Anlässlich des Bio-Milchstamms von Ende August bei Roman und Anne Anderegg in Wetzikon TG wurden unter anderem Erfahrungen aus 1,5 Jahren neuer Bio-Fütterungsrichtlinien ausgetauscht. Der von Bio Ostschweiz und der Beratung am Arenenberg organisierte Bio-Milchstamm bot Biobäuerinnen und -bauern die Möglichkeit, in vier Workshops das eigene Futter einzuschätzen und allfällige Konservierungsfehler zu entdecken. Für die Weidefütterung wurden Erfahrungen ausgetauscht, und wie Konservierungsfehler vermieden oder dem Wetter zum Trotz optimiert werden.
Richtlinien anfänglich unterschätzt
Um sich auf die neuen Richtlinien vorzubereiten, setzte Bio-Landwirt Roman Anderegg bereits 2019 weniger als 5 Prozent Kraftfutter in der Milchviehhaltung ein. So wurde bei ihm seit diesem Zeitpunkt Starterfutter nur noch bis zum 150. Laktationstag eingesetzt. Der Betriebsleiter verzichtete auf den Einsatz von Eiweisskonzentrat und sonstigem Leistungsfutter. Aufgrund der während dieser Zeit gesammelten Erfahrungen ging er Anfang 2022 davon aus, dass die neuen Fütterungsrichtlinien auf seinem Betrieb gut umsetzbar sind.
«Nach rund 1 ½ Jahren ziehe ich eine ernüchternde Bilanz und stelle fest, dass die Fütterungsrichtlinien deutlichere Spuren hinterlassen, als in der Versuchsphase angenommen.»
Roman Anderegg zieht Bilanz seit Einführung der neuen Richtlinien
Milchleistung ging um bis 800 kg zurück
Der Landwirt schilderte, dass er sein Milchlieferrecht auch durch Aufstockung des Viehbestandes um fünf bis sieben Rinder, die er sonst verkauft hätte, nicht füllen konnte. Die Milchleistung der Kühe sei pro Laktation um etwa 500 bis 800 kg zurückgegangen. «Was ich bei den neuen Richtlinien völlig unterschätzte, ist die 100-prozentige Schweizer Herkunft des Futters», sagte er.
[IMG 2] Durch die geringe Verfügbarkeit von geeigneten Proteinträgern aus der Schweiz habe sich der Gehalt und die Zusammensetzung seines Startphasenfutters (und der anderen Ergänzungs- und Ausgleichsfutter) komplett verändert. Dieses führe dazu, dass die meisten Rationen mit einem Proteinmangel nicht mehr ausgeglichen werden können.
Ausstieg im Berggebiet wäre bedauerlich
Sowohl Sepp Sennhauser, Co-Präsident von Bio Ostschweiz, wie auch Roman Anderegg stellen fest, dass dieses Problem zunehmend im Talgebiet, jedoch vor allem im Berggebiet ausgeprägt ist. Dort ist die Vegetationszeit kurz, da der Anbau von Raufutter in Form von Kunstwiesen erschwert ist. «Der Proteingehalt meines Kraftfutters ist von 24 Prozent Rohprotein auf mittlerweile 14 Prozent gesunken. Der Kraftfutteranteil beträgt noch 80 Prozent und der Preis ist um etwa 20 Fr. pro 100 kg angestiegen», so Anderegg.
Mit diesem Futter sei es schwierig geworden, eine ausgeglichene Fütterung der Tiere zu erreichen. Diese sollte den Bedarfsnormen entsprechen und Unterschreitungen könnten eventuell auf einzelnen Betrieben zu subobtimalen Tierwohlproblemen führen, vermutet Anderegg. Durch Anpassungen im Futterbau, z. B. leguminosenreichere Kunstwiesen, Anbau von Zwischenfutter statt Gründüngungen und intensivere Schnittnutzung, versuche er, Gegensteuer zu geben.
Für Roman Anderegg stellt sich die Frage, wie nachhaltig die beiden letzten Massnahmen sind. Und Sepp Sennhauser fragt sich, ob die Intensivierung im Widerspruch zu den elementaren Grundsätze des Biolandbaus steht. Anderegg gibt zu bedenken, dass die Richtlinien nicht von allen Betrieben so umgesetzt werden können.
«Wir Biobauern müssen uns Gedanken machen, ob wir weiterhin an der Strategie 100 Prozent Schweizer Knospe-Futter festhalten wollen.»
Roman Anderegg stellt die Strategie von Bio Suisse in Frage
Dies mit der Konsequenz, dass sich mancher Betrieb überlegt, aus der Bio-Produktion auszusteigen. Er und seine Berufskolleginnen und -kollegen aus der Ostschweiz beobachten, dass dies im Berggebiet derzeit an manchen Orten passiere und bedauern diese Entwicklung.
Bio Suisse ruft Arbeitsgruppe ins Leben
Insbesondere im Berggebiet zeigt sich, dass die Umsetzung der Fütterungsvorgaben für etliche Betriebe herausfordernd ist. Dies melden Mitgliederorganisationen der Geschäftsstelle von Bio Suisse. Man nehme die Rückmeldungen ernst, heisst es von dort. Aus diesem Grund wurde eine Arbeitsgruppe Wiederkäuerfütterung (AG WK) gegründet. Die AG WK ist an die Vorgaben der Delegiertenversammlung gebunden, so auch an deren klare Beschlüsse zur WK-Fütterung von 2018 – sie entscheidet also nicht.
Die AG WK soll primär Informationen sammeln und intern koordinieren. Dies mit dem Ziel, die aktuelle Situation Regionen übergreifend einzuschätzen und zu verstehen. Geplant ist eine Umfrage bei allen Bio-Milchbetrieben. Eine Auswertung soll im Herbst vorliegen. Bio Suisse ist es wichtig, gemeinsam einen gangbaren Weg zu finden. Betriebe, die individuelle Unterstützung suchen, können das Beratungsangebot des FiBL in Anspruch nehmen. Auch die AG WK unterstützt Ratsuchende bei einer Lösungsfindung.

