Die Milchproduktion gilt in der Schweiz als standortangepasst und ist der wichtigste Produktionszweig der hiesigen Landwirtschaft. Gleichzeitig ist sie mit einer Produktionsmenge über dem Inlandbedarf auf den Export ausgerichtet, vornehmlich in die EU. «Um Marktanteile zu sichern, müssen Schweizer Betriebe in der Milchproduktion gegenüber EU-Betrieben wettbewerbsfähig sein», schreibt Agroscope in einer aktuellen Studie. Doch um diese Wettbewerbsfähigkeit – gemessen am Kostendeckungsgrad – steht es offenbar nicht allzu gut.

40 Prozent nicht gedeckt

Abo Milchproduzenten sind gezwungen, sich mit der wirtschaftlichen Situation auseinanderzusetzen. Rentabilität Wer erfolgreich Milch produzieren will, muss die eigenen Kosten kennen Friday, 12. April 2024 Ein typischer Schweizer Milchwirtschaftsbetrieb mit 21 Kühen in der Hügelregion weist der Studie zufolge einen Kostendeckungsgrad von unter 60 Prozent auf. Das heisst, die Kosten für die Produktion sind zu 40 Prozent nicht gedeckt. Dies, obwohl die Studienautoren nicht nur den Milchpreis berücksichtigt haben, sondern ebenso Einkünfte aus Direktzahlungen oder dem Verkauf von Fleisch oder Zuchttieren. Damit liegt der Schweizer Durchschnittsbetrieb hinsichtlich Kostendeckung deutlich unter den Vergleichspartnern aus Deutschland (mit 30 Milchkühen) und Frankreich (40 Milchkühe).

Bekannt ist, dass die Milchproduktion in der Schweiz generell schon einmal teurer ist als im Ausland, z. B. wegen höherer Preise für Futter oder Infrastruktur. Die Arbeitsproduktivität klafft im internationalen Vergleich aber auch weit auseinander: «Sie reicht von gut 20 Litern je Arbeitsstunde beim Schweizer Biobergbetrieb bis zu 292 Litern pro Stunde beim niederländischen Familienbetrieb – das ist mehr als Faktor 14», schreibt Agroscope und führt dies auf den Einsatz von Automatisierungstechniken in der niederländischen Herde von über 100 Kühen zurück. Etwas besser sei die Situation auf einem grösseren Schweizer Talbetrieb mit rund 70 Kühen und 84 Litern je Arbeitsstunde. Flächenintensive Betriebe mit hoher Besatzdichte, hoher Einzeltierleistung und hohem Kraftfutterinput erreichen eine höhere Arbeitsproduktivität und in der Tendenz auch eine bessere Kostendeckung.

Wesentliche Treiber der Kosten

Mit weniger Arbeit mehr produzieren, das spart Kosten. Es ist aber auch entscheidend, wie viel die Arbeitszeit kostet. Mit den hierzulande üblichen Zahlen ergibt sich laut Agroscope ein Lohnansatz von 26 Franken pro Stunde in der Bergregion, 28 Franken in der Hügel- und 30 Franken in der Talregion. Diese Werte liegen im Durchschnitt 44 Prozent höher als bei den EU-Betrieben. «Die hohen Arbeitskosten, bedingt durch den hohen Lohnansatz und eine schlechte Arbeitsproduktivität, sind auf typischen Schweizer Betrieben ein wesentlicher Treiber für den vergleichsweise tiefen Kostendeckungsgrad», heisst es in der Studie. Ein wichtiger Punkt: «Auch wenn Erschwernisse und höhere Auflagen im Rahmen des ÖLN oder der Tierwohlprogramme mit Direktzahlungen kompensiert sind, wird die Arbeit nicht weniger.»

Denn was die Milchproduktion der Schweiz teuer macht, ist unter anderem auch das, was sie ausmacht: die Nutzung von Grünland mit hohem Raufutter- und tiefem Kraftfuttereinsatz sowie traditionelle Familienbetriebe mit überschaubaren Herdengrössen. Auf diese Weise ist die Haltung von Milchkühen hierzulande standortgerecht – aber eben international weniger konkurrenzfähig.

