die Bekanntgabe der Verschiebung war eine Erleichterung. Den Druck von aussen habe ich als sehr gross empfunden. Viele haben nachgefragt; aber wir konnten noch nichts dazu sagen.»

Investition in die Ausbildung

Dank dem Entgegenkommen aller Beteiligten sei es nun möglich, dass das Jodlerfest fast eins zu eins ein Jahr später stattfinde. Wie gross der finanzielle Mehraufwand sei, lasse sich noch nicht beziffern. «Aber sicher ein namhafter Betrag.» Das Eidgenössische Jodlerfest ist die Haupteinnahmequelle des Verbandes. «Wenn alles gut läuft, machen wir jeweils Gewinn. Dieser wird in Aus- und Weiterbildungen investiert.»

«Nach dem ersten Schreck ist die Freude schnell wieder gekommen.»
Karin Niederberger

Karin Niederberger freut sich auf 2021: «Wir schauen vorwärts. Nach dem ersten Schreck ist die Freude schnell wieder gekommen.» Nun hätten auch alle Teilnehmer wieder genügend Zeit, sich vorzubereiten. Denn reguläre Proben waren seit März nicht mehr möglich.

Aufgewachsen ist Karin Niederberger auf einem Bauernhof im bündnerischen Malix, wo sie heute noch wohnt. Ihr Mann Ruedi führt in Churwalden ein Geschäft für Landmaschinen; den Hof, der ihren Grosseltern und Eltern gehörte, gibt es nicht mehr.

Singen und Nachdenken

Erhalten geblieben ist der «Oberberg». Das einfache Maiensäss ohne Strom – das Wasser muss beim Brunnen geholt werden – liegt rund zehn Autominuten von ihrem Wohnhaus entfernt. Es ist Karin Niederbergers Erholungsoase. «Dort habe ich schon als Kind gespielt und beim Heuen geholfen und auch jetzt bin ich gerne und häufig oben.»

Ein weiterer Lieblingsplatz ist ihr Garten vor dem Haus: «Ich jodle viel bei der Gartenarbeit. Es macht mich einfach glücklich.» Und es tröste sie. «Die Texte der Lieder sind meistens tiefgründig. Das Singen und Nachdenken darüber gibt mir auch immer wieder einen guten Boden für den Alltag.»

 

Das grosse Jodelfest

Das nächste Eidgenössische Jodlerfest findet neu vom 25. bis 27. Juni 2021 statt. In Basel werden über 12 000 Sängerinnen und Sänger, Fahnenschwinger und Alphornbläser sowie rund 1000 Helferinnen und Helfer erwartet. Unter dem Motto «Stadt und Land mitenand» sind 1300 Bewertungsvorträge geplant; der Jodlerverband rechnet mit gut 150 000 Besucherinnen und Besuchern.

Mehr dazu auf www.jodlerfestbasel.ch.