Die Frage ist nicht, ob es passiert, sondern wann. Bei Swissherdbook, dem grössten Viehzuchtverband der Schweiz, verliert die Rasse Red Holstein immer mehr an Bedeutung. Innert weniger Jahre dürfte sie im Herdebuch des einstigen Fleckviehzuchtverbands von den Holsteinern überholt werden. Während Red Holstein 2022 mehr als 3000 Tiere verlor, haben die Holsteiner eben diese Zahl fast wettgemacht. Wir haben uns mit Markus Gerber, Präsident Swissherdbook, über die Gründe und die Auswirkungen unterhalten.
Freizeit und Unabhängigkeit
«Die Tendenz, die wir wahrnehmen, ist, dass Freizeit und Unabhängigkeit auch bei den Milchproduzenten wichtiger werden», erklärt Markus Gerber. Diese Bedürfnisse könnten zu grossen Teilen mit technischen Lösungen gedeckt werden, so zum Beispiel mit Zusammenarbeit, modernerem Stall oder Melkroboter – oder aber eben der Aufgabe dieses Produktionszweigs. «Der Druck auf die Milchproduktion wird zunehmen», ist Gerber sicher. Einerseits nach innen, andererseits aber auch nach aussen. Denn die Anzahl Betriebe wird weiterhin abnehmen. Hier würden sich aber eindeutig regionale Unterschiede abzeichnen. Oft werde gerade in Gebieten mit erschwerten Bedingungen wie im Berg- oder Hügelgebiet vermehrt an der traditionellen Produktion festgehalten. Hier sei es wichtig, dass der Betrieb weitergeführt werde, auch wenn einer auswärtigen Tätigkeit nachgegangen werde. «Hier ist es wichtig, dass weiter gemolken wird, auch wenn es nur zehn oder zwölf Kühe sind», weiss der Swissherdbook-Präsident.[IMG 2]
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Konzentration sichtbar
In anderen Gebieten, wo die Produktionsbedingungen besser wären, kommen diese Bedürfnisse nach mehr Freizeit oft stärker zum Vorschein. «In der Westschweiz gibt es mehrere grosse Greyerzer-Betriebe, welche die Milchproduktion aufgeben», weiss Markus Gerber. Der Grund sei klar: der Wunsch nach mehr Freizeit und eine tiefere Abhängigkeit vom Betrieb. «Sie sagen zu sich: Nein, das tun wir uns nicht mehr an, und geben auf», erklärt Gerber.
Swissherdbook beobachtet im Bereich der Milchproduktion eine Konzentration. Das heisst, dass die Betriebe grösser werden. Die Tierzahl sei zwar rückläufig, aber nur im marginalen Bereich. Der grösste Viehzuchtverband verlor im Geschäftsjahr 2022 deutlich weniger als 1 % der Herdebuchtiere.
Eine Tendenz, die sich ebenfalls abzeichnet, ist, dass Rassen mit höheren Leistungen, wie Holstein und Red Holstein, tendenziell in grösseren Strukturen gehalten werden. «Das eine schliesst das andere zwar nicht aus, aber diese Tendenz zeichnet sich klar ab», sagt Gerber.
«In der Aufstockungsphase kommen wir zum eigentlichen Thema der Holsteinisierung.»
Markus Gerber, Präsident Swissherdbook.
Vor 25 Jahren erkannt
Als Markus Gerber vor 25 Jahren erste internationale Kontakte knüpfte, hätten die Deutschen diese Tendenz, welche die Schweiz heute erlebt, schon damals bestätigt. «Der Schritt von 20 oder 30 Kühen auf 60 ist der grössere als von 60 auf 120 oder 150 – vom Management her», erklärt der Swissherdbook-Präsident weiter.
«Das merken wir in der Schweiz jetzt auch», ergänzt er. Wir haben Betriebe, die einen Roboter anschaffen und von 30 auf 60 Kühe aufstocken, um den Roboter auszulasten. Gerade solche Betriebe würden tendenziell auf intensivere Rassen setzen oder entsprechend umsatteln. Hinzu käme der Umstand der Verfügbarkeit. «In der Aufstockungsphase kommen wir zum eigentlichen Thema der Holsteinisierung», sagt Markus Gerber. So seien Holstein und auch Red Holstein am Markt besser verfügbar als beispielsweise Brown Swiss. Solche Betriebe würden – auch wenn sie vorher sehr rassentreu gearbeitet hätten – bei der Aufstockung öffnen.
