Die Schlagzeile ist perfekt: Der Produzentenpreis für IP-Suisse-Wiesenmilch liegt unter dem Preis für konventionelle Milch. Auf diese alarmierenden Erkenntnisse stiess die Organisation Faire Märkte Schweiz (FMS) bei der Analyse von Daten des Bundesamts für Landwirtschaft (BLW). «Produzenten werden für ihre Mehrleistungen nicht entschädigt, sondern sogar abgestraft», heisst es in der Mitteilung von FMS. Trotz nachweislicher Mehrwerte für Gesellschaft, Tier und Natur würden die Produzenten für ihre Wiesenmilch im Durchschnitt gar 0,3 Rappen weniger erhalten als für konventionelle A-Milch.
Biomilch ist Bio und nicht A oder B
Hier stellt sich dann aber gleich die Frage: Wer ist schon so privilegiert, dass er im Industriemilchmarkt nur A-Milch abliefern kann? Richtig, die Bioproduzenten.
Und im direkten Vergleich mit Biomilch steht denn die Wiesenmilch laut Bericht tatsächlich um 13,8 Rappen pro Kilogramm schlechter da. FMS fordert von den Akteuren die Behebung dieses Missstandes und hat sie diese Woche schriftlich damit konfrontiert.
Der Handel zeigt sich überrascht
Dort reagiert man auf Anfrage der BauernZeitung tendenziell konsterniert. «Wir waren überrascht, diesen Brief von Faire Märkte Schweiz zu erhalten, und weisen die Vorwürfe entschieden zurück», schreibt Inge Gratzer von Nestlé Suisse S.A. Nestlé sei seit jeher ein starker und verlässlicher Partner der Schweizer Landwirtschaft. So könnten die Bäuerinnen und Bauern, von denen Nestlé die Rohstoffe bezieht, insbesondere von der Bezahlung fairer Preise und von finanzieller Unterstützung bei der Umstellung zu nachhaltigeren Praktiken profitieren. «In den letzten Jahren haben wir eine konstante Menge Wiesenmilch gekauft. Diese Wiesenmilch beziehen wir von IPS-Direktlieferanten für unsere Schokoladenfabrik in Broc und wir beabsichtigen dies auch weiterhin zu tun», so Gratzer.
«Der Wiesenmilchmarkt funktioniert»
Auch bei Emmi reagiert man ähnlich. «Wir sind über den offenen Brief und die geäusserten Vorwürfe an die Branche überrascht», so Simone Burgener. Die durch Faire Märkte Schweiz (FMS) gemachten Preisvergleiche und die daraus abgeleiteten Folgerungen seien nicht korrekt. «Der Wiesenmilchmarkt funktioniert, er wird durch FMS jedoch unvollständig dargestellt und nicht in den Gesamtmarkt eingeordnet», so Burgener weiter. Emmi bezahle für alle Milch, die zu Wiesenmilchprodukten ver-arbeitet wird, eine Prämie von 5 Rp. Daraus resultiert ein um 5 Rp. höherer Milchpreis als bei Milch, die zu konventionellen Molkereiprodukten verarbeitet wird. Sowohl die BLW-Marktbeobachtung, wie auch das SMP-Milchpreismonitoring bestätigten dies. «Nachhaltigkeit zum Nulltarif gibt es also nicht. Es werden auch keine zusätzlichen Verarbeitungsmargen generiert», heisst es bei Emmi weiter.
Thomas Zwald, Generalsekretär der Cremo, will indes mit Faire Märkte Schweiz direkt in Kontakt treten und daher auf Anfrage nicht mit einem öffentlichen Statement vorgreifen.
Migros lässt IP-Suisse reden, Coop ist überrascht
Und wie tönt es bei den beiden orangen Riesen? Während Migros lediglich den Eingang des Schreibens bestätigt und im gleichen Satz noch an IP-Suisse verweist, ist man bei Coop überrascht über die Vorwürfe. «Diese sind für uns nicht nachvollziehbar», schreibt Caspar Frey, Leiter Medienstelle bei Coop. «Wir bezahlen unseren Geschäftspartnern faire und marktgerechte Preise», ist man dort sicher. Coop setze zudem überdurchschnittlich stark auf Mehrwertprogramme wie die Knospe von Bio Suisse, IP-Suisse, Pro Montagna, Pro Specie Rara und viele weitere regionale Labels. Für Produkte aus Mehrwertprogrammen bezahle Coop einen entsprechend höheren Preis.
Alles gut, oder etwa nicht? Faire Märkte Schweiz ist sicher, die Mehrwerte würden ausgenutzt. «Diese Diskrepanz im Produzentenpreis steht laut FSM in krassem Widerspruch zu den Verkaufspreisen im Detailhandel, wo nachhaltige Produkte wie die IP-Suisse-Wiesenmilch zu höheren Preisen angeboten werden», heisst es. Dies deute darauf hin, dass die Nachhaltigkeitsmehrwerte von den marktführenden Abnehmern und Grossverteilern nicht angemessen entschädigt, sondern vielmehr ausgenutzt würden, um ohne entsprechende Mehrkosten höhere Preise am Markt zu erzielen. FMS sagt es in Zahlen: Der Produzentenpreis für Wiesenmilch liegt aktuell zwischen 69 und 82 Rp./kg – der aktuelle Verkaufspreis bei Migros und Coop IP-Suisse UHT liegt hingegen bei Fr. 1.60/kg.
B-Milch ist der klare Sündenbock
Wie Emmi in ihrer Antwort bereits antönt, liegt der Grund für diese vermeintliche «Ungerechtigkeit» in der Segmentierung. Während Biomilch nur im A-Segment eingekauft wird, müssen Lieferanten der Wiesenmilch (noch) damit leben, dass sie trotz Mehrwert ihres Produkts und je nach Produktpalette ihres Milchkäufers einen unterschiedlich hohen Anteil an B-Milch liefern. Zu einem entsprechend tieferen Preis. «IP-Suisse setzt sich für die Prämien und die Mehrwerte ein und nicht für den Grundpreis der Milch», erklärt Andreas Stalder, IP-Suisse-Präsident, auf Anfrage. «Und ja, für uns Bauern ist so etwas unverständlich. Die Milch aus unseren Kühen wird alle gleich produziert, wir haben keine B-Milch-Kühe im Stall», ergänzt er.
Kein B-Preis auf Wiesenmilch
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Kommentar von Simone Barth
Die Schlagzeile der Woche ist unschön. Der Preis für Wiesenmilch liegt unter dem Preis für konventionelle A-Milch. Der Sündenbock ist rasch ausgemacht. Es ist nicht IP-Suisse und für einmal auch nicht Migros oder Coop. Es ist die B-Milch.
Wiesenmilch fliesst in wertschöpfungsstarke Produkte, wie Konsummilch, Rahm oder Wiesenbutter. Analog der Biomilch ist nicht angezeigt, dass ihre Produzenten hier aufgrund der Segmentierung tiefere Preise hinnehmen müssen. Der Weg ist klar: Die Produzenten müssen sich bei ihrem Erstmilchkäufer zur Wehr setzen. Wiesenmilch muss nicht billig im Ausland entsorgt werden – also weg mit diesem B-Milch-Preis. s.barth@bauernzeitung.ch
