Wie gross ist zurzeit der Arbeitskräftemangel bei den Gemüsebaubetrieben?
[IMG 2] Matija Nuic: Man muss unterscheiden zwischen Erntehelfern und Fachkräften, die sich aus den Lehrabgängern rekrutieren. Die Zahl der Lernenden ist gestiegen – und hat den akuten Notstand bei den Fachkräften gelindert. Aber der Personalmangel ist nicht behoben. Es wird sicher noch einige Jahre dauern, bis die Arbeitsmarktsituation besser sein wird. Bei den Erntehelfern ist die Situation nach wie vor angespannt.
Tiefer Lohn und lange Arbeitszeiten in der Landwirtschaft machen sich auf dem Arbeitsmarkt nicht eben gut. Haben Sie, Herr Mann, in Ihrer Studie herausgefunden, wie man das verbessern kann?
Stefan Mann: Gar so schlecht sind die Arbeitsbedingungen in der Landwirtschaft nicht. Die durchschnittliche Beschäftigungsdauer auf den Betrieben ist laut unserer Befragung sieben Jahre. Das ist lange – also kein ex und hopp. Auch sind die Löhne nicht katastrophal schlecht – im Vergleich beispielsweise zur Gastrobranche. Im Durchschnitt verdienen Arbeitnehmende in den Spezialkulturen einen Stundenlohn von Fr. 22.–.
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Matija Nuic: Gut ist in der Landwirtschaft, dass jährlich mit den Sozialpartnern ein Mindestlohn vereinbart wird. Das macht längst nicht jede Branche. Für 2023 wurde der Mindestlohn um Fr. 65.– angehoben und beträgt Fr. 3385.–/Monat für befristete Angestellte oder Angestellte ohne Erfahrung.
Gibt es Unterschiede zwischen Saisonniers und Schweizer Angestellten, zwischen Mann und Frau?
Stefan Mann: Ausländer mit Wohnort ausserhalb der Schweiz, also Erntehelfer, verdienen Fr. 1.80 weniger pro Stunde. Zwischen Frauen und Männern ist der Unterschied nicht so gross. Frauen verdienen im Durchschnitt Fr. 1.– weniger als Männer. Das ist zwar blöd, aber nicht katastrophal. Was mich aber überrascht hat, ist, dass Schweizer Bürger als Angestellte in der Landwirtschaft im Schnitt Fr. 2.50 weniger verdienen als ausländische Bürger mit Wohnsitz in der Schweiz.
Haben Sie eine Erklärung dafür, dass Schweizer Angestellte im Durchschnitt weniger verdienen?
[IMG 4] Stefan Mann: Das können wir uns nur so erklären, dass Schweizer Bürger(innen), die auf einem Betrieb mitarbeiten, oft durch Verwandtschaft oder Freundschaft mit dem Betrieb verbunden sind und dann bereit sind, auch für weniger Lohn auf dem Betrieb mitzuarbeiten.
Gibt es regionale Unterschiede?
Stefan Mann: In der Romandie ist die Bezahlung besser, im Tessin schlechter und die Deutschschweiz ist im Mittelfeld. In der Romandie bleiben die Angestellten auch zwei Jahre länger auf den Betrieben als in der übrigen Schweiz.
Matija Nuic: Für die Westschweiz spricht zudem die Wochenarbeitszeit. Diese ist in den kantonalen Normalarbeitsverträgen geregelt. Im Kanton Genf beträgt die Wochenarbeitszeit beispielsweise 45 Stunden. Während in der übrigen Schweiz die Anzahl Stunden pro Woche über 50 Stunden betragen können. Was für die Arbeitnehmenden attraktiv ist, kann aber für die Arbeitgeber eine Herausforderung beim Stundenlohn oder der Arbeitsorganisation sein. Wir vom Verband Schweizer Gemüseproduzenten fordern schon länger, die durchschnittliche Wochenarbeitszeit bei 49,5 Stunden (ohne Pausen) in den Richtlinien von Suisse Garantie und Swiss GAP festzulegen. Der Antrag wurde jedoch abgelehnt. Aber wir bleiben dran.
