Eine verkehrte Welt? Im Winter 1977/78 reiste eine Delegation aus dem aufstrebenden Bündner Skiort Savognin (Pistenlänge damals 4 km) ins Appenzeller Hinterland, genauer gesagt nach Urnäsch (Pistenlänge 1,7 km). Die Skiliftbetreiber beider Orte hatten dasselbe Problem: ständig zu wenig Schnee.
Ein paar Hundert Meter beschneit
Die Urnäscher hatten die Lösung gefunden. Sie machten selber Schnee. Bereits 1967 soll der mehrfache Langlauf-Schweizermeister Hans Schoch seinen Skilift im Urnäscher Bömmeli mit einer Beschneiungsanlage ausgerüstet und regelmässig ein paar Hundert Meter Piste beschneit haben. Damit dürfte er schweizweit der Erste gewesen sein.
Seit dem Herbst 1975 «studierten» dann auch die Betreiber des anderen Urnäscher Skilifts, des Osteregg-Lifts, am künstlichen Schnee herum. «Etwas, das für uns alle als Halbhexerei erschien», erinnerte sich ein Verwaltungsrat der Skilift AG später. Im Juli 1976 erteilten die Aktionäre grünes Licht für den Erwerb der Schneekanone «Twin Jet». Noch im Winter 1976/77 konnte der unterste Pistenabschnitt beim Skilift Osteregg beschneit werden.
Auch in Savognin studierte der Direktor der Bergbahnen an einer Beschneiungsanlage herum. Nur, die Bauern, denen das Land gehörte, das beschneit und mit Gräben für die Wasser- und Druckluftleitungen durchzogen werden sollte, die studierten auch – und waren nicht begeistert. So lud der Direktor seine Bauern auf eine Besichtigungstour nach Urnäsch ein, um ihnen zu zeigen, wie das Schneemachen funktioniert. Die Urnäscher Schneemacher überzeugten. Ende 1978 nahm in Savognin die erste grosse Beschneiungsanlage Europas den Betrieb auf.
Skisport und Tourismus gingen Hand in Hand
Es war nicht das erste Mal, dass der Wintersportort Urnäsch die Nase vorn hatte. Als sich das Skifahren nach 1900 immer stärker ausbreitete, regten 1906 zwei lokale Unternehmer die Gründung des Ski-Clubs Urnäsch (SCU) an. Der SCU gehört damit – nach Glarus (1893), Bern (1900) und etwa Basel (1904) – zu den ältesten Schweizer Skiklubs.
Bereits anlässlich der Gründung des SCU ging es nicht nur darum, gemeinsam in fröhlicher Gesellschaft Skiübungen vorzunehmen und nebenbei die Kameradschaft zu pflegen, wie es im Gründungsprotokoll heisst. Ebenso wichtig waren die Erschliessung der Landschaft und die Förderung des Fremdenverkehrs. Man wollte Skisportler anlocken und ihnen günstige Logier-, Nahrungs- und Verkehrsverhältnisse bieten. Wintersport und Tourismus gingen Hand in Hand.
Bald engagierte der Ski-Club englische Skilehrer, organisierte Rennen und eröffnete 1932 eine spektakuläre Sprungschanze, die Publikum ins Dorf lockte. In den 1940er-Jahren machten Urnäscher Sportler auch erstmals national und international auf sich aufmerksam. Urnäsch entwickelte sich zu einer Langlauf-Hochburg. Der 1961 erstmals durchgeführte Alpsteinlauf von Weissbad über die Schwägalp nach Urnäsch gehörte zu den Klassikern der Schweizer Volksläufe, bis er 1998 wegen Schneemangels eingestellt werden musste.
Der erste Skilift der Ostschweiz stand in Urnäsch
Mit Schneemangel hatten sich die fünf mutigen Männer, die 1944, mitten im Krieg, eine Aktiengesellschaft gründeten und in Urnäsch einen Skilift erstellten, kaum beschäftigt. Es war eine Pioniertat: der erste Skilift der Ostschweiz und erst der 18. schweizweit. Der erste war 1934 der Bolgen-Lift in Davos. Bis dahin bedeutete Skifahren in Urnäsch vor allem langes Aufsteigen und kurze Abfahrten.
Als typisches voralpines Skigebiet ist Urnäsch heute, im Zuge des Klimawandels, immer öfter mit Schneemangel konfrontiert. Wenn selbst die Schneekanonen nicht mehr helfen, sind gute Ideen mehr denn je gefragt. Die Ausstellung «Pisten und Pioniere» im Appenzeller Brauchtumsmuseum Urnäsch gibt ab dem 27. April 2024 Einblicke in die bewegte Geschichte des Wintersports und -tourismus in Urnäsch.
Zur Autorin
Nathalie Büsser ist wissenschaftliche Kuratorin am Appenzeller Brauchtumsmuseum in Urnäsch. Sie schreibt regelmässig für die Rubrik «Arena» im Regionalteil Ostschweiz/Zürich.


