Der Gemüsegarten der Schweiz, das Grosse Moos im Berner Seeland, ist gebietsweise in Gefahr. Der Boden sinkt ab, jährlich schrumpft er um einen halben Zentimeter. Auch die Torfschicht nimmt immer mehr ab: Die Folge: Die Drainagen rücken näher an die Oberfläche und sie werden bei der Bodenbearbeitung von Traktor und Maschine zerstört. Auf vielen Feldern funktioniert deshalb die Entwässerung nicht mehr, nach starken Regenfällen verwandeln sich die Felder in richtige Seen. Die Ernte ist kaputt, der Schaden gross.

Material von Baustellen

Um diesen Problemen Herr zu werden, müssen gebietsweise kulturtechnische Aufwertungsmassnahmen getroffen werden – was von einigen als «Dritte Juragewässerkorrektion» bezeichnet wird. Die ersten Felder wurden deshalb schon mit herbeigeführtem Ober- und Unterbodenmaterial von Baustellen aufgeschüttet. Auch die Ersetzung des veralteten Entwässerungssystems sowie die bessere Verfügbarkeit des Wassers, durch Kanäle und Leitungen während der Trockenperioden, sind am Laufen. Die Kosten dafür sind erheblich: Das Bundesamt für Landwirtschaft beziffert sie auf mehr als 25'000 Franken pro Hektare.

Für den Verein Pro Agricultura wäre es eine Katastrophe, wenn man das Aufwertungspotenzial des Grossen Mooses nicht erkennen und nicht nutzen würde. Der Verein versteht sich als Interessengemeinschaft, wo in erster Linie eine engere Zusammenarbeit aller für die Erhaltung und die Förderung einer nachhaltig produktiven Landbewirtschaftung des Seelands interessiert. An vorderster Front ihre Geschäftsführerin Aurelia Marti.

Die BauernZeitung hat mit der Agronomin gesprochen und wollte wissen, wie schlimm es um das Grosse Moos steht. «Eine ‹Dritte Juragewässerkorrektion› ist sicher notwendig, um die Sicherung des landwirtschaftlichen Produktionspotenzials im Drei-Seen-Land (Bieler-, Murten- und Neuenburgersee) weiterhin zu gewährleisten», sagt Marti. Der Verein «Zukunft Drei Seen Land» habe sich dieser Aufgabe angenommen und suche nach sinnvollen Lösungen. Im Vorstand dieses Vereins würden momentan Grundlagen erarbeitet, um umfassende Massnahmen für die Veränderungen im gesamten Drei-Seen-Gebiet vorzuschlagen.

Ein zentrales Gebiet

Abo Martin und Bettina Hübscher werteten einen Teil dieser Parzelle auf. Die Aufwertung der übrigen Fläche wird ihnen aber verweigert. Wiedernässung von Ackerland «Durch das Vorgehen des Kantons werden wir Bauern schleichend enteignet» Monday, 19. December 2022 Dabei gehe es vor allem darum, verträgliche Massnahmen aufeinander abzustimmen. «Aus der Sicht von Pro Agricultura Seeland ist eine Kernforderung, dass das Seeland als zentrales Produktionsgebiet für die Nahrungsmittelproduktion anerkannt wird», hält Aurelia Marti fest. Denn das Seeland habe durch die sehr fruchtbaren Böden, den guten Zugang zum Wasser und durch ein grosses Know-how eine grosse Wichtigkeit für die Lebensmittelversorgung der Schweiz. «Dies gilt es zu bewahren, heute und auch in der Zukunft», sagt die Agronomin klar und deutlich.

Doch: Der Boden im Grossen Moos sackt gebietsweise weiter ab. Senken und Mulden bilden sich und nach einem Gewitter sammelt sich darin das Regenwasser. Es kommt häufig zu Grund- oder Staunässe, das Wasser kann nicht mehr schnell genug abfliessen. So einfach ist es aber nicht: Denn die Zusammensetzung des Bodens im Grossen Moos zeigt grosse Unterschiede, keine Spur eines homogenen Gefüges. Bei den «schwarzen» Böden könne es sich um einen «organischen Boden» (Moorboden) handeln.

