Über das vergangene Wochenende hat ein Bericht der «NZZ» unter dem Titel «25 000 Kühen droht die Schlachtung» für Aufsehen gesorgt. Begründet wurde dies mit einem Milchüberschuss, der infolge von US-Zöllen auf Schweizer Käse und Schokolade entstanden sei. Die Zeitung schrieb weiter, erste Tiere würden bereits getötet. 

Tatsächlich ist die Lage angespannt. Schweizer Betriebe produzieren derzeit rund fünf Prozent mehr Milch als üblich. Grund dafür ist das aussergewöhnlich gute Futterangebot des Sommers. Gleichzeitig haben die US-Zölle auf Schweizer Käse und Schokolade die Exporte reduziert, sodass die Nachfrage nach Rohmilch gesunken ist. Diese Kombination droht, den Milchpreis einbrechen zu lassen. Die Branchenorganisation Milch (BOM) ruft deshalb dazu auf, die Produktion zu drosseln.

Erste Bauern haben reagiert. Christian Marro aus Freiburg erklärt im NZZ-Artikel, dass er sich von zehn Kühen getrennt habe; der Zürcher SVP-Nationalrat und Milchbauer Martin Hübscher liess ebenfalls vier Kühe ins Schlachthaus bringen – in der Hoffnung, dass sein Beispiel Nachahmer findet.

Eine notwendige Reaktion auf die Marktrealitäten

Zuvor hatte SMP-Präsident Boris Beuret in einem Newsletter der Schweizer Milchproduzenten die Massnahmen erläutert: Ende letzter Woche habe die ausserordentliche Delegiertenversammlung der BOM einstimmig Beschlüsse zur Marktstabilisierung gefasst. «Milchproduzenten, Verarbeiter und Vertreter des Detailhandels haben gleichermassen zu diesem Ergebnis beigetragen. Dies war ein notwendiger Entscheid als Antwort auf die aktuellen Marktrealitäten der letzten Monate», schrieb Beuret.

Seit Beginn der Diskussion im Juni habe sich das Umfeld nicht verbessert. «Unser Ziel muss es deshalb sein, die Marktstabilität im Inland ohne Wenn und Aber sicherzustellen und damit den A-Preis zu halten.» Dafür gelte es, die geplanten Exportmengen von je 2000 Tonnen Butter und Rahm konsequent und gemeinsam umzusetzen. Gleichzeitig rät Boris Beuret, die momentan guten Schlachtviehpreise zu nutzen, um die Bestandesgrösse bei Bedarf anzupassen – denn die Lieferung von C-Milch sei freiwillig. «Auch etwas mehr Milch in die Kälbermast zu lenken, leistet einen Beitrag zur Gesamtsituation», so Beuret. 

Eine künstliche Steigerung der Schlachtquote könnte kurzfristig Entlastung auf dem Milchmarkt bringen. Gleichzeitig drohen aber negative Auswirkungen auf den Fleischmarkt: Wenn viele Kühe zusätzlich geschlachtet werden, könnten die Preise für Rindfleisch sinken. Nicht alle Akteure in der Branche sind gleich besorgt.

Landwirte befürchten Verschärfung der Lage

Am Schlachtviehmarkt in Thun BE am Dienstag, 7. Oktober, zeigt sich, dass die Bauern diese Schlagzeilen sehr wohl wahrnehmen. Auf die Frage, wie sie die Situation umsetzen, erklärt ein junger Landwirt: «Ich will eigentlich nicht mehr Kühe schlachten – aber ich sehe mich wohl dazu gezwungen.» Ein Milchbauer, der regelmässig mit Vieh nach Thun fährt, wirkt ebenfalls verunsichert: «Milch und Fleisch sind unsere Lebensgrundlage. Ich weiss ehrlich gesagt noch nicht, wie ich das lösen soll.» Noch sei das Wetter günstig und viele Tiere seien draussen. Doch wenn es ans Aufstallen gehe und die Milchmenge durch die Abkalbesaison weiter anwachse, befürchtet er, dass sich die Lage noch deutlich verschärfen könnte. 

Gefragt danach, wie er die Situation einschätzt, sagt Ernst Wandfluh, Präsident der IG öffentliche Märkte: «Wir haben in der Schweiz nicht zu viele Kühe. Ich glaube, diese Erkenntnis ist in dieser Sache das Allerwichtigste.» Es sei, wie übrigens immer in dieser Jahreszeit, wichtig, die Kühe gestaffelt zu bringen. Wie er meint, müsse längerfristiger gedacht werden –für den Milch-, wie auch für den Fleischmarkt, sonst würde man auf den Märkten sehr rasch einmal wieder mit «zu wenig» konfrontiert sein.

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Schlachtung sei keine Problemverschiebung auf den Fleischmarkt

Aber was sollen die Milchbauern nun tun? Wir haben mit Stephan Hagenbuch, SMP-Direktor, gesprochen. «Unser Problem ist kurzfristiger Natur», sagt er. Allein im August seien die Käseexporte in die USA wegen der US-Zölle und des Wechselkurses (–10 %) um 763 Tonnen gegenüber dem Vorjahr eingebrochen. Auch der Schokoladenexport harze, und die Milchproduktion liege rund fünf Prozent über dem Vorjahr. «Das kommt so nicht gut», so Hagenbuch, ergänzt aber: langfristig sei die Situation völlig anders. «Unser Selbstversorgungsgrad bei der Milch sinkt jedes Jahr um ein halbes Prozent seit 2016.»

