«Nein, wir melden uns nicht bei der Schule», sagt die Bäuerin am Telefon. Sie spricht zwar über die Vorfälle, will aber weder den Namen der Schule, noch ihren eigenen hier stehen haben. Auch auf die Frage, ob sie eine Möglichkeit sähe, mit der Lehrperson anonym in Verbindung zu treten, folgt ein dezidiertes «Nein».
Die Mutter von drei schulpflichtigen Kindern hat Angst. Sie fürchtet, dass ihre Aussagen negative Folgen für ihre Kinder haben könnten. Das Älteste befindet sich in der Berufswahl, die soll in keiner Weise negativ beeinträchtigt werden. «Wir haben die Situation bei einem Elterngespräch einmal angesprochen und sind auf Granit gestossen», erinnert sich die Mutter. Mit «das Problem» meint sie die Situation, dass ihre drei Kinder während ihrer Grundschulzeit immer wieder erlebt haben, dass sie ihrer Herkunft wegen gehänselt wurden. Es ging gar so weit, dass die Kinder nicht mehr an einen Skitag, nicht mehr in ein Lager, nicht mehr zum Turnunterricht und auch nicht mehr in den Pausenraum wollten. Sie hätten versucht, sämtlichen Kontakt ausserhalb des regulären Unterrichts zu meiden.
«Wir haben uns darüber unterhalten, ob wir schlechte Menschen sind.»
Bäuerin und Muttervon drei Kindern.
Auch die Lehrerin stellt Bauern an den Pranger
Eskaliert sei die Sache dann schliesslich beim jüngsten der drei Kinder, als ein Lehrerwechsel anstand. Die junge Primarlehrerin, «wohl frisch ab Presse», wie die Mutter sie beschreibt, habe gar die Pflanzenschutz-Initiativen im Unterricht thematisiert. «Es gehört für mich nicht an eine Grundschule, dass Initiativen besprochen werden. Die Kinder dürfen ja nicht abstimmen, also müssen sie auch nichts Spezielles dazu wissen», sagt die Bäuerin. Am zweifachen Ja, welches diese Lehrerin an der Urne ablegte, habe sie nicht zweifeln lassen. Die Landwirtschaft habe sie mehrfach als Klimasünderin dargestellt und das mit entsprechenden Zahlen belegt. Auch, wenn sie das Wort Klimasünderin nicht direkt in den Mund genommen habe – die Kinder hätten es so verstanden.
«Sind wir nun schlechte Menschen?»
«Es ging so weit, dass wir uns schliesslich auf der Bettkante beim Gute-Nacht-Sagen darüber unterhalten haben, ob wir nun schlechte Menschen sind», erinnert sich die Mutter. Sie hat einen über mehrere Monate andauernden stillen Kampf hinter sich. Still, weil sie nicht im Sinn hat, sich zu wehren, aus Angst, den drei Kindern noch grössere Steine in den Weg zu legen, als da eh schon liegen. «Wir hoffen einfach, einigermassen unbeschadet durch die bevorstehenden Schuljahre zu kommen», sagt die Bäuerin. Sorgenvoll blickt sie auf die Diskussion um die Massentierhaltungs-Initiative. Es werde wohl nicht die letzte sein, welche ihren Kindern den Schulalltag erschweren werde. «Wo führt das nur alles hin?», fragt sie resigniert.
Berner Bauern: «Keine solchen Fälle bekannt»
Wir haben beim Agrarkanton Bern nachgefragt, ob den Behörden solche oder ähnliche Fälle bekannt seien, wo Lehrpersonen aktiv die Landwirtschaft als Sündenbock für die Klimaproblematik dargestellt hätten. «Nein, uns sind keine solchen Fälle bekannt, und wir teilen diese Haltung auch nicht. Im Gegenteil, wir fördern als zuständige Direktion den Austausch zwischen Schule und Landwirtschaft und damit auch das gegenseitige Verständnis», heisst es bei der Bildungs- und Kulturdirektion des Kantons Bern (BKD).
Mit «Schule auf dem Bauernhof», der Unterstützung der Landdienst-Organisation Agriviva, dem Klassenlager «Deux im Park» (Zusammenarbeit mit dem Naturpark Gantrisch) sowie vielen weiteren ausserschulischen Lernorten sorge man dafür, dass Kinder mit der Landwirtschaft in Kontakt kommen «und dabei zum Beispiel lernen, wo unsere Lebensmittel herkommen und welche Arbeiten auf einem Bauernhof verrichtet werden», heisst es bei der BKD weiter.
Schulunterricht muss politisch neutral sein
«Bei der BKD sind keine derartigen Meldungen eingegangen. Würde sich jemand melden, würden wir der Sache zusammen mit der betreffenden Schule nachgehen», wird versichert. Denn der Unterricht an der öffentlichen Volksschule und den Schulen der Sek II sei gemäss Artikel 43 Absatz 1 der Verfassung des Kantons Bern (KV; BSG 101.1) konfessionell und politisch neutral. Es sei Aufgabe der Lehrperson, für eine ausgewogene, sachliche und wahrheitsgetreue Thematisierung zu sorgen.
Wie sollen laut BKD nun aber Betroffene in so einem Fall vorgehen? Denn da scheint die Angst vor negativen Konsequenzen für die Schülerin oder den Schüler die Erziehungsberechtigten davon abzuhalten, einzuschreiten. «Betroffene können das direkte Gespräch mit der Lehrperson und mit der Schulleitung vor Ort oder auch mit dem Schulinspektorat suchen», wird von den Behörden geraten.
SBV: «Ganz betrübliche Vorfälle»
Beim Schweizer Bauernverband (SBV) hat man das erste Mal etwas in diese Richtung gehört. «Wir erachten das als ganz betrübliche Vorfälle, auf die man unbedingt reagieren sollte. Wenn Bauernkinder mit solchen Rückmeldungen nach Hause kommen, sollten die Eltern ein Gespräch mit der entsprechenden Lehrperson suchen», erklärt Sandra Helfenstein vom SBV auf Anfrage.
«Am besten lädt man diese gleich auf den Betrieb ein und zeigt ihr vor Ort, welche Bemühungen die Bauernfamilien unternehmen, um die Schweizer Bevölkerung auf nachhaltige und tierfreundliche Art mit Lebensmittel zu versorgen», so Helfenstein weiter. «Wahrscheinlich muss man sie sogar daran erinnern, dass es keine Branche gibt, die derart unverzichtbar ist. Entsprechend verstörend ist es, wenn eine Lehrperson mit Vorbildfunktion derart unüberlegte und verletzende Aussagen macht, die einen ganzen Sektor diskreditiert», ergänzt sie.