Manchmal hört man aus der Landwirtschaft, dass die Angestellten mehr verdienen als die Betriebsleiterfamilie selbst. Gab es in Ihrer Befragung bei den Spezialkulturbetrieben auch solche Rückmeldungen?
Stefan Mann: Ja, aber das war eine Minderheit. Laut der Zentralen Auswertung von Buchhaltungsdaten liegt das durchschnittliche Haushaltseinkommen landwirtschaftlicher Haushalte bei Fr. 111 000.–. Das Einkommen führt nach Angaben der meisten Betriebsleiter nicht zu Einschränkungen im Lebensstandard. Zumindest nicht bei den Spezialkulturbetrieben; bei den gemischtwirtschaftlichen Betrieben mit Milchviehhaltung oder Schweineproduktion kann es schon anders aussehen.
Gibt es neben besserem Lohn und kürzeren Arbeitszeiten noch andere Stellschrauben, um die Arbeitsplätze in der Landwirtschaft attraktiver zu gestalten?
Stefan Mann: Wir fragten die Betriebsleiter, ob sie den Angestellten Unterkunft und warme Mahlzeiten anbieten. Dabei gingen wir von der Annahme aus, dass das Personal dann länger bleibt. Bei der Unterkunft stimmt das. Dort, wo eine Unterkunft angeboten wird, bleiben die Leute länger. Bei den warmen Mahlzeiten ist das Gegenteil der Fall. Warme Küche bietet man dann an, wenn den Mitarbeitenden keine Küche zur Verfügung gestellt wird. Wenn die Mitarbeiter also eine eigene Küche haben und sich kochen können, was sie wollen, bleiben sie auch länger. Gut ist es zudem, wenn die Mitarbeiter einen gewissen Freiraum haben und sich die Arbeit selbst einteilen können. Auch gemeinsame Anlässe fördern das Arbeitsverhältnis, beispielsweise ein gemeinsames Erntedankfest oder Geburtsfeiern.
Hat die Agrarpolitik auch einen gewissen Einfluss auf die Arbeitsmarktsituation?
Matija Nuic: Durch die immer restriktiveren Vorgaben in der Anwendung von Pflanzenschutzmitteln und das knappe Sortiment an Wirkstoffen ist man in den Spezialkulturen immer mehr auf Mitarbeitende angewiesen. Jäten statt Spritzen braucht mehr Leute. Klar spricht man auch davon, Jätroboter einzusetzen – aber das ist Zukunftsmusik. Fehlt Personal fürs Jäten, Ernten oder Rüsten, wird ein Betriebsleiter den Anbau von arbeitsintensiven Kulturen einschränken. Das sind auch schlechte Aussichten für die Konsumenten.
Kommentar: In der Arbeitsfalle befinden sich vor allem viele Tierhalter
Personalmangel macht sich nicht nur bei den Spezialkulturen bemerkbar; immer öfter sind in den landwirtschaftlichen Zeitschriften auch Kleininserate von Tierhaltungsbetrieben aufgeschaltet, die Mitarbeiter suchen. Das kommt nicht von ungefähr. Franziska Zimmert von Agroscope hat mit Daten der Schweizerischen Arbeitskräfteerhebung aufs Komma genau berechnet, wo Arbeitskräfte auf einem Betrieb tätig sind. Demnach arbeiteten im Zeitraum 2015 bis 2020 44,2 % der Fremdarbeitskräfte in der Tierhaltung, 43,3 % in den Spezialkulturen und 12,5 % auf gemischten Betrieben.
Der Unterschied zwischen Tierhaltung und Spezialkulturen mag mit knapp 1 % klein sein. Berücksichtigt man aber die Familienarbeitskräfte, sieht die Aufteilung ganz anders aus. Der Anteil der Familienmitglieder, die in den Ställen arbeiten, liegt nämlich bei 78,8 %, bei den Spezialkulturen sind es 11,2 %, und bei den gemischten Betrieben sind es 10 %. Viele Tierhaltungsbetriebe sind gewachsen, haben grössere Ställe gebaut, mehr Tiere eingestallt, tolle Technik und Robotik im Stall und sind über einen grossen Zeitraum verschuldet. Der Druck ist enorm.