Die Agroscope-Studie liefert Ansätze, wie sich das ändern liesse. Höhere Milchpreise scheinen weniger dazuzugehören, denn trotz Steigerungen in den Jahren 2022 und 2023 habe der Kostendeckungsgrad bei kleineren Betrieben unter 60 bis 70 Prozent gelegen. Kommt hinzu, dass die Produzenten den Milchpreis in der Schweiz – der auch vom Weltmarkt abhängt – kaum selbst beeinflussen können. Das Fazit von Agroscope lässt sich folgendermassen zusammenfassen:

Herdengrösse: Mindestens 50 Milchkühe sollten es in der Talregion sein, um dank eines Kostdeckungsgrads von mindestens 80 Prozent ökonomisch nachhaltig zu sein.

Arbeitsproduktivität: Sie liesse sich im Hochlohnland Schweiz durch Roboter und/oder verstärkte Weidehaltung steigern. Aus gesellschaftlichen und agrarpolitischen Gründen sei Letzteres wo immer möglich zu favorisieren.

Kostenmanagement: Überbetrieblicher Maschineneinsatz, effiziente Arbeitsorganisation oder kostensparende Umbaukonzepte und eine klare Strategie mit angepasster Tiergenetik sind Beispiele dafür, wie Ausgaben tief gehalten werden können.

Opportunitätskosten: Mit dem Entscheid zur Milchproduktion entschliesst man sich gegen die Möglichkeit, einen allenfalls höheren Lohn im Pflanzenbau oder gar in einem anderen Beruf zu verdienen. Diese Opportunitätskosten hängen von den Erwerbsmöglichkeiten und -bedingungen in anderen Sparten oder Betriebszweigen ab, aber auch von deren Attraktivität für den jeweiligen Landwirt. Ist er ein passionierter Milchbauer, ist er allenfalls bereit, für weniger Geld zu arbeiten, womit die Opportunitätskosten für seine Arbeit auf dem Hof sinken. Das erhöht faktisch den Kostendeckungsgrad.

«Eine Milchproduktion auf mittelgrossen Betrieben in der Berg- und Hügelregion kann nachhaltig sein, wenn Arbeitsstellen in der übrigen Wirtschaft entweder nicht vorhanden oder inhaltlich für den Betriebsleitenden weniger attraktiv sind als die Passion zur Milchproduktion mit allem, was dazu gehört», so die Studie.

Gute Aussichten

Wenn die Voraussetzungen – inklusive einer ausreichend grossen Leidenschaft – stimmen, sind die Aussichten trotz allem eigentlich gut. Weltweit scheine das Milchangebot zu schrumpfen, als Folge zunehmender Reglementierung, lauter Kritik von Minderheiten an der Tierhaltung, sich erschöpfender Landressourcen in grossen Exportnationen wie Neuseeland und der Verknappung von Wasser in vielen Ländern. Demgegenüber stehe eine steigende Nachfrage. «Diese globale Perspektive spricht nicht für sinkende Milchpreise», halten die Studienautoren fest. Vielmehr biete sich für Schweizer Milchbetriebe mit optimalen Bedingungen eine Chance, sowohl die wirtschaftliche Situation als auch ihre Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern.

 


«Eigentlich Topvoraussetzungen»

Wenn man den schlechten Kostendeckungsgrad vieler Schweizer Betriebe sieht, stellt sich die Frage: Wie haben sie in den letzten Jahren überlebt?

[IMG 2]Christian Gazzarin: Die Studie basiert auf einer Vollkostenbetrachtung, bei der auch die eigene Arbeit zeitgemäss entlöhnt wird. In der Praxis hat jedoch die Freude an der Milchproduktion einen hohen Stellenwert. Das heisst, im Kopf werden Arbeitsstunden, die mit Freude und Zufriedenheit verbunden sind, nicht gezählt. Entsprechend haben solche Familienbetriebe einen grossen Puffer und können auch bei schlechten Preisen weiterproduzieren, während grosse Businessbetriebe mit Angestellten Konkurs gehen. Allerdings ist diese «Passion» begrenzt, weshalb viele Betriebe aufgeben. Immer weniger sind bereit, früh aufzustehen und sich abzurackern, wenn die vollen Kosten nicht gedeckt sind.