Bei diesem sei die Torfmächtigkeit noch grösser als 40 cm innerhalb der obersten 80 cm des Bodens. «Von Torf wird gesprochen, wenn die Bodenschicht unter Wassersättigung und anaeroben Verhältnissen entstanden ist und der Anteil an organischer Substanz mehr als 30 % beträgt», erklärt die Agronomin. Es könne aber sein, dass nur unweit von dieser Stelle entfernt der Boden zwar durchaus «schwarz» aussehen würde, aber die Eigenschaften eines «organischen Bodens» (Moorboden) nicht erfüllen würden. Da bei diesem zum Beispiel die Torfmächtigkeit noch 20 cm betrage. «In diesem Fall handelt es sich um einen torfhaltigen, mineralischen Boden», so Marti.

Ein langsamer Abbau

«In vielen Gebieten ist die Sackung des Bodens bereits abgeschlossen oder sie findet nur noch langsam statt», stellt Aurelia Marti fest. Je tiefer der Anteil der organischen Substanz, desto langsamer der Abbau. «Irgendwann gibt es eine Stabilisierung», ist sie überzeugt. Dort, wo man noch einen grösseren Anteil an organischer Substanz habe, könne sich das Problem in den kommenden Jahren noch verstärken.

Um den Torfschwund im Grossen Moos bremsen zu können, wurden in den vergangenen Jahren verschiedene Massnahmen erprobt. So hat man zum Beispiel Böden mit einer Sandschicht überdeckt, mit dem Ziel, den Torf konservieren zu können. Oder der torfhaltige Oberboden wurde durch Tiefpflügen mit dem sandigen Untergrundmaterial vermischt, wodurch der Anteil an organischem Material in der obersten Bodenschicht vermindert und der Torfabbau verlangsamt wurde. «Es geht hier immer um eine Reduktion des Anteils der organischen Substanz, so dass wir in den Bereich kommen, wo wir nahe an der Stabilisation sind», so Aurelia Marti.

Durch das Aufschütten von Bodenmaterial könne zudem der Abstand der Bodenoberfläche zum Grundwasserspiegel vergrössert werden. Dadurch werde die Gründigkeit des Bodens erhöht und der Bodenwasserhaushalt verbessert. «Im Weiteren können mit der Aufschüttung auch Niveauprobleme zum Flurweg, zu den Drainagen oder zu den einzelnen Senken korrigiert werden», hält Marti weiter fest. Ziel sei es, mit der Bodenaufwertung die Bewirtschaftbarkeit zu verbessern und die Ertragsfähigkeit der Fruchtfolgeflächen nachhaltig zu sichern.

War eine Moorlandschaft

Abo Nachgefragt Die IG Pro Kulturland traf sich mit Amtschef Marco Pezzatti: «Auch Entschädigungsansätze kamen zur Sprache» Monday, 19. December 2022 Dass es mit dieser Problematik überhaupt so weit gekommen ist, hängt damit zusammen, dass das Grosse Moos vor 150 Jahren eine Moorlandschaft war, in der sich über mehrere tausend Jahre Torfschichten gebildet hatten. Im Rahmen der beiden Juragewässerkorrektionen im 19. und 20. Jahrhundert (1868 bis 1891 und 1962 bis 1973) wurde das einstige Sumpfland entwässert (drainiert). Obwohl sich die Lebensbedingungen der dort lebenden Menschen danach verbessert haben, gab es einen Nachteil: Bei der Entwässerung gelangte Sauerstoff in den Boden und es setzte eine chemische und mikrobielle Oxidation ein – das heisst, das organische Material (der Torf) begann sich zu zersetzen mit gleichzeitiger Freisetzung von Kohlenstoffdioxid.