Angebot ist kleiner
Die Holsteinisierung scheint also ein Trend zu sein, den auch andere Rassen zu spüren bekommen. Was ist nun aber der Grund, weshalb die rote Kuh gegenüber ihrer schwarzen Schwester hierzulande an Boden verliert? «Das genetische Angebot bei Holstein ist viel grösser», weiss Markus Gerber. Viele Betriebsleiterinnen und Betriebsleiter seien nicht zu Kompromissen bereit und würden daher lieber auf die grosse Auswahl bei Holstein setzen. Hinzu käme, dass es oft auch keine Rolle mehr spiele, welche Farbe im Stall stehe, und das habe unweigerlich Folgen für die Red-Holstein-Rasse.
Keine E-Stiere
Auf dem Betrieb Beroie von Markus Gerber in Bellelay BE wird seit beinahe einem Jahrzehnt auf Kappa-Kasein «gezüchtet». «Es kommen keine E-Stiere zum Einsatz, wir haben noch ein einziges E-Tier», so Gerber. Diesen Weg geht Gerber konsequent mit dem Resultat, das die Milchgehalte in der Milch, die zu Tête de Moine verarbeitet wird, auch «an der einfachen Heufütterung» möglichst hoch sind. Kommen noch ein paar weitere Merkmale hinzu, auf die der Züchter achtet, wird es im Angebot von Red Holstein sehr rasch einmal eng, während bei Schwarz immer noch aus einer breiten Palette ausgesucht werden kann.
Immer mehr Schwarz
Gefragt nach dem Grund, weshalb Markus Gerber überhaupt noch Red-Holstein-Stiere einsetzt, schmunzelt er. «Das ist eine Herzensangelegenheit», sagt er. Im jüngst erstellten Laufstall gehören rund 60 % der Kühe der Rasse Red Holstein an. Bei den Besamungen werde es aber zunehmend «schwarzer», erklärt der Züchter.
Genomische Selektion
Gefragt nach der Verantwortung, welche die Genetikanbieter hier zu tragen hätten, erklärt Gerber, dass es bei Rot deutlich schwieriger sei im Bereich des genetischen Fortschritts, der über den Weg der genomischen Selektion erzielt werden könne. «Wenn wir eine Selektion aus 100 Stieren einer solchen mit 2000 Stieren gegenüberstellen, ist die Rechnung rasch gemacht», erklärt er. Der genetische Fortschritt ist bei Holstein also rein schon aufgrund der Zahlen im Vorteil. Das Angebot bei Rot schätzt Gerber aktuell dennoch als «recht gut» ein.
Richten wir den Blick etwas nach aussen, kann auch hier eine eindeutige Tendenz in Richtung Schwarz beobachtet werden. Markus Gerber räumt ein, dass sich im Zusammenhang mit der Entwicklung der Holsteinrasse entscheidende Fragen stellen werden. Zum einen ist da die Geschichte ums Klonen und zum anderen der Aspekt mit dem Gen-Editing. Mit dieser Methode können Gene an- oder ausgeschaltet bzw. eingefügt oder entfernt werden. «Wenn das kommt – und das wird kommen, denn Nordamerika wird es vorantreiben –, dann stellt sich die Frage, wie sich Europa und die Schweiz verhalten werden», weiss Gerber. Eine weitere Frage dürfte auch sein, werden mittels Klone bereits mehrere Embryonen produziert, um die Sicherheit zu haben, dass durch Tod oder Unproduktivität ein Top-Stier nicht verloren ginge, weil quasi identische Produkte vorhanden sind. Und deren Potenzial wird bereits am Embryo getestet.
Bisher verhindert eine Branchenlösung den Einsatz solcher Klon-Tiere. Doch was wird die Zukunft mit sich bringen? Früher habe man beim Klonen an Dolly gedacht – an dieses Schaf, bei dem aus einer Lebendzelle, also von einem lebenden Tier, ein Nachkomme produziert wurde. Der Klonprozess in der heutigen Zeit gestalte sich de facto doch deutlich anders und passiere im Embryo-Stadium, sagt Gerber und schiebt nach, dass es sich hier bereits in vielen Ländern einfach um moderne Züchtungsmethoden handle.
Genetische Hornlosigkeit
Mit Gen-Editing könnte dereinst die genetische Hornlosigkeit geholt werden. «Die Frage, die sich hier stellt: Wollen wir das oder wollen wir das nicht. Hier werden wichtige Diskussionen stattfinden», stellt Gerber fest.
Die Holsteinisierung und die mit ihr verbundenen Produktions- und Züchtungsmethoden sind weltweit eine Tatsache. Wie viel davon in der Schweiz dereinst Alltag wird, ist aktuell nur vage abschätzbar. Sicher ist, bei Swissherdbook wird die schwarze Holstein die rote überrunden – und das schon sehr rasch einmal. «Das steht fest. Es ist nur noch eine Frage der Zeit», bilanziert Markus Gerber.