Mehrere Exponenten aus der Milchbranche raten den Bauern, Kühe zu schlachten, um die Milchmenge zu reduzieren. Hagenbuch erklärt, dass dies keine reine Problemverschiebung auf den Fleischmarkt sei, wie mancherorts zu hören: «Wir empfehlen, die Einlieferungen auf das Niveau von 2024, d.h. –5 %, zu begrenzen. Um dieses Ziel zu erreichen, gibt es in der Praxis verschiedene Wege: etwas mehr Milch in die Kälbermast einsetzen, intensiver abtränken, Kühe ausmästen, Fresserproduktion – und eben auch etwas mehr Schlachtungen vorzuziehen. All das leistet einen Beitrag zur Drosselung der Einlieferungen.»

Der Unterschied zwischen Milch- und Fleischmarkt sei erheblich. «Der Kuh-Fleischmarkt hat völlig andere Rahmenbedingungen. Wir importieren Tausende Tonnen Kuhfleisch, wir haben einen guten Grenzschutz und können die Importe dosiert einsetzen.» Auf die Frage nach möglichen Preisfolgen, wenn Tausende Tiere zusätzlich in die Schlachthöfe kommen, antwortet Hagenbuch: «Wichtig ist, dass die Belieferung klar, aber kontinuierlich verläuft, und dass die Importe beim Kuh-Fleisch – sprich Hälften – klar gedrosselt werden. Das Ganze ist eine Frage des Zeitablaufs und der kontinuierlichen Belieferung.»

Zur Zahl von 25 000 Kühen, die laut NZZ geschlachtet werden müssten, sagt Hagenbuch: «Wir können uns nicht zur ‹Zahl› der NZZ äussern. Es dürfte sich um eine Zahl auf Basis einer Jahresmenge handeln. Die NZZ kennt nur schwarz oder weiss: Da gibt es keinen Unterschied zwischen Milch-Produktion und Milch-Verarbeitung.»

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Von der Marktstabilität im Inland profitieren alle – und leiden gemeinsam

Industriemilch-Lieferanten, die seit Jahren nur 55 bis 65 Rappen pro Liter erhalten, fragen sich, warum sie jetzt solidarisch für Gruyère-Produzenten einstehen sollen, die jahrelang von 90 Rappen profitiert haben. Hagenbuch verweist auf das gemeinsame Ziel: «Einschränkungsmilch über der Vorjahresmenge ist sicher C-Milch mit einem wenig attraktiven Preis. Man sollte das Oberziel nie aus den Augen verlieren: Es geht um die Marktstabilität im Inland. Davon profitieren alle, wenn es nach oben geht, und leiden alle, wenn es nach unten geht.»

Die BOM hat 11 Millionen Franken aus dem Fonds Regulierung gesprochen, um die Krise abzufedern. Trotzdem ruft die SMP weiterhin zur freiwilligen Drosselung der Einlieferungen auf. «Es geht um die Stabilität des A-Milch-Preises im Inland. Es braucht kurzfristig Massnahmen bei Angebot und Nachfrage; d.h. nicht schwarz oder weiss, sondern schwarz und weiss.»

Wenn die Bauern ihre Kühe nicht schlachten, bleiben weiterhin Alternativen: «Wir kommunizieren seit rund einem Monat, wie die Einlieferungen auch neben Schlachtungen kurzfristig gedrosselt werden können – durch verstärkte Nutzung der Milch in der Kälbermast, Fresserproduktion oder andere Massnahmen.» Die SMP engagiere sich zudem aktiv bei der Umsetzung der Massnahmen zur Marktstabilisierung der BOM (Export Rahm und Butter).

Es gilt, Ruhe zu bewahren
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Kommentar von Martin Rufer, Direktor SBV

Die Schweizer Milchproduzenten liefern derzeit mehr Milch als im Vorjahr und mehr als der Markt zurzeit aufnehmen kann. Ein hohes Angebot setzt die Preise im Inland unter Druck. Zusätzlich mitverantwortlich für die angespannte Lage sind die US-Zölle, die den Käseexport erschweren.

Einige Medien ausserhalb der Landwirtschaft rufen bereits «hemdsärmlig» dazu auf, Milchkühe zu schlachten, um den Milchüberschuss rasch abzubauen. Doch es ist nicht der Moment für überstürzte Entscheide. Es gilt, Ruhe zu bewahren und überlegt zu handeln. Nicht alle Betriebe spüren die Folgen gleich stark und die Branchenorganisation Milch hat bereits Unterstützungsmassnahmen zur Entlastung des Marktes beschlossen.

Sinnvoll ist es, schlachtreife Kühe oder Tiere, die ohnehin vor der Winterfütterung aus dem Bestand genommen werden, gestaffelt zu liefern. So lässt sich ein plötzliches Überangebot und damit Preisdruck bei den Schlachtkühen vermeiden. Weiter ist es aus unserer Sicht sinnvoll, die Importe Kuhfleisch zu drosseln bzw. bei Bedarf auszusetzen.

Eine weitere naheliegende und wirkungsvolle Möglichkeit ist die Verwertung der überschüssigen Milch zum Tränken von Kälbern. Damit werden gleich zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen: Einerseits wird die Milch sinnvoll genutzt und anderseits gibt es Tränkekälber, die vermarktet werden können. Entweder für die Kalbfleischproduktion oder als Fresser. Dieses Vorgehen ist sinnvoller als überstürztes Handeln. Ruhe bewahren ist aktuell das beste Rezept.