Bio Ostschweiz stellte zuhanden der kommenden Bio-Suisse-Delegiertenversammlung einen Antrag, dass Futtermühlen zur Erreichung der nötigen Proteingehalte in Wiederkäuerfutter als befristete Übergangslösung für den kommenden Winter eine Ausnahmebewilligung für den Import von Knospen- oder EU-Bio-Futterkomponenten erhalten können.
Grund für diesen Antrag sind Probleme infolge der neuen Richtlinien zur Wiederkäuerfütterung, welche insbesondere auf Bergbetrieben im Kanton Graubünden gehäuft vorkommen (siehe Kasten). In der Zentralschweiz scheint, wie eine Umfrage bei mehreren Biomilch-Produzenten zeigt, die Situation rund um tiefe Proteingehalte in Wiederkäuerrationen unterschiedlich.
Energieversorgung wichtiger
«Die kräuterreichen Bestände im Muotatal führen im Vergleich zu den NEL-Gehalten zu eher hohen Eiweisswerten», erklärt Biomilch-Produzent Oswin Betschart. Er bewirtschaftet sonnseitig 20 Hektaren Land und geht zudem im Pragelgebiet z Alp. Einzig im Spätsommer, wenn das Futter auf der Alp älter werde, würden die Harnstoffwerte bei seinen Kühen unter 15 liegen. Der Leistungsschnitt seiner Original-Braunvieh-Kühe liegt mit Alpung bei knapp 6000 kg Milch. Ein Wert, der für ihn standortgerecht ist. «Ein Biobetrieb muss die Genetik an die Gegebenheiten des Betriebes anpassen», so Betschart. Die fünf Prozent Kraftfutterlimite seien für ihn kein Problem, auch dass das Ergänzungsfutter eher tiefere Proteingehalte habe, sei für ihn unproblematisch. «Für mich ist es entscheidender, mit dem Ergänzungsfutter die Energieversorgung in der Startphase sicherstellen zu können.» [IMG 5]
Wenig Raigras, mehr Klee
Ähnlich sieht das auch Biolandwirt Peter Zumbühl, der mit seiner Familie in Wolfenschiessen einen Zweistufenbetrieb führt. Das Leistungsniveau seiner rund 30 Kühe liegt um die 6200 kg Milch. Leistungen über 7000 Liter seien aus seiner Sicht unter den aktuellen Richtlinien im Berggebiet selten sinnvoll und sicher auch schwierig zu realisieren. Er verfüttert seinen Tieren gar kein Kraftfutter, einzig Graswürfel als Lockfutter für den Melkroboter werden eingesetzt. «Entscheidend für eine ausreichende Proteinversorgung ist auf unserem Betrieb die Qualität des Grundfutters. Zudem haben wir auf unseren schattseitig gelegenen Flächen wenig Raigras, dafür aber mehr Klee, verschiedene Gräser und Kräuter. Da sich die rund 36 Hektaren Futterbauflächen von 700 bis auf 1000 Meter über Meer erstrecken, besteht weniger die Gefahr, dass wir grosse Mengen an altem Futter mit tiefen Gehalten einbringen müssen», erklärt Peter Zumbühl. Dazu lege er grossen Wert darauf, die betriebseigenen Futtermittel optimal zu kombinieren. Neben viel Weidegras werde im Frühling eiweissreiche Herbstsilage verfüttert, im Herbst komme dann als Ergänzung energiereiches Frühheu zum Einsatz. Mittels Übersaat, welche jährlich auf zwei bis drei Hektaren gemacht wird, werden zudem die Pflanzenbestände aufgewertet. [IMG 3]
Mehr Graswürfel in Ration
Hochwertige Wiesenbestände sind auch für Markus Windlin aus St. Niklausen entscheidend. Auch er hat auf seinen Futterbauflächen viel Klee, was zu proteinreichem Futter führt. Er setzt auf seinem silofreien Betrieb stark auf Graswürfel. Einen Teil davon kauft er zu. Die Heuproduktion wurde mit einer Trocknungsanlage ebenfalls optimiert.
