Die Schweizer Milchbranche sieht sich aktuell mit einem komplexen Mix aus Herausforderungen konfrontiert. Die in Kraft getretenen US-Zölle treffen auch Exporteure von Milchprodukten in einem Hochpreissegment hart, während der starke Franken die Wettbewerbsfähigkeit zusätzlich belastet. Gleichzeitig sorgt ein saisonaler Nachfrageeinbruch, insbesondere bei AOP-Käse wie Gruyère, für Anpassungsdruck in der Produktion – auch im Alp- und Bio-Bereich.
Die Situation wird weiter erschwert durch überfüllte Butterlager und die Unsicherheit über die Preisreaktionen im Exportgeschäft. Hinzu kommen Risiken durch Tierseuchen wie Blauzunge und noch viel schlimmer: die Lumpy-Skin-Krankheit (LSD). In diesem Umfeld stehen die Milchproduzenten vor der schwierigen Aufgabe, kurzfristig die Marktstabilität zu sichern und gleichzeitig langfristig Strategien für Absatz und Export zu entwickeln. Wir haben mit Stephan Hagenbuch, SMP-Direktor, über die Situation gesprochen.
Le Gruyère Switzerland reduziert wegen Absatzrückgang die Produktion, anscheinend auch im Alp- und Bio-Segment. Ist das eine kurzfristige Massnahme oder deutet sich ein strukturelles Problem im AOP-Segment an?
Stephan Hagenbuch: Grundsätzlich war die Situation beim Gruyère AOP vor den Ankündigungen aus den USA im Wesentlichen wieder im Lot. Einen Spezialfall stellt das Alp- und Bio-Segment dar, aufgrund der exponierten Absatzdestinationen – grosser Anteil Frankreich – mit Preisanpassungen. Die Schweizer AOP-Käse sind sehr unterschiedlich positioniert und alle haben ihre eigene Absatzstruktur resp. unterschiedliche Marktschwerpunkte. Gruyère ist unverändert eine starke Marke mit Potenzial. In der Summe haben die «Sortenkäse» in den letzten Jahren volumenmässig aber weniger gut abgeschnitten als die Nichtsortenkäse. Das zeigen die Zahlen klar. Auch der technologische Fortschritt trägt hier zu einem scharfen Wettbewerb bei. Beim Sortenkäse besteht auch die Situation mehrerer Anbieter, die dasselbe Produkt verkaufen wollen.
Ist die aktuelle Sommernachfrageflaute tatsächlich saisonal, oder sehen Sie Anzeichen für eine tiefere Konsumkrise im Premiumbereich?
Wir müssen uns einfach bewusst sein, dass der Käsemarkt gegenüber der EU offen ist. Das führt in allen Teilmärkten zu einem intensiveren Wettbewerb, vor allem dann, wenn es kurzfristig etwas zu viel Menge auf dem Markt resp. in den Lagern hat. Es ist nicht verwunderlich, wenn die Regulierung im Milchmarkt im Frühjahr etwas harzt, dann im Frühherbst etwas mehr Käse auf dem Markt «erscheinen». Grundsätzlich ist der Konsum in der Schweiz gut; innerhalb des Sortiments gibt es immer Verschiebungen.[IMG 2]
Wie stark belasten Exporthindernisse wie US-Zölle und die Währungssituation die Branche aktuell im Vergleich zu Vorjahren?
Es ist so, dass die aktuell in die USA exportierten Milchprodukte und milchhaltigen Verarbeitungsprodukte mit Schweizer Herkunft etwa eine Menge von 100 Mio Kilogramm umfassen. Es sind gut 8500 t Käse – rund die Hälfte Gruyère AOP – und beispielsweise Schweizer Schokolade. Die aktuelle Zollsituation für Exporte in die USA ist «einmalig». So etwas gab es in den letzten Jahrzehnten noch nie. Neben den Zöllen kommt noch die Wechselkursentwicklung des Schweizer Franken gegenüber dem US-Dollar dazu.
Welche Massnahmen braucht es?
Beim Gruyère wurden – wie bereits erwähnt – Produktionsanpassungen beschlossen und die Situation wird laufend überprüft. Wenn die Milchproduktion in einer solchen Situation nicht angepasst wird, belastet dies automatisch den gesamten Schweizer Milchmarkt – auch ausserhalb des Käses. Wie der Markt auf die notwendigen Preiserhöhungen im US-Exportgeschäft reagieren wird, wissen wir nicht genau. Klar ist jedoch, dass dies sehr deutliche Spuren im Absatz hinterlassen wird. Erschwerend wirkt, dass die Butterlager bereits vor den Entscheiden in den USA etwas über dem idealen Niveau lagen. Alle drei Komponenten sind für uns nun nicht vorteilhaft.