Wer sich oder mitarbeitenden Familienmitgliedern einen tieferen Lohn auszahlt, kann dadurch den Kostendeckungsgrad steigern. Aber das Geld fehlt doch trotzdem im Portemonnaie?

Ja, klar. Im Normalfall können Betriebe ihre Abschreibungen tätigen und mit dem Einkommen ihre täglichen Familienausgaben bewältigen. Wenn man es aber auf die Arbeitszeit umrechnet, ist der Lohn im Vergleich zu einem Angestellten in übrigen Wirtschaftssektoren meist sehr tief. Das Portemonnaie wäre also oft voller, wenn auf dem Betrieb extensiviert und ausserlandwirtschaftlich gearbeitet wird. Wenn aber im wichtigsten Produktionszweig der Schweizer Landwirtschaft nicht ordentlich verdient wird, muss das zumindest nachdenklich stimmen.

Müssen wir uns vom idyllischen Bild des kleinen Schweizer Milchwirtschaftsbetriebs in der Talregion aus wirtschaftlichen Gründen verabschieden?

Wenn man kostendeckend produzieren möchte, muss man unternehmerisch engagiert sein und die optimale Betriebsgrösse finden. Die Talregion und Teile der Hügelregion weisen für die Milchproduktion eigentlich Topvoraussetzungen auf. Ohne die agrarpolitischen Massnahmen wäre die Milchproduktion auch weitaus wettbewerbsfähiger als der Ackerbau. Moderne Betriebe mit mehr als 50 Kühen bieten sowohl dem Tier als auch dem Menschen meist eine bessere Umwelt und sind langfristig wirtschaftlicher und wettbewerbsfähiger, sofern nicht unsinnig investiert wird. Hier gilt es von allen Seiten, eine klare Strategie zu fahren.

Hätte die Schweizer Milchproduktion eine Zukunft, wenn der Export wegfiele und man sich nur noch am Inlandbedarf orientieren würde?

Die Milchproduktion ist eine standortangepasste Produktionsform, die für die Schweiz viel Identität stiftet und – wie die ganze Wiederkäuerhaltung – für Landschaftspflege und Biodiversität eine zentrale Rolle spielt. Ackerbau haben wir nur wegen der Versorgungssicherheit. Ackerbau für die direkte menschliche Ernährung kann im umliegenden Ausland viel wirtschaftlicher, ökologischer und in besserer Qualität betrieben werden. Darum sprechen viele Gründe dafür, dass die Milchproduktion eher ausgebaut werden sollte, zumal auch die weltweite Nachfrage steigt.

Was können Schweizer Milchproduzenten von ihren ausländischen Kollegen lernen – und was sollten sie besser nicht nachmachen?

Schweizer Milchbetriebe haben einen USP (Unique Selling Point; einzigartiges Verkaufsargument), solange sie nicht den ausländischen Kollegen mit vermehrter Stallhaltung und ganzjährigen Total-Misch-Rationen nacheifern. Gras ist dazu der Schlüssel. Es gibt europaweit kaum Kühe, die mehr Milch aus Gras produzieren als Schweizer Kühe. Dazu gibt es tolle Praxisbetriebe, die mit einem hohen Grasanteil sehr wirtschaftlich produzieren. Wer die dazu idealen Voraussetzungen hat, sollte dieses Potenzial nutzen. Milchbetriebe sollten auch ihren eigenen Kostendeckungsgrad kennen. Entsprechende Analysetools sind gratis auf der Agroscope-Website verfügbar (siehe Link unten).

Eigenen Kostendeckungsgrad berechnen: www.agriperform.ch