Vor wenigen Wochen hat uns eine gute Freundin darüber informiert, dass ihr Mann nicht mehr arbeiten kann. Innert weniger Tage hat sich abgezeichnet, was über Jahre hinweg geschürt wurde. Abklärungen haben ergeben, dass er eine Erschöpfungsdepression erlitten hat. Martin ist Milchbauer – einer, wie ich sie gern habe. Die Milchproduktion steht auf seinem Betrieb im Zentrum, sie ist das Herzstück. Die Kühe sind Mitarbeiterinnen, keine Sportgeräte; aus der Rohmilch werden gefragte Spezialitäten produziert. Die Tiergesundheit hat einen hohen Stellenwert – nicht nur, aber auch deshalb, weil daraus eine Wirtschaftlichkeit resultiert.
«Stress, der nicht erfolgreich verarbeitet werden kann»
Martin hat es den Boden unter den Füssen weggezogen. Landläufig und vielleicht auch etwas leichtfertig sprechen wir dabei von einem Burn-out. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat erst im letzten Jahr Burn-out als konkretes Syndrom definiert: «Burn-out – Stress am Arbeitsplatz, den Beschäftigte nicht erfolgreich verarbeiten können.»
Seit 2017 gibt es Zahlen dazu
Martin ist kein Einzelfall. Im Jahr 2017 wurde eine Untersuchung publiziert, in der für Schweizer Landwirtinnen und Landwirte von einer Burn-out-Gefährdung von 12 Prozent gesprochen wurde. Die Burn-out-Werte für die übrige Bevölkerung lagen damals mit 6,1 Prozent deutlich tiefer. Das ist nun bereits sechs Jahre her. Was ist seit jenem Zeitpunkt passiert? Was hat die Branche getan? Wie wurde auf diese Erkenntnisse reagiert, wie damit umgegangen? Ich kenne die Antworten nicht, und ich gehe davon aus, dass die Fragen mit den Worten «wenig» oder «nichts» zu beantworten sind.
Das Messer im Rücken
Während sich der Milchmarkt aufgrund der Mangellage in dieser Zeit endlich etwas zum Positiven hin entwickelt hat, ist die Agrarpolitik zum absoluten Monster verkommen. Das Versprechen einer Vereinfachung wurde nicht eingehalten. Es kommt heute daher wie eine einzige Heuchelei, ein Schwindel, ja eine Lüge. Statt der versprochenen Vereinfachung stehen wir heute vielmehr mit einem Messer im Rücken da, das uns daran erinnert, dass wir alles und jedes, was wir heute gemacht haben und morgen zu tun gedenken, aufschreiben sollten sowie absegnen und kontrollieren lassen müssen. Und bevor wir etwas tun, müssen wir abklären, ob das überhaupt noch erlaubt ist oder ob wir womöglich nicht schon mit einem Fuss im Gefängnis stehen oder uns dadurch ein entscheidender Teil unseres Einkommens gekürzt wird.
Auf der Suche nach den Schuldigen
Was ist das für eine Agrarpolitik, die uns derart knebelt? Der Direktor des Bundesamtes für Landwirtschaft (BLW), Christian Hofer, verweist auf den Souverän. Die Richtung, welche die Landwirtschaft hier eingeschlagen habe, sei ein Wille des Volkes und des Parlaments. Eine Ausrede? «Das Direktzahlungssystem, wie wir es heute kennen, ist mit seinem Latein am Ende», sagt der ehemalige BLW-Direktor Manfred Bötsch. Diesen vermeintlichen Volkswillen bezeichnet er als einseitige Forderungen einzelner Gruppen, die maximalen Tierschutz, maximalen Artenschutz, keine Nutztiere, keine Grossbetriebe, keine Pflanzenschutzmittel und keine Emissionen fordern würden.
Auch wir sind müde
In meiner ganzen Bewunderung, die ich für Manfred Bötsch empfinde, machen mich diese Aussagen wütend. Warum hat er damals, als er das BLW verliess, keinen besseren Zeitpunkt gewählt? Warum hinterliess er das Feld einem Hochschulprofessor und einem Bundesrat, der nichts anderes als ein grosses Baumaschinenunternehmen führte und glaubte, Landwirtschaft sei mit Wissenschaft zu lösen? Bötsch nahm indes seine Visionen mit zur Migros, wo er sie auch nur bedingt einbringen konnte. Seine Ratschläge bringen mir aktuell wenig. Und Martin bringen sie gar nichts. Er ist ein Jahrgänger meines Mannes. Und mir ist voll und ganz bewusst, dass das, was Martin derzeit erlebt, bereits morgen schon in unseren eigenen vier Wänden stattfinden könnte. Auch wir sind müde. Müde von der Präsenz auf dem Milchwirtschaftsbetrieb, müde von den Jahren mit miserablen Produzentenpreisen, müde von den Ansprüchen der Gesellschaft und erschlagen von der Agrarpolitik.
Es geht um das Leben der Bauern
In all den Forderungen nach mehr Tierwohl und Naturschutz ging der Mensch, der das zu vollziehen hat, vergessen. Den Blick der Bauernfamilien auf die Perspektiven am Markt und die Innovationskraft der Branche zu lenken, ist ungenügend. Die Branche muss sich mit dem Leben der Bauern auseinandersetzen. Wir müssen Instrumente schaffen, die Lebensqualität abbilden und sie in den Markt, aber auch in die Agrarpolitik einfliessen lassen. Soziale Absicherung allein reicht nicht, wir müssen verhindern, dass es uns den Boden unter den Füssen wegzieht.

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