Eine Weide im Morgenlicht: Kühe grasen, der Boden ist voller Leben, und überall summt es. Dieses scheinbar einfache Ökosystem ist seit Jahrmillionen ein Motor der Biodiversität und dürfte eine zentrale Rolle für die Zukunft der Schweizer Landwirtschaft spielen.

Seit über 200 Millionen Jahren prägen Weidetiere wie Rinder, Pferde und Wildtiere die Landschaft. Durch Frass, Tritt und Mist entstanden dynamische Lebensräume, die zahlreichen Arten Platz boten. Im Vergleich dazu ist die Schnittnutzung mit 200 Jahren sehr jung. Historisch gesehen ist die Weide die Grundlage für fast alle Kulturlandschaften – von Mähwiesen bis zu Streuobstwiesen und Parks.

Heute sind viele Weiden umgebrochen oder intensiviert worden, was zu einem drastischen Verlust der Artenvielfalt geführt hat. Beweidung, die einst der Schlüsselfaktor für Biodiversität war, wurde durch maschinelle Nutzung ersetzt – mit weitreichenden Folgen für die Natur.

Einzigartige Lebensräume

Extensive Beweidung schafft einzigartige Lebensräume. Kuhfladen bilden die Basis für bis zu 100 Kilogramm Insektenmasse pro Tier und Jahr. Diese wiederum sind Nahrung für Amphibien wie Grasfrösche und Vögel wie Stare und die Feldlerche, die wiederum ihre Brut im nahen Acker aufzieht. Doch in der modernen Landwirtschaft fehlen diese natürlichen Kreisläufe oft. Stallhaltung und auch der Einsatz von Medikamenten machen Mist für viele Organismen unbrauchbar. Gülle kann die Funktion von natürlichem Mist zudem nicht ersetzen, da sie weniger strukturreich und vielfältig ist.

Die Vorteile der Weide gehen aber weit über die Biodiversität hinaus. Extensive Beweidung schützt Böden vor Erosion und verbessert die Wasserspeicherfähigkeit der Landschaft. Kuhfladen fördern die Bodenfruchtbarkeit, und der Tritt der Tiere schafft offene Flächen für die Ansiedlung von Pflanzen. Im Vergleich zur intensiven Landwirtschaft reduziert die Weide den Einsatz von Düngemitteln und Pestiziden, was Gewässer entlastet. Zudem trägt die Weide zur Kohlenstoffbindung bei und mindert die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen.

In Siedlungsnähe droht der Schwund

Während die Hügel- und Bergregionen weiterhin stark auf Weidehaltung setzen, droht diese Praxis im Talgebiet, besonders in Siedlungsnähe, zunehmend zu verschwinden. Flächenkonkurrenz durch Strassenbau, Gewerbegebiete und Wohnsiedlungen erschwert die Weidenutzung. Gleichzeitig setzen grössere Herden und automatisierte Systeme vermehrt auf Stallhaltung, was die Weide weiter zurückdrängt.

Gerade im Talgebiet ist die Weidehaltung jedoch essenziell, um den ökologischen Wert zu sichern. Denn genau hier – im Windschatten der grossen Ackerbaugebiete – findet dieser Artenverlust schliesslich auch statt.

Es geht noch weiter: Weidehaltung sichert die Akzeptanz der Milchproduktion in der Bevölkerung. Die Kuh auf der Weide ist für viele Konsumentinnen und Konsumenten ein Symbol für artgerechte Haltung und nachhaltige Landwirtschaft. Das beweist die Werbung, die nie im Stall, sondern immer auf der Weide stattfindet. Wenn die weidende Kuh aus dem Landschaftsbild verschwindet, droht das Vertrauen in die Schweizer Milchproduktion zu schwinden. Weiden in Siedlungsnähe stärken die Verbindung der Bevölkerung zur Landwirtschaft.

Es braucht neue Anstrengungen

Betriebe, wie jene der Familie Jud im toggenburgischen Necker sind exakt das, was sich die Schweizer Bevölkerung unter nachhaltiger Milchproduktion vorstellt. Und nicht etwa, weil sie sich das aus eigenem Antrieb so vorstellt, sondern, weil die Werbung ihr das so suggeriert.

Es braucht neue Anstrengungen: Zum einen muss verhindert werden, dass Betriebe in der Hügel- und Bergzone sich von der Weidehaltung abwenden. Weiter muss die Weidehaltung im Talgebiet bewahrt werden. Sie ist in ihrer Retterfunktion nicht nur ökologisch notwendig, sondern auch eine Investition in das Ansehen und die Zukunftsfähigkeit der Schweizer Landwirtschaft. Weiden darf nicht zum Feigenblatt der Milchproduktion verkommen.