Die Folge davon ist, dass der fortschreitende Abbau des Torfs mit einer Dimension von ein bis zwei Zentimetern pro Jahr vonstattengeht. Um genaue Daten zu erhalten, wie der Zustand der organischen Böden im Grossen Moos ist, wurde 2016 das Projekt Bodenkartierung lanciert. Das Projekt soll in diesem Winter abgeschlossen und im März 2023 der Öffentlichkeit präsentiert werden. «Die Bedeutung dieser Karte liegt in erster Linie darin, eine bessere Datengrundlage und eine bessere Information zum Zustand der Böden zu erhalten», so die Agronomin.

Die Kosten sind hoch

Wie viele Hektaren Land schlussendlich mit mineralischem Aushubmaterial aufgewertet werden sollen, könne man aktuell nicht sagen: «Erste Hinweise wird es geben, sobald die Bodenkartierung abgeschlossen ist», so Aurelia Marti. Ob dies ein Landwirt auf sich nehmen werde, hänge auch stark mit den Kosten zusammen. Denn es gebe subventionierte und nicht subventionierte Projekte. «Projekte, welche nicht subventioniert sind, werden durch die Grundeigentümer und von den Abladegebühren des Aushubmaterials, sofern für die Aufwertung zusätzliches Material benötigt wird, finanziert», sagt Marti. Denn für das Aushubmaterial von Baustellen werde eine Abladegebühr verlangt, analog wie dies bei einer Deponie der Fall ist. Bei subventionierten Projekten hingegen tragen in der Regel der Bund und die Kantone 50 bis 60 % der Kosten. Der Rest wird wiederum durch den Grundeigentümer und mit der Abladegebühr mitfinanziert.

Neue Drainagen

Für die zukünftige Nutzung des Grossen Mooses ist sicher ein Konzept gefordert, das auf einer Gesamtsicht beruht. An welchen Orten ist das landwirtschaftliche Ertragspotenzial so hoch, dass sich Investitionen wie Bodenverbesserung und allenfalls auch eine weitere Erneuerung der Drainagen lohnen würden? Wo wäre es hingegen sinnvoll, die Natur einfach walten zu lassen, und welche Konsequenzen hätte dies? Diese Fragen dürften sich stellen, wenn die Bauern ihre Drainagen ersetzen müssten. «Auch hier werden die Kosten entweder vollumfänglich vom Grundeigentümer getragen oder sie werden teilweise von Bund und Kanton subventioniert», sagt Aurelia Marti.

Dabei liege der Beitragssatz der Subventionen auch hier bei etwa 50 bis 60 % (bei Gesamtmeliorationen etwas höher), die Restkosten bleiben beim Grundeigentümer. «Leider ist es aktuell so, dass die subventionierten Projekte durch viele Auflagen der unterschiedlichen kantonalen Fachstellen sehr langsam und schwerfällig werden. Dies hat zur Folge, dass diese kaum oder nur langsam zur Umsetzung kommen», hält die Agronomin fest. Dies sei insbesondere bei den Bewässerungsanlagen sehr schade und bedenklich. Denn: «Die neuen Bewässerungsprojekte würden viele Vorteile auf einmal bringen: Wegfall der Dieselpumpen, Reduktion von Arbeitsaufwand, Verminderung der Lärmbelastung, Verminderung des CO2-Ausstosses und einen viel besseren Torfschutz», sagt sie.

Die Kulturen anpassen

Obwohl die Herausforderungen für die Bauern im Grossen Moos in Zukunft sehr gross sind, ist Aurelia Marti zuversichtlich: «Persönlich bin ich davon überzeugt, dass das Grosse Moos weiterhin seine Bedeutung für die Produktion von Schweizer Lebensmitteln behalten wird.» Sie gehe aber davon aus, dass doch einige Betriebe aufgrund der klimatischen Veränderungen teilweise ihre Kulturen anpassen müssen. Dies könne Einschränkungen geben, die schmerzhaft seien, aber auch viel Platz für Innovationen bieten würden. «Die Bauern im Seeland waren und sind stets innovativ, um sich den kommenden Herausforderungen wie dem Klima und dem Markt anzupassen», ist Marti überzeugt.