«Die gesamte Wertschöpfungskette der Tierproduktion dürfte ein Interesse daran haben, dass die Schweiz eine angemessene eigene Futtergetreideversorgung aufrechterhält», betont der Geschäftsführer der Vereinigung Schweizerischer Futtermittelfabrikanten (VSF), Christian Oesch. Die BauernZeitung hat mit ihm über die Krise beim Futtergetreide gesprochen und ihn gefragt, was es denn braucht, damit der Abwärtstrend bei der Anbaubereitschaft unterbrochen werden kann.
Richtpreis nicht realisiert
Die Frage, wie viel Getreide für die Fleischproduktion eingesetzt werden soll und darf, ist eine der kontroversesten in der gesamten Agrarpolitik. Entsprechend gross ist der Spagat, den die Branche hier machen muss. Ein Interessenskonflikt, der wie kaum eine andere Frage die Schizophrenie zwischen Markt, Politik und Nachhaltigkeit aufzeigt. Aber auch die Grenzen der freien Marktwirtschaft.
Neu aufgebrochen ist die Diskussion, wie viel Futtergetreide zu welchem Preis angebaut werden soll, in der vergangenen Woche, als Swiss Granum verkündete, man habe sich beim Futtergetreide auf keinen Richtpreis einigen können. Vorausgegangen war ein Jahr, in dem es zwar einen Richtpreis gegeben hätte, dieser aber aufgrund von billigen Importen mehrheitlich nicht realisiert werden konnte.
Preisturbulenzen an den Börsen
Corona und dann der Ukraine-Krieg zeigten die schmerzhaften Folgen der Abhängigkeit vom Ausland. Doch dem Wunsch nach mehr Inlandversorgung und einer kurzfristigen Angst vor einer Getreideknappheit folgten auch wieder sinkende Preise und die Erkenntnis, dass sich mancherlei halt im Ausland konkurrenzlos günstig produzieren lässt. Schliesslich wurde die Suppe nicht so heiss gegessen wie gekocht, und die Börsenpreise sanken bereits wieder, bevor auf den Feldern hierzulande das Getreide gedroschen wurde.
Nach dem kurzfristigen Lichtblick für die Futtergetreideproduzenten sorgten die Preisverhandlungen für Ernüchterung. Nur ein Aufpreis von 3 Franken konnte ausgehandelt werden. Die Schweizer Getreideproduzenten betonten bereits damals, damit seien die gestiegenen Produktionskosten nicht abgedeckt.
Heuer hatte der Schweizerische Getreideproduzentenverband (SGPV) 44 Franken je dt für Futterweizen und 42 Franken je dt für Gerste gefordert und konnte nicht reüssieren. Ausschlaggebend sei hier vor allem die Schweinebranche gewesen, deren Markt Corona durcheinandergebracht hat und die seither mit Tiefstpreisen und einer Überproduktion zu kämpfen hat. Aber auch die Eierproduzenten konnten beispielsweise ihre Mehrkosten noch nicht vollständig am Markt realisieren. Kein guter Zeitpunkt dafür, über teureres Futter nachzudenken. Beim Konsumenten ist der Grat zwischen Swissness und zu teuer schmal. Das spüren aktuell die Bioproduzenten, die nach Corona zu viele oder eben zu teure Eier produziert haben und nun zurückbuchstabieren müssen.
Schwer zu vermarkten
Die Grenzen von Swissness beim Futtergetreide kennt auch Christian Oesch: «Die Auslobung von Schweizer Rohstoffen in der Tierernährung ist massiv schwieriger als beispielsweise beim Brot. Wechselnde Rezepturen und unterschiedliche Herkünfte der Rohstoffe oder Nebenprodukte verunmöglichen genaue Aussagen zur Swissness in der Fütterung.» So sieht die Branche den Weg zu einer wirtschaftlichen Futtergetreideproduktion weniger in höheren Richtpreisen denn in einer Anbauprämie oder zumindest einem verbesserten Grenzschutz.[IMG 3]
Die volatilen Getreidemärkte hatten im vergangenen Winter dazu geführt, dass das Schweizer Grenzschutzsystem zeitweise versagte und so eine grosse Menge billiges Futtergetreide importiert wurde. Geht es um konkurrenzfähigere Preise, ist sich schliesslich jeder selbst der Nächste, und so blieb das Schweizer Futtergetreide in den Silos liegen oder musste unter dem Richtpreis verkauft werden.
