S. K. (Name der Redaktion bekannt) ist eine Frau, die auf den ersten Blick alles im Griff hat. Aufgewachsen auf einem Mutterkuhbetrieb im Kanton Zürich, entschied sich die Bauerntochter für eine KV-Lehre. Heute hat sie einen Sohn und eine Tochter im Schulalter und führt in einem Teilzeitpensum ein kleines Team.

«Vielleicht war ich zu naiv»

Abo Bei einer Alkoholsucht gehen nicht nur Gläser, sondern auch Beziehungen oder ganze Leben in die Brüche. Alkohol Die Familie leidet unter einer Suchterkrankung: «Nahestehende vergessen sich selbst» Thursday, 1. September 2022 Nur wenige Leute wissen, dass ihr Lebenspartner ein Alkohol-Problem hat. «Ich liebe meinen Freund. Vielleicht sollte ich präzisieren, ich liebe meinen Freund, wenn er nüchtern ist.» Dass sein Trinkverhalten problematisch ist, wurde ihr erst nach ein paar Jahren Beziehung klar, als sie unter einem Dach lebten und bald darauf das erste Kind bekamen. «Lange hielt ich ihn für einen Genusstrinker. Vielleicht war ich zu naiv.» 

Lange hoffte sie, dass sich alles von selbst regeln würde. «Ich habe immer wieder meine Abneigung gegen seine Trinkerei klargemacht, aber noch keine ernsthafte Forderungen gestellt.» Denn zu 90 Prozent sei ja alles gut gewesen. Er ging arbeiten. Er war ein aufmerksamer Partner, ein präsenter Vater. «Er trank unter der Woche erst abends, erreichte den problematischen Pegel, wenn ich längst schlief, erschöpft von Kleinkindern, die die Nacht zum Tag machten.»

Der Lockdown machte alles viel schlimmer

Dann kam der erste Corona-Lockdown. «Für meinen Partner, einen funktionierenden Alkoholiker, dem seine Arbeit Struktur und Halt gibt, war Kurzarbeit ganz schlecht.» Plötzlich war er schon mittags zu Hause. In dieser Zeit muss seine Sucht eskaliert sein. Er schlief nicht mehr nur, wenn er zu viel getrunken hatte, sondern schlich wie ein Zombie in der Wohnung umher. Er wusste später nicht mehr, was sich ereignet oder was er gemacht hatte. «Aggressiv wurde er nie, sonst wäre ich schon längst gegangen. Er konnte ausserdem wochenlang nicht trinken, aber dann kam der Rückfall umso heftiger.»

Sie dachte an Trennung

Die beiden stritten immer öfters. Obwohl streiten eigentlich das falsche Wort sei: «Ich machte ihm Vorwürfe, wurde laut, weinte, drohte mit Trennung.» Er schwieg. Später entschuldigte er sich, machte Versprechungen, die er nicht halten konnte. Nach einem besonders schlimmen Rückfall willigte er erstmals ein, mit zu einer Beratungsstelle zu gehen. «Sonst hätte ich ihn verlassen», sagt S. K. Von da an ging er regelmässig zu einem Gespräch in die Suchtberatung. Er lernte dabei zwar viel über Sucht, aber es reichte noch nicht.

Seit er den Entschluss gefasst hat, ganz aufhören zu wollen, gab es noch ein Problem. «Er trank jetzt seltener, dafür heimlich, um mich nicht zu belasten oder zu verärgern. Ich merkte es natürlich trotzdem, hatte aber keinen Beweis.»

Gestresst und frustriert

Abo Suchtkrankheit Wenn der Partner Co-abhängig wird – gemeinsam in der Suchtfalle Thursday, 1. September 2022 Manchmal fand sie heraus, wo er den Alkohol versteckt hatte. «Er kam mir vor wie ein Eichhörnchen, das heimlich Vorräte anlegt. Eigentlich krank!» Irgendwann hörte sie erstmals den Begriff Co-Abhängigkeit. «Ich merkte schnell, wie viel davon auf mich zutraf»: Auf-gaben übernehmen, Sucht vertuschen, den Konsum kontrollieren und versuchen, einzuschränken, Vorwürfe, Schuldzuweisungen, Frust. 

«Ich entwickelte mich weg von der Person, die ich eigentlich bin.» Sie wurde gestresst, negativ und hatte wenig Nerven für ihre Kinder. «Manchmal überforderten mich schon kleine Aufgaben oder Entscheidungen.» Alternative Medizin half ihr teilweise, sie überlegt sich, eine Gesprächstherapie zu machen.

Ambulante Therapie

Vor einigen Monaten ist S. K. mit den Kindern vorübergehend ausgezogen. Ihr Partner macht jetzt eine ambulante Therapie mit Medikamenten. Es werde wohl ein langer Weg mit Rückschlägen, sagt sie, aber: «Ich will die Hoffnung nicht aufgeben. Ich will ihn nicht aufgeben.»