Die geschätzte Anzahl alkoholabhängiger Menschen in der Schweiz beläuft sich auf 250'000. Jedes Jahr sterben hierzulande rund 1550 Personen an den Folgen ihres Konsums. Etwa 8 % aller Todesfälle in der Altersgruppe der 15- bis 74-Jährigen sind alkoholbedingt. Ein häufig unterschätztes Risiko sind die alkoholbedingten Krebsleiden.

Keine Zahlen zur Landwirtschaft

Wie viele Menschen innerhalb der Landwirtschaft betroffen sind, weiss man nicht: «Uns ist keine schweizerische Studie zu dieser Thematik bekannt», sagt Monique Portner-Helfer, Mediensprecherin von Sucht Schweiz. Was man aber weiss, ist, wie sehr eine Alkoholsucht das Umfeld belasten kann.

Was tun, wenn man den Alkoholkonsum eines geliebten Menschen problematisch findet?

Monique Portner-Helfer: Hinschauen und reagieren gehören zum Wichtigsten, was Nahestehende tun können. Gespräche mit der betroffenen Person können unter Umständen viel auslösen. Dabei ist es auch wichtig, zu sich selbst Sorge zu tragen und sich nicht zu überfordern. Es hilft, sich zu informieren, um seine eigene Rolle zu finden. Viele Nahestehende wollen mit allen Kräften helfen und wenden sich der betroffenen Person so stark zu, dass sie selbst in Schwierigkeiten geraten und Belastungen erfahren. Sie werden «co-abhängig». Es ist wichtig, dass Nahestehende die eigenen Grenzen ernst nehmen.[IMG 2]

Zur Person

Monique Portner-Helfer ist Mediensprecherin von Sucht Schweiz. Die Stiftung ist das nationale Kompetenzzentrum für Prävention, Forschung und Wissensvermittlung im Suchtbereich.

Sind es meist Angehörige, die zuerst Hilfe suchen?

In vielen Fällen ist das sicher so. Im Rahmen unserer telefonischen Beratungsanfragen stellen wir fest, dass es in der Mehrheit nahestehende Personen sind, die uns um Rat fragen. Anders sieht es beispielsweise bei der Online-Beratung Safezone.ch aus. Hier sind es in etwas mehr als der Hälfte Betroffene, die sich melden. Fakt ist aber auch, dass längst nicht alle Nahestehenden Hilfe holen. Eine Studie hat vor einigen Jahren gezeigt, dass nur rund vier Prozent der Befragten, die eine Person mit Alkoholproblemen im Umfeld haben, sich deswegen bereits professionelle Hilfe holten. Oft getrauen sie sich nicht, mit anderen über das Problem zu sprechen oder sie kennen die Hilfsangebote nicht. Viele schämen sich. Sie fürchten, ein Geheimnis preiszugeben und der betroffenen Person zu schaden. Wir ermuntern Nahestehende, für sich selbst Hilfe zu holen. Sie sind nicht alleine!

Wie gross ist das Problem der so genannten Co-Abhängigkeit? Wer ist davon besonders betroffen?

Abo Suchtkrankheit Wenn der Partner Co-abhängig wird – gemeinsam in der Suchtfalle Thursday, 1. September 2022 Rund 500 000 Menschen in der Schweiz leiden unter einem Alkoholproblem eines Angehörigen. Enge Familienangehörige sind besonders mit den negativen Folgen eines problematischen Konsums konfrontiert. Zerrüttete Beziehungen, Sorge um die suchtbetroffene Person sowie um den Zusammenhalt der Familie und die Wohnsituation gehören zu den zahlreichen Belastungen. Oftmals sind die engen Familienangehörigen auch isoliert. Dies kann zu Ängsten, Schlafproblemen oder depressiven Zuständen führen. 

Was kann man tun, wenn man co-abhängig ist?

Viele Nahestehende konzentrieren sich auf die betroffene Person und vergessen sich selbst. Die Gefühle sind an die betroffene Person gebunden: Mal sind Nahestehende hoffnungsvoll und freudig, mal sind sie traurig, wütend und enttäuscht, wenn es nicht gut läuft. Alle diese Gefühle sind verständlich und normal. Aber sie dürfen das eigene Leben nicht bestimmen. Nahestehende Personen können für sich selbst das Ruder in die Hand nehmen, damit es ihnen wieder besser geht. Sie können sich fragen, was tut mir gut, welche Grenzen brauche ich und wo finde ich Unterstützung.

Was ist im Umgang mit einer suchtkranken Person «richtiges» und «falsches» Verhalten?

Abo Alkoholsucht «Ich liebe ihn – wenn er nüchtern ist» Thursday, 1. September 2022 Nahestehende können Betroffene ermutigen, indem sie hinschauen, das Problem aus ihrer Sicht ansprechen, indem sie Verantwortung zurückgeben und eigene Bedürfnisse aussprechen sowie Grenzen setzen. Wichtig ist dabei, die Person nicht zu beschuldigen oder zu werten, weil sie sich sonst zurückzieht. Tipps zur Gesprächsführung findet man auf der Website Nahestehende-und-sucht.ch. Nahestehende sind aber nicht verantwortlich für das Gelingen einer Veränderung. Sie sind nicht schuld, wenn es nicht funktioniert. Nahestehende können nicht anstelle der betroffenen Person mit dem Konsum aufhören. Das muss sie selbst tun. Es ist wichtig, diese Verantwortung abzugeben. Das bedeutet: Nahestehende müssen auch loslassen.

Was braucht es, damit eine Person die Sucht besiegen kann?

Suchtprobleme sind unterschiedlich stark und die Menschen sind unterschiedlich. Nicht jedem hilft demnach das Gleiche. Voraussetzung ist eine Problemeinsicht vonseiten der Betroffenen und eine Bereitschaft bzw. Motivation, das Konsumverhalten zu ändern. Ohne fachliche Unterstützung ist dies schwieriger. Wir ermutigen denn Betroffene, sich Unterstützung zu holen! Den Mut zu fassen und dies zu tun, ist oft der erste Schritt zur Besserung. Es gibt Angebote im Internet oder Apps, die Unterstützung bieten können. Auch eine medizinische Fachperson kann weiterhelfen (Arzt/Ärztin, Pflegefachperson, Psychotherapeut(in) usw.) und z.B. an spezialisierte Einrichtungen verweisen. Wichtig zu wissen ist auch, dass Beratungen in kantonalen Suchtberatungsstellen oft kostenlos sind, für Betroffene und auch für Angehörige. Der Weg aus der Sucht ist oft ein langer Prozess, der auch von Rückschlägen begleitet ist. Dies erfordert von Betroffenen, aber auch von Angehörigen viel Geduld. Verstehen, was Rückschläge begünstigt, ist wichtig, um diese langfristig zu vermindern. Eine Nachbetreuung nach einem Konsumstopp/Entzug ist daher sinnvoll.