Grenzschutz verbessern
Die Branche ist sich dennoch einig, das Grenzschutzsystem müsse verbessert werden und muss viel dynamischer reagieren können, damit es mit den heutzutage sehr schnellen Getreidepreisschwankungen an den Börsen zurechtkommt. Damit der einheimische Futtergetreideanbau effektiv vor billigem Importgetreide geschützt werden kann, wird nun das Zollsystem neu ausgehandelt.
Eine hochtechnische Angelegenheit, die viele Anforderungen erfüllen muss, um auch den internationalen Vorschriften zu genügen. Schnelle Lösungen sind hier also kaum zu erwarten. Unter der Führung von Swiss Granum werden aktuell Verbesserungsvorschläge ausgearbeitet. Christian Oesch betont, das Arbeitsklima sei innerhalb der Branche sehr konstruktiv, der Wille zur Zusammenarbeit gross.
Kein Einzelkulturbeitrag
Trotz aller Einigkeit, bezüglich einer agrarpolitischen Verbesserung beisse man beim Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) auf Granit, betont Christian Oesch. «Die Futtergetreidepolitik des Bundes kritisiert die VSF seit Jahren. Gebetsmühlenartig hat die VSF zusammen mit ihren Partnern die Wiedereinführung einer Anbauprämie gefordert. Ebenso haben wir die Anerkennung von Futterweizen als Kultur vorgeschlagen.» Beide Anliegen stossen jedoch beim BLW auf taube Ohren.
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Vielleicht liegt das auch daran, dass von einem tiefen Futtergetreidepreis viele profitieren und darum kaum jemand ernsthaft das Bestreben hat, das Futter dadurch zu verteuern – der Weg über die Direktzahlungen also für die Branche der schmerzfreiste scheint. Die Zahlen von Agristat zeigen, wer das Kraftfutter frisst und wie gross somit das Interesse an tiefen Futtergetreidepreisen ist. Gut ein Viertel des in der Schweiz produzierten Kraftfutters geht in die Milchproduktion. Den grössten Teil des Kuchens fressen die Schweine mit gut 36 Prozent. Nur 12 Prozent landen hingegen bei den Legehennen, und noch weniger, nämlich 11,7 Prozent, werden zu Pouletfleisch.
Trotz aller Ökologisierungstrends, trotz des schlechten Rufs von Kraftfutter, bei den Milchkühen ist der Bedarf in den vergangenen Jahren laufend gestiegen. Im Jahr 2000 frass eine Kuh im Mittel zirka 540 kg Kraftfutter pro Laktation und im Jahr 2020 waren es bereits 830 kg. Natürlich stieg in dieser Zeit auch die Milchleistung. Dennoch: Wurden im Jahr 2005 noch durchschnittlich 79 g Kraftfutter je kg Milch eingesetzt, sind es jetzt bereits 92 g je kg Milch.
Etwas anders sind die Vorzeichen beim Fleisch- und Eiermarkt. Hier ist züchterisch die Futterverwertung in den vergangenen Jahren massiv verbessert worden, dennoch hat der Futterpreis einen grossen Einfluss auf das Einkommen der Betriebsleiter. Insbesondere bei Monogastriern besteht bei der Fütterung wenig Spielraum.
Keine kostendeckenden Preise
Eine Berechnung von Agridea zeigt, wie matchentscheidend der Mischfutterpreis in der Schweizer Schweinehaltung ist. Die Produktionskosten beim Schweizer Schweinefleisch liegen durchschnittlich bei 4.41 Fr./kg SG. Davon sind 47 Prozent Futterkosten. In den Jahren 2021 bis 2022 realisierten die Schweinemäster im Schnitt Schlachtpreise von 3.66 Fr./kg SG. Gleichzeitig stiegen die Direktkosten und damit vor allem das Futter um rund 15 Prozent.
