Neue Rezepte für die Weidewirtschaft sind gefragt – dies angesichts der heftigen Niederschläge, die in diesem Jahr vom Frühling bis in den Juni hinein andauerten. Dazu kommt, dass sich viele Landwirte mit Schrecken auch an die Hitzeperioden der vergangenen Jahre erinnern.

Es braucht neue Weideregeln

«Unsere Weidetechnik muss man überdenken», ist denn auch Pierre Aeby der Meinung. Aeby ist als erfahrener Futterbauberater in Grangeneuve (FR) tätig. «Was wir bis jetzt gemacht haben, war richtig», sagt er, fügt aber selbstkritisch an: «Unsere Futterbauempfehlungen waren auf optimale Wetterbedingungen und gute Standortbedingungen ausgerichtet.» [IMG 2] Ein Stück weit sei es vorbei mit den «normalen» Jahren, immer mehr müsse man mit Wetterextremen rechnen. Der Futterbau stosse im Talgebiet vielerorts schon heute an seine Grenzen. Laut Weideregel soll man bei 15 cm Aufwuchshöhe mit der Beweidung beginnen und bis 5 cm tief abgrasen lassen. «Das ist an gewissen Standorten zu rigoros und zieht die Weide in Mitleidenschaft», sagt Pierre Aeby. So habe die Kursrasenweide, also intensive Standweide, stark an Bedeutung verloren. Auch bei Umtriebsweidesystemen sei das Nachwachsen der Pflanzenbestände nicht mehr gewährleistet.

Wie Mob Grazing funktioniert

Neuen Weidesystemen wie Mob Grazing steht Pierre Aeby positiv gegenüber – und so funktioniert es:

  • Die gesamte Weidefläche muss in einzelne Flächen geplant und unterteilt werden.
  • Jede Weideportion wird sehr kurz bestossen (nur einen halben Tag, höchstens einen Tag), aber mit einem sehr hohen Tierbesatz.
  • Eine Fläche hat eine Ruhezeit von zwanzig bis fünfzig Tagen vor der nächsten Beweidung.
  • Durch den sehr hohen Tierbesatz wird die kleine Fläche vollständig abgegrast.
  • Ein Säuberungsschnitt ist nicht notwendig. Allfällige Weidereste werden von den Rindern niedergetrampelt. Sie bilden eine Mulchschicht, die den Boden vor Austrocknung schützt.

Abo Video Die Original-Aberdeen-Angus-Mutterkühe der Stone Ranch verbringen den ganzen Sommer draussen. Im Herbst fressen sie Zwischenfrüchte und Gründüngungen, was die Weidesaison verlängert. Alternatives Weidemanagement Familie Schreiber hat Mob Grazing als «Hochgrasweide» für sich massgeschneidert Friday, 14. June 2024 Übrigens sei diese Weidetechnik auch nicht neu, weiss Pierre Aeby. So habe in den 1950er- und 1960er-Jahren der französische Biochemiker und Landwirt André Voisin dazu geforscht. Voisins bekanntestes Werk ist «Die Produktivität der Weide» von 1957. Es ist online auch auf Deutsch erhältlich.

«Leider befasste sich hierzulande kaum jemand damit. Es funktionierte mit der Umtriebsweide ja jahrelang gut», sagt Aeby. Im Zentrum von Wissenschaft und Forschung standen im Futterbau immer die Erträge und die Fütterung der Tiere – und nicht die Bodenfruchtbarkeit. Dem Boden, dem Wurzelwerk und den Bodenlebewesen wurde kaum Aufmerksamkeit geschenkt.

«Eigentlich sollten Blattmasse und Wurzelwachstum im Gleichschritt gedeihen – alles, was oben ist, soll sich auch nach unten entwickeln», sagt Pierre Aeby. Bei Mob Grazing werde dies berücksichtigt. Durch die lange Ruhephase, während derer das Gras nachwächst, können sich so auch die Wurzeln vollständig regenerieren.

Durch Wurzelausscheidungen und die Arbeit der Bodenlebewesen erhöht sich die Fruchtbarkeit und Stabilität der Böden. Ihre Wasserspeicherfähigkeit steigt. Das ist für das Überdauern von Trockenperioden von Vorteil. So empfiehlt Aeby, statt der 15 cm Wuchshöhe bei Weidebeginn in trockenen Parzellen und Gegenden den Weidegang bei 20 bis 35 cm zu beginnen.

Bodenfruchtbarkeit fördern

Die Weidereste werden niedergetrampelt und bilden eine Mulchschicht, die den Boden vor Austrocknung schützt. «Ein Säuberungsschnitt kann durchaus Sinn machen», sagt der Futterbauspezialist. Wenn man die Weidereste stehen lasse, können diese noch Samen produzieren. Auch erhöhe die organische Substanz die Aktivität der Bodenorganismen. In den vergangenen Jahren sei dies zu kurz gekommen, da Mist und Kompost fast vollständig aus dem Futterbau verschwunden seien. «Heute wird vor allem Gülle mit dem Schleppschlauch und schweren Traktoren ausgetragen – das ist nicht zum Vorteil der Bodenstruktur», sagt Aeby.

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Aber hilft so eine Weidestrategie auch in Nässeperioden? Sicher, sagt Aeby. Aber er befürchtet, dass in diesem Jahr durch die vielen Niederschläge die Böden dermassen gesättigt seien, dass die Durchlüftung gelitten hätte und sich die Wurzeln nur oberflächlich entwickelt haben. «Es ist durchaus möglich, dass sich in zwei, drei Wochen das Wetter unmittelbar ändert und eine Hitzeperiode folgt. Dann ist durch die schlechte Bodenstruktur in diesem Jahr Dürre programmiert.»

Abo Holistisches Betriebsmanagement Eine Weidestrategie gegen die Trockenheit Monday, 17. June 2024 Potenzial hätte Mob Grazing laut Aeby bei extensiver Weiderindermast oder bei Galtkühen. Für Milchkühe sei der hohe Fasergehalt und die Futterqualität limitierend. «Auch fehlen uns beim Milchvieh hierzulande gänzlich die Erfahrungen. Vielleicht wären auch sogenannte Zwischensysteme möglich, die in Richtung Mob Grazing gehen», sagt er.

Alternativen zu Kunstwiesen

Mob Grazing ist für Pierre Aeby nicht die einzige Lösung. «Wenn in längeren Hitzeperioden kein Gras mehr wächst, hilft auch die beste Weidetechnik nicht», sagt er. Eine Alternative sei, anstelle von Kunstwiese Sudangras, Sorghum oder Futterrüben auszusäen. Diese Pflanzen bauen auch bei Wasserknappheit und hohen Temperaturen mehr Biomasse auf als herkömmliche Futterpflanzen. Ihr Nährwert ist allerdings geringer.

Bei den Versuchen von Pierre Aeby in Grangeneuve habe Sudangras am besten abgeschnitten. Sorghum dürfe erst ab einer Wuchshöhe von 50 bis 60 cm beweidet werden. Denn im Jugendstadium enthält Sorghum Blausäure, die für Wiederkäuer gefährlich sein kann. Der Vorteil von Futterrüben sei, dass man damit über einen reichhaltigen Futtervorrat verfüge, der nie in ein Reifestadium übergehe. Allerdings müssen die Tiere erst lernen, Futterrüben zu fressen.

Weitere Informationen und Buch: www.weidewelt.org
Download: André Voisin, «Die Kuh und ihre Weide»