Deshalb braucht es schnell konkrete Massnahmen. In dieser Situation wäre es das Beste, diese kurzfristig nicht benötigte Milch gar nicht zu produzieren, an Kälber zu verfüttern oder den Bestand etwas anzupassen. Das ist allerdings in der Praxis nicht immer so einfach. Deshalb wird kurzfristig versucht, alternative Überschusskanäle und Normalmärkte zu beliefern. Rund 2000 t Rahm, d. h. das Äquivalent von 1000 t Butter, können pro Jahr zollfrei in die EU exportiert werden. Das werden wir 2026 wiederum tun müssen. Das reicht allerdings nicht. Wir gehen auch davon aus, dass es kurzfristig noch 2000 t Butterexporte braucht.
Wie könnten die EU-Exporte und Überschusskanäle den Druck auf Milch- und Butterpreise mindern?
Wir müssen heute davon ausgehen, dass es im Frühjahr 2026 deshalb über mehrere Monate C-Milch geben wird. Wir gehen heute von 5 bis 6 % über sicher fünf Monate aus, je nach weiterer Marktentwicklung. Das ist schmerzhaft, aber wesentlich «weniger schlimm», als den gesamten Markt unter Druck setzen zu lassen. Die Entscheide werden in der BO Milch im August und September 2025 im Interesse der Marktstabilität gefällt werden.
Inwiefern verschärfen die Überproduktion in den USA und Mexikos Eigenproduktionsstrategie die Situation für Schweizer Käseexporteure?
Die interne Situation in den USA ist induziert durch die aktuelle Handelspolitik der USA; auch mit gewissen Kollateralschäden. Allerdings muss man sich bewusst sein, dass die Schweizer Käse-Exporte in die USA in einem wirklichen Hochpreissegment stattfinden, das mit dem normalen Milchpreisniveau in diesen Ländern nicht zu vergleichen ist. Aber – wie erwähnt – auch in diesem Segment wachsen die Bäume nicht in den Himmel. Die US-Zölle werden deutliche Mengeneffekte zur Folge haben. Wir haben ja auch keine Ahnung, wo wir in diesem Prozess liegen.
«Kurzfristig müssen wir alle Energie in die Erhaltung der Marktstabilität investieren.»
Stephan Hagenbuch, SMP-Direktor, zur Ausnahmesituation auf dem Markt.
Welche Anpassungen in der Sorten- und Preisstrategie halten Sie für notwendig, um die Nachfrage langfristig zu stabilisieren?
Die Preise beim Käse werden in den Sortenorganisationen und im Handel festgelegt. Im Inland sehe ich eine stabilere Situation. Der Importdruck ist immer auch eine Herausforderung; insbesondere bei den Volumenprodukten. Im Export muss die Situation laufend überprüft werden, auch mit Bezug auf die Positionierung, die Wechselkurse und die Marktsituation. Bei den US-Zöllen ist es so, dass der Importeur diese zu entrichten hat. Ein Patentrezept gibt es da nicht.
Der Milchmarkt hat aktuell noch andere Herausforderungen – eine davon ist die Seuchenlage. Seit August 2024 wurden Fälle von BTV-8 und BTV-3 in der Schweiz gemeldet. Wie hoch schätzen Sie die Gefahr einer weiteren Ausbreitung ein?
Aufgrund unserer Rückmeldungen gehen wir von einer hohen Impfrate aus, welche die Situation stabilisiert. Auch das Monitoring im BLV zeigt in diese Richtung. Wir stellen fest, dass die Aufrufe Resonanz gefunden haben. Bei den Tierseuchen ist die Blauzunge aktuell nicht unsere grösste Sorge.
Erlauben Sie mir dennoch hier noch eine Nachfrage. Die Schweiz hat eine Impfstrategie gegen BTV-3 freigegeben. Reicht das aus, um mögliche wirtschaftliche Auswirkungen auf die Milch- und Käseproduktion zu begrenzen?
Wir betrachten die beschlossenen Massnahmen aktuell als angepasst. Die effektiven Auswirkungen in den Ställen wie Aborte, «leere» Kühe etc. werden sich noch genau zeigen. Es hat weniger Abkalbungen gegeben und die Situation auf dem Kälbermarkt hat sich seit November 2024 massiv geändert; aber wie festgehalten liegen unsere Hauptsorgen für den Milch- und Käsemarkt aktuell woanders.
Dann lassen Sie uns einen Blick nach Frankreich werfen. LSD ist im Juni 2025 in Savoyen nahe der Schweizer Grenze aufgetreten. Wie real ist die Gefahr, dass die Krankheit die Schweiz erreicht?
Wir nehmen diese Situation sehr ernst; denn je näher solche Ereignisse an die Schweizer Grenze kommen, desto bedrohlicher wird die Lage. Die Ausweitung der Überwachungszone von 50 km – auch wenn es keinen Fall in der Schweiz gibt – hat grosse Risiken und allenfalls negative Konsequenzen für die Rohmilchkäseproduktion in der Schweiz.
Die verordneten Massnahmen des Bundesamts für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) und der kantonalen Veterinärämter unterstützen wir zu 100 %. Es ist sehr wichtig, dass alles eingehalten wird, denn diese Seuche ist hochansteckend und ein Fall in der Schweiz hätte verheerende Konsequenzen.
Ist die derzeitige Strategie – Pflichtimpfung in Überwachungszonen (Genf, Nyon) und Impfverbot ausserhalb – aus Ihrer Sicht sinnvoll oder risikobehaftet?
Wir unterstützen diese Strategie des BLV, und mit Bezug auf die Rohmilchkäseproduktion in der Schweiz gibt es eben sehr, sehr gute Gründe, die Überwachungszonen auf 50 km zu belassen und auch ausserhalb der Überwachungszone nicht zu impfen. Einen risikolosen Weg gibt es in dieser Situation nicht.
Angesichts Absatzproblemen, Exportdruck und Tierseuchenrisiken: Welche strategischen Massnahmen halten Sie fürdie Schweizer Milchbranche für nötig?
Kurzfristig müssen wir alle Energie in die Erhaltung der Marktstabilität investieren. Dies bedingt auch, dass alle bereit sind, einen Beitrag zu leisten. Dann braucht es auch kurzfristig beim Bund etwas Flexibilität bei der Absatzförderung bei Export von Schweizer Käse. Wir müssen auch die Prioritäten bei Absatz, insbesondere von Käse, vermehrt auf den Inlandmarkt setzen. «Switzerland first» muss hier die Botschaft sein!
BIG-M fordert
Die Bauernorganisation BIG-M zeigt sich besorgt über die aktuelle Entwicklung im Schweizer Milchmarkt. Wegen der US-Zölle rechne die Branche mit sinkenden Käseexporten. Die Branchenorganisation Milch (BOM) wolle überschüssige Mengen deshalb in Form von Butter im Ausland «entsorgen», ist einer Mitteilung zu entnehmen, die BIG-M Anfang dieser Woche verschickte.
Hilfloses Signal
Für BIG-M ist dieser Entscheid ein «hilfloses Signal». Die Organisation fordert, dass Produzenten ihre Mengen an den Absatz anpassen können. «Überschüsse müssten gar nicht entstehen, wenn die Bauern Verantwortung für eine geregelte Versorgung übernehmen dürften», so BIG-M-Vorstandsmitglied Toni Peterhans. Heute aber dürfe jeder so viel melken, wie er wolle – mit negativen Folgen für die Produzenten.
Reform gefordert
BIG-M fordert deshalb eine rasche Reform des Milchmarktes. Nur so könne die Entsorgung von Überschüssen im Ausland dauerhaft verhindert werden.
Der globale schmale Grat
[IMG 3]
Kommentar von Simone Barth
Die Schweizer Milchbranche steht vor einer Zerreissprobe wie vielleicht noch nie zuvor. US-Zölle, die faktisch einen Exportstopp bedeuten, treffen gerade die Hochpreisprodukte wie Gruyère AOP und Schweizer Schokolade – genau die Segmente, die lange als sichere Einnahmequelle galten. Gleichzeitig drängen übervolle Butterlager, ein starker Franken und saisonale Nachfrageschwächen den Markt ins Ungleichgewicht.
Die Lage wird zusätzlich durch Seuchenrisiken verschärft. Blauzunge scheint dank Impfstrategien noch beherrschbar, doch die Lumpy-Skin-Krankheit in Savoyen (F) zeigt, wie schnell aus einer regionalen Bedrohung eine nationale Krise werden kann. Ein Ausbruch in der Schweiz hätte katastrophale Folgen.
Was bleibt, ist das Mantra der Stunde: Anpassung, Umsicht und Fokussierung auf den Binnenmarkt. Wer weiterhin unbegrenzt Milch produziert, riskiert, dass Markt und Preise im Winter einfrieren. Die Branche muss lernen, Überschüsse zu vermeiden, alternative Absatzkanäle zu nutzen und Exportstrategien neu zu denken, ohne dass ein Patentrezept in Sicht ist. Kurzfristige Flexibilität und langfristige Planung sind keine Optionen, sondern Überlebensstrategie.
Die Realität ist hart: Die Schweizer Milchproduktion alpt derzeit nicht nur am Berg, sondern auf einem globalen schmalen Grat – jeder Schritt muss sitzen. s.barth@bauernzeitung.ch