Diese wirtschaftlich prekäre Situation spüren natürlich auch die Mischfutterwerke. Christian Oesch beteuert darum, dass diese am Importgetreide nicht etwa besser verdienen: «Preisvorteile werden im hart umkämpften Markt weitergegeben.» Mit dem Preisdruck bei den Schweinen habe sich die Margensituation bei den Mischfutterherstellern in den vergangenen Jahren gar verschlechtert. Wer Preisvorteile nicht an seine Kundschaft weitergibt, der verliert nämlich Marktanteile.
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Importe verdoppelt
Der Blick in die Statistik des Bundes zeigt, gleichzeitig mit der Reduktion der Anbaufläche in der Schweiz sind die Importe von Futtergetreide stark gestiegen. Im Jahr 2000 wurden noch 221 071 Tonnen Futtergetreide importiert, 2021 waren es bereits 513 427 Tonnen. Mengenmässig am höchsten waren die Importe beim Futterweizen. Im Jahr 2021 kamen allein davon 233 924 Tonnen in die Schweiz. Auf dem zweiten Platz ist Körnermais, dessen Importe in der Zeit verzehnfacht wurden. So kamen 2021 davon 152 425 Tonnen über die Grenze.
Zum Vergleich: Zur menschlichen Ernährung wurden im Jahr 2021 lediglich 264 858 Tonnen Getreide importiert. Hier blieben zwar die Importe ungefähr stabil, das liegt aber auch daran, dass immer mehr Getreideprodukte als Halb- oder Fertigfabrikate in die Schweiz kommen und damit nicht nur die Getreidebauern, sondern auch die inländischen Arbeitsplätze konkurrenzieren.
Beim Futtergetreide wird wohl die Frage entscheidend sein, ob man den Konsumenten den Mehrwert verkaufen kann. Dass einheimisches Futtergetreide diesen hat, davon ist Christian Oesch überzeugt: «Tierische Produkte aus Schweizer Produktion haben definitiv Mehrwerte. Es gilt für alle Wertschöpfungsstufen, diese Mehrwerte zu kommunizieren und entsprechend auszuloben.» Schliesslich würden auch die Grossverteiler die Verantwortung tragen, die von ihnen eingeforderten Mehrwerte an die Konsumentinnen weiterzugeben.
Kaum Erfahrung mit Nischenprodukten
Im vergangenen Jahr habe es bei der Branchenorganisation für Getreide, Ölsaaten und Eiweisspflanzen Swiss Granum Diskussionen über die Annahmebedingungen für Nischennkulturen geben. Dies sagte Sekretär Pierre-Yves Perrin an der Generalversammlung des Verbandes kollektiver Getreidesammelstellen Schweiz (VKGS), die am 7. Juni in Walterswil SO stattfand. «Diese Übung ist ziemlich schwierig, da es oft an Erfahrungen mangelt und die Verarbeiter sehr hohe Erwartungen haben», so Perrin. Über diese Nischenprodukte werde zwar viel gesprochen, wie aber das tatsächliche Marktpotenzial aussehen werde, bleibe abzuwarten. Laut Perrin gibt es nämlich «erhebliche Absatzschwierigkeiten».
Die Ernte 2022 sei dank trockener und warmer Wetterbedingungen hinsichtlich der produzierten Mengen und der Qualität normal ausgefallen. Allerdings sei sie in eine wirtschaftliche Ausnahmesituation gefallen. «Die explodierenden Produktions- und Energiekosten machen auch vor den Sammelstellen nicht Halt», sagte Perrin.
Die starken Preisschwankungen auf den internationalen Märkten hätten zudem die Grenzschutzsysteme auf eine harte Probe gestellt. «Zahlreiche Interventionen beim Bundesamt für Landwirtschaft und sogar bei Bundesrat Guy Parmelin zeigten bis vor kurzem keine Wirkung», sagte Perrin. Und Präsident Olivier Sonderegger sprach von einem «kaum verhohlenen Willen, unter dem militanten Druck von weniger als 1 % der Verbraucher, die alle Lebensmittel oder Materialien ablehnen, für die ein Tier geschlachtet wurde, die Fleisch-produktiuon zu reduzieren.» Dies führe dazu, «dass unsere Behörden den Druck auf die Produktion von Futterrohstoffen erhöhen, indem sie den Grenzschutz nicht angemessen durchsetzen».