Seit die neuen Richtlinien zur Wiederkäuerfütterung in Kraft seien, habe er die Nutzungsintensität der Futterbauflächen etwas erhöht, um höhere Gehalte zu erreichen. «Das führt zu einem steigenden Treibstoffverbrauch; mir war der vorher etwas höhere Kraftfuttereinsatz definitiv sympathischer», so der leidenschaftliche Obwaldner Braunviehzüchter.[IMG 4]
Markus Windlin züchtet seit 13 Jahren auf langlebige und leistungsstarke Tiere. Die eigene Genetik an neue Rahmenbedingungen anzupassen, benötige Zeit. «Ich setzte nie auf extreme Milchvererber, ich will breite und starke Kühe.» Kürzlich wurde er dafür ausgezeichnet, dass er es bereits zum siebten Mal in Serie auf die Betriebsmanagementliste von Braunvieh Schweiz schaffte. Fast 8000 kg Milch gaben seine exterieurstarken Tiere im Jahr 2022. «Dieses Jahr wird das Leistungsniveau tiefer, so bei rund 7500 kg liegen», erklärt Windlin. Eine so hohe Leistung sei nur möglich, weil er auf seiner Betriebsfläche relativ wenig Tiere halte. Topgrundfutter mit einem auf die Tiere optimierten Weidemanagement, lange Fütterungszeiten und eine gezielte Ergänzung der Ration seien infolge der tieferen Proteingehalte des Ergänzungsfutters zukünftig noch entscheidender, so der Obwaldner Biobauer.
Trächtigkeitsprobleme
Paul Ebnöther aus Feusisberg begrüsst den Antrag der Ostschweizer Biobauern. «Ich hatte auf meinem eigenen Betrieb im vergangenen Winter sehr tiefe Harnstoffwerte, was bei den Kühen zu einer ungenügenden Fruchtbarkeit führte. Die ersten Futterproben dieses Jahr zeigen noch tiefere Eiweissgehalte, das wird die Situation noch verschärfen.» Seine Flächen oberhalb von Feusisberg sind eher gräserreich und weisen damit einen hohen Energie-Gehalt auf. Bei rund 6800 kg Milch liegt der Stalldurchschnitt seiner Braunviehkühe. [IMG 2]
In seiner Zuchtarbeit stehen an erster Stelle Fitnessmerkmale, extreme Leistungsvererber werden nicht eingesetzt, mehrheitlich wird mit Biostieren oder OB-Genetik gearbeitet. Allerdings sei ihm bei seinen Tieren auch die Leistungsbereitschaft wichtig. Eine gewisse Produktivität müsse auch im Biosegment aufrechterhalten werden, nur immer die Produktionsmenge durch neue Regelungen einzuschränken, sei der falsche Weg. Die durch das fehlende Eiweiss im Ergänzungsfutter verursachten tieferen Milchmengen würden die Biomilch-Produktion langfristig bei gleichbleibenden Milchpreisen unattraktiver machen und so zu Umstellungen führen, befürchtet Paul Ebnöther.
Grosse Probleme im Engadin
Die neuen Richtlinien zur Wiederkäuerfütterung im Biolandbau (100 Prozent Schweizer Knospen-Futter und maximal fünf Prozent Kraftfutter) traten 2022 nach einer fast vierjährigen Übergangsfrist in Kraft.
Tiefe Harnstoffwerte
Vor allem im Berggebiet traten bei Milchkühen infolge sehr tiefer Harnstoffwerte teils Probleme wie ausbleibendes Brunstverhalten oder bedeutend geringere Tagesmilchmengen auf, was vereinzelt zum Ausstieg aus dem Biolandbau führte. Akut scheint das Problem, gemäss Armon Mayer, Verwaltungsrat der Lataria Engiadinaisa SA (Lesa), im Engadin zu sein.
Lieferbereitschaft gefährdet
Wie Armon Mayer in einem Gastbeitrag in der BauernZeitung ausführte, sei in seinem Gebiet im vergangenen Winter die Biomilchmenge um 20 Prozent zurückgegangen. Mehrere Produzenten haben wieder auf den ÖLN umgestellt oder planen es zumindest, was zu bis zu 40 Prozent weniger Biomilch führen könnte. Das verursache bei der Lesa grosse Probleme, da bei einzelnen Produkten die Lieferbereitschaft nicht mehr gegeben sei. Zudem müssten neue Produkte und Verkaufskanäle für die ÖLN-Milch gesucht werden.
Arbeitsgruppe Bio Suisse
Im vergangenen Sommer rief Bio Suisse eine Arbeitsgruppe ins Leben, in der unter anderem auch Bio Grischun und Progana vertreten sind. Bio Ostschweiz stellte zuhanden der Bio-Suisse-DV vom kommenden 15. November einen Antrag, dass Futtermühlen zur Erreichung der nötigen Proteingehalte im Wiederkäuerfutter als befristete Übergangslösung für den kommenden Winter eine Ausnahmebewilligung für den Import von Knospen- oder EU-Bio-Futterkomponenten erhalten.
