Jeremias Niggli mag es praktisch und unkompliziert. Er bietet beim Treffen in Aarberg BE direkt das Du an. Unsicherheit ist nicht auszumachen. Die Hälfte der Rückbank seines Subaru Forester ist heruntergeklappt, damit verschiedenes Arbeitswerkzeug seinen Platz findet. Der Fussraum auf der Beifahrerseite ist übersät mit Spänen und Erde. «Ein richtiges Bauernauto», sagt Niggli, legt sein Smartphone als Navigationsgerät zwischen Lenkrad und Geschwindigkeitsanzeige und fährt los. Ziel ist der Brunner Eichhof in Spins, keine fünf Minuten vom Stadtplatz in Aarberg entfernt.
Bezug zur Praxis gesucht
Seit August 2019 ist Niggli Berater beim Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FiBL) in Frick AG. Davor hat Niggli zwei Jahre an der Bioschule Schwand in Münsingen BE unterrichtet und davor das Agronomie-Studium an der Hochschule für Agrar-, Forst- und Lebensmittelwissenschaften (HAFL) bestritten. Nigglis Werdegang ist insofern typisch, als dass er nach der Ausbildung in Zollikofen BE in der Aus- und Weiterbildung Fuss fasste. Die HAFL hat Niggli der ETH vorgezogen, weil er eine Ausbildung mit starkem Bezug zur Praxis gesucht hat. «Ich bin nicht der Grundlagen-Forscher, sondern eher Praxis-Forscher», sagt Niggli. Forschungsprojekte dauern, müssen verallgemeinerbar sein. «Das macht die Arbeit manchmal etwas träge», meint Niggli, während wir auf Stefan Brunner vom Brunner Eichhof warten.
Agronom/in FH
Ausbildung: Drei Jahre Vollzeitstudium, an der HAFL mit den Vertiefungsrichtungen Agrarwirtschaft, Pflanzen-
wissenschaften und Agrarökologie, Nutztierwissenschaften, Pferdewissenschaften, Internationale Landwirtschaft.
Abschluss: Diplom Bachelor of Science FH in Agronomie
Voraussetzungen: Wer an der HAFL Agronomie studieren will, muss eine der drei Voraussetzungen erfüllen: Grundbildung als Landwirt oder in einem landwirtschaftsnahen Beruf mit Berufsmaturität. Andere berufliche Grundbildung und Berufsmaturität sowie ein Jahr Berufspraktikum. Fach- oder gymnasiale Matura und ein Jahr Berufspraktikum.
Zudem wird Innovationsvermögen, Flexibilität und Selbstverantwortung verlangt.
Lohn: Der Lohn nach Ausbildung ist abhängig vom Betätigungsfeld und liegt gemäss der Lohnumfrage der BFH-HAFL-Alumni von 2018 in den ersten zwei Dienstjahren nach Ausbildungsende bei 82'000 Franken jährlich.
Erstausbildung als Landwirt
Jeremias Niggli hat es lieber praktisch. Nach dem Gymnasium hat er die zweijährige Ausbildung zum Landwirt mit der Spezialrichtung Biolandbau gemacht, bevor er an der HAFL ins Studium eintrat. Jetzt, beim FiBL, ist er dafür zuständig, Projekte im Bereich Regenerativer Landwirtschaft zu entwickeln. Niggli selbst formuliert es zwar sehr vorsichtig, aber er sieht die Landwirtschaft häufig als Durchlauferhitzer, wobei vor allem die vor- und nachgelagerte Industrie profitieren würde. Eigenständige, kreative Ideen werden so teilweise unterbunden, findet Niggli, der sich ebenfalls daran stört, dass man sich oft an der Leistung, nicht aber an den tatsächlichen Kosten orientiert. «Mehr ist mehr, heisst es immer. Aber das stimmt nicht», sagt Niggli, der zwar mit wirtschaftlichen Kennzahlen umgehen kann, sich aber mehr für den Pflanzenbau und die Produktionstechnik interessiert. Niggli ist nicht laut, nicht forsch und hat den Anspruch an sich, Dinge zu sagen, die Hand und Fuss haben.
Mit dem Notizblock auf dem Feld
Die Praxis habe ihn das gelehrt. «Bauern sind sehr gut darin zu merken, ob man von dem, was man sagt, auch etwas versteht. Wenn man nur vorgibt, etwas davon zu verstehen, wird man sehr schnell enttarnt», meint Niggli. Entsprechend ist er beim Gespräch mit Stefan Brunner vor allem darauf aus, besser zu verstehen, wie der Betrieb funktioniert. «Niemand kennt den Betrieb so gut wie der Landwirt selbst», sagt Niggli. Er erklärt zuerst, dass das geplante Monitoring-Projekt vor allem dazu dient, die Entwicklung des Humusgehalts auf einer bestimmten Parzelle zu verfolgen. Dann lässt er Brunner erklären, was möglich ist und am Schluss überlegen sie gemeinsam, ob und wie Brunner und Niggli zusammenarbeiten werden. Sechsmal muss Brunner ans Telefon – die «ausserordentliche Lage» bringe täglich so viele Anmeldungen für das Gemüseabo, wie normalerweise ein Monat – sechsmal finden sie den Faden wieder. Sichtbar dabei hat Niggli während dieser Stunde auf dem Feld nur Notizblock und Kugelschreiber. Den Rest – Gesprächsablauf, und Idee – hat Niggli im Kopf. «Es ist ein Erstgespräch, es geht vor allem darum, die Möglichkeiten auszuloten», sagt Niggli. Dass solche Gespräche manchmal etwas chaotisch verlaufen, stört Niggli nicht. Im Gegenteil sind sie gute Möglichkeiten, um Lösungen zu finden.
Biogedanke liegt ihm im Blut
Sein Vater ist Urs Niggli, FiBL-Direktor und seit bald vier Jahrzehnten Verfechter einer Landwirtschaft, die mit der und nicht gegen die Umwelt arbeitet. Jeremias Niggli kennt das FiBL seit Kindesbeinen – ebenso, wie ihn einige langjährige FiBL-Mitarbeitende kennen. Dass Jeremias Niggli sagt, ihm sei der ökologische Gedanken in die Wiege gelegt worden, ist nicht übertrieben. Trotzdem glaubt Niggli nicht, dass ihm sein Name in der Bioszene hilft. Er habe sich unabhängig von seinem Vater auf die Stelle beworben, die für die Förderung regenerativer Landwirtschaftsformen geschaffen wurde. «Irgendwann ist man selbst für sein Leben verantwortlich», sagt Niggli. Man müsse die Prüfungen selbst annehmen und bestehen, seinen eigenen Weg gehen.
Agrarwissenschaftler/in ETH
Ausbildung: Das Studium beschäftigt sich mit Fragen der Ernährungssicherheit und Nahrungsmittelqualität. In der Regel dauert das Vollzeitstudium an der Eidgenössisch Technischen Hochschule in Zürich fünf Jahre. Das Bachelorstudium ist breit ausgerichtet und vermittelt alle wichtigen Grundlagen, im Masterstudium erfolgt eine Spezialisierung in Richtung Agrarpflanzenwissenschaften, Nutztierwissenschaften, Agrar- und Ressourcenökonomie.
Voraussetzungen: Gymnasiale Matura und Freude an und Fähigkeiten in Naturwissenschaften und Mathematik. Hinzu kommen Sprach- und Kommunikationsfähigkeiten, Flexibilität und vernetztes Denken sowie eine gewisse körperliche Robustheit.
Lohn: Es sind keine öffentlich zugänglichen Angaben zu finden.
Arbeit ist wie eine Weiterbildung
Auf seinem Weg sieht Jeremias Niggli die Arbeit beim FiBL als wichtigen Zwischenschritt an. «Ich kann mir nicht vorstellen, zur Arbeit zu gehen, wenn ich nichts mehr dazu lernen würde», meint er. Die Arbeit «ist auch für mich wie eine Weiterbildung», findet Niggli. Seine Arbeit als Berater empfindet er als enorm bereichernd – weