Heute ist Mittwoch, 2. Juli. Müde und noch mit den Musikklängen in den Ohren sowie den vielen Bildern im Kopf träume ich am Zmorgetisch vor mich hin. Heute ist «Tag 1» in meinem Leben nach dem Schaffhauser Kantonalen Musikfest in Merishausen, das ich als Sekretärin des Kern-OKs an vorderster Front mit organisieren durfte. Die letzten Wochen vor dem Fest waren intensiv. Ein Drei-Tage-Fest ist für unser kleines Dorf und die noch kleinere Nachbargemeinde Bargen ein Riesenlupf.
Musik verbindet
Knapp 300 Helferinnen und Helfer in mehr als 400 Schichten standen im Einsatz. Der erste Festtag galt dem Jubiläum «100 Jahre Merishausen». Die Musikvereine stellten ein ihnen zugelostes Jahrzehnt publikumswirksam (Kleider, Musikstück, Show) passend vor. Toll, was man sich quer durch den Kanton einfallen liess. Am Abend gab es einen Festakt und eine gehörige Party. Am Sonntag stand der eigentliche kantonale Musiktag mit Marschmusikparade, Gesamtchor und Veteranenehrung an.
Erwähnenswert ist auch die Geste der Kirchgemeinde, die Kollekte des Festgottesdienstes an den Musikverein des verschütteten Dorfes Blatten im Lötschental zu spenden. Musik verbindet! Während des Gesamtchors, als der neue Marsch «100 Jahre Musikverein Merishausen» gespielt wurde, musste ich Tränli verdrücken.
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Eine Mischung aus Erleichterung, Rührung und Dankbarkeit durchlief mich. Am Montagabend – dem inoffiziellen Highlight unter den Einheimischen – hielten wir das traditionelle Handwerkervesper ab. Bei uns ist es Tradition, ein grosses Fest mit einem weiteren Fest ausklingen zu lassen. Man kommt nochmals zusammen, isst ein Vesperplättli, singt und schunkelt und lässt die ganze Hektik und Müdigkeit der letzten Tage für einen Moment vergessen. Dorfleben, wie ich es liebe! Aber kaum ist der letzte Ton verklungen, die Polonaise fertig, beginnen noch in derselben Nacht die Aufräum- und Rückbauarbeiten.
Der blaue Traktor
Zurück zum Zmorgetisch. Müde rühre ich im mittlerweile lauwarmen Kaffee, dankbar, dass mir die Familie den Rücken freigehalten und am Fest ebenfalls «gchrampfed» hat. Mit halbem Ohr höre ich hin, als mein Max mit Lehrtochter Karin den Arbeitsplan bespricht. Sie reden auch über unsere erste Gerste, die zwischen Blasmusikklängen gedroschen wurde: Ertrag und Hektolitergewicht passen. «Pius schmücken», schnappe ich auf und bin sofort hellwach. «Was, Pius, ou ja, das ist ja auch noch», schiesst es mir durch den Kopf.
Pius ist weder ein Kranzschwinger noch der Siegermuni, sondern unser grosser blauer Traktor. Der hat als einziger einen Namen. «Schuld» daran hat die Versicherung, die in ihrer Police statt New Holland «6070 Plus» «6070 Pius» schrieb. Der Grund für den schönen Pius ist die Lehrabschlussfeier unserer Original Appenzeller Lehrtochter Karin. Sie hat bestanden – und das wird am Freitag am Strickhof gefeiert!
Töchter und Söhne
Übrigens erhalten unsere ausserkantonalen Lehrlinge zusätzliche «Lernziele»: Lerne den Kanton Schaffhausen kulturell und geografisch besser kennen. Den nahe gelegenen «Schwarze Staa» (nördlichster Punkt der Schweiz) sowie die seltene Glühwürmchen-Kolonie im Schaffhauser Waldfriedhof haken wir nächste Woche ab. Leider ist das Lehrjahr unserer «Jubiläums-Lehr-Tochter» – Karin ist unser zehnter Lehrling – schon fast vorbei. Ich verwende das Wort «Lehr-Tochter» bewusst. Im Laufe des Lehrjahres wachsen einem die jungen Menschen ans Herz. Sie werden zu Töchtern und Söhnen. Von mir aus können die «Sprach-Besserwisser» das ach noch so genderneutrale Wort «Lernende» anwenden. Für uns bleiben sie Lehrtöchter und -söhne.