Zeigen Milchkühe aus dem Anbindestall auf der Weide ein anderes Sozialverhalten als solche, die in einem Laufstall gehalten werden? Dieser Frage ging Saskia Möller in ihrer Maturaarbeit an der Kantonsschule Wil SG nach. Dafür untersuchte sie das Verhalten von 56 Tieren, 30 davon aus dem Laufstall und 26 aus Anbindehaltung. Beide Herden wurden jeweils 20 Stunden an 10 verschiedenen Tagen beobachtet und die Art und die Dauer aller Kontaktverhalten mit Videokamera und Diktiergerät festgehalten. Besonderes Augenmerk galt dem sozialen Lecken, dem sozialen Reiben und dem sozialen Hornen. Anschliessend wertete Möller die Daten mit statistischen Methoden aus.
Das Resultat zeigt zunächst, dass die im Laufstall gehaltenen Kühe das Kontaktverhalten seltener zeigten als ihre Artgenossinnen aus dem Anbindestall. Bei den Laufstall-Kühen wurden im Schnitt knapp 22 Kontakte festgestellt, bei jenen aus dem Anbindestall waren es rund 30.
Längeres Lecken auf der Weide
Weiter zeigte sich: Die Dauer der Kontaktverhalten der im Laufstall gehaltenen Kühe ist insgesamt kürzer als der Kontaktverhalten der im Anbindestall gehaltenen Kühe. Während sich die Anbindestall-Kühe insgesamt 25 Minuten dem gegenseitigen Lecken, Reiben oder Hornen widmeten, war es bei den Laufstall-Kühen nur etwas mehr als eine Viertelstunde. Widerlegen konnte Saskia Möller die Annahme, dass Kühe, die im Anbindestall nebeneinanderstehen, auf der Weide mehr miteinander interagieren als mit «Nicht-Nachbar-Kühen». Im Schnitt standen rund 27 «Nicht-Nachbar-Kontakte» rund 3 «Nachbarkontakten» gegenüber. [IMG 2]
Die statistischen Untersuchungen hätten gezeigt, dass die Unterschiede im Sozialverhalten signifikant seien, hält Saskia Möller in der Diskussion ihrer Arbeit fest. Ihre Schlussfolgerung: «Kühe aus dem Anbindestall holen die Kontakte auf der Weide nach.» Im Gegensatz dazu könnten die Kühe des Laufstalls das Kontaktverhalten auch zeigen, während sie im Stall sind, und hätten deshalb auf der Weide nicht mehr das gleiche Bedürfnis dafür wie die Kühe des Anbindestalls, schreibt Möller in der Diskussion ihrer Arbeit.
Nachbarinnen werden nicht bevorzugt
Sie verweist dabei auf Resultate des dänischen Forschers Christian Krohn von 1994, wonach Kühe eines Laufstalls das soziale Hornen in 15 Stunden genau gleich häufig zeigten wie Kühe eines Anbindestalls während einer Stunde im Auslauf. «Es ist interessant, dass es bei der Anzahl von Kontaktverhalten weder einen Ausreisser nach oben noch nach unten gibt», schreibt Saskia Möller in ihrer Arbeit. «Dies deutet darauf hin, dass keine Kuh hinsichtlich der Häufigkeit ein viel grösseres oder ein viel geringeres Bedürfnis nach Kontaktverhalten hatte als die anderen Kühe.»
Für Saskia Möller zeigen die Resultate die Bedeutung des regelmässigen Auslaufs, wie er im Artikel 40 der Tierschutzverordnung vorgeschrieben ist. «Anhand dieses Ergebnisses kann man vermuten, dass die Kühe des Anbindestalls das Kontaktverhalten geniessen und es auch schätzen, dass sie auf der Weide die Möglichkeit dazu bekommen», schreibt Möller. Dass die Anbindestall-Kühe ihre Stallnachbarinnen auf der Weide nicht signifikant bevorzugten, erklärt sich Saskia Möller damit, dass diese das Kontaktverhalten lieber mit Kühen auslebten, die sie mögen.
Regelmässiger Auslauf ist wichtig
Das Resultat stehe im Widerspruch zu einer älteren Studie, wonach Tiere, die in der Nacht nebeneinanderliegen, auch Weidepaare sind. Saskia Möller hofft, dass ihre Daten Eingang in die Forschung finden. Bei der Sichtung der Fachliteratur habe sie festgestellt, dass es zu dem Thema kaum Daten gebe. «Ich habe lange recherchiert, aber keine einzige Studie gefunden», sagt sie. Zur Debatte um die Zukunft des Anbindestalls äussert sie sich pragmatisch: «Die Daten zeigen, dass es in der Anbindestallhaltung umso wichtiger ist, dass die Tiere regelmässig genügend Auslauf erhalten.»
Nicht diskutiert wird in der Arbeit, ob das verminderte Kontaktverhalten der Laufstall-Kühe in Zusammenhang mit sozialem Stress im Laufstall stehen könnte. Saskia Möller geht aber nicht davon aus: «Ich hatte nicht das Gefühl, dass sich die Laufstall-Kühe ganz anders verhalten haben.»
Herden wurden nicht zeitgleich beobachtet
Für verlässliche Aussagen brauche es aber mehr Daten. «Es wäre interessant, die Beobachtungen mit weiteren Herden durchzuführen», schreibt Möller. «Zudem könnte man die Dauer der einzelnen Beobachtungsperioden verlängern, um herauszufinden, ob sich die Resultate mit der Dauer verändern.»
Relativiert werden die Ergebnisse auch dadurch, dass die Herden nicht zeitgleich beobachtet werden konnten. So wurde die Beobachtung der Laufstall-Tiere jeweils am Morgen durchgeführt, jene der Anbindestall-Kühe aber am Abend. Auch waren in beiden Herden Tiere verschiedener Rassen und Altersklassen gemischt.
Für Saskia Möller selbst ist die Forschung zum Thema vorbei. Nach der Matur fängt sie an der pädagogischen Hochschule an. Ihre Daten stelle sie aber gerne interessierten Forschenden zur Verfügung, sagt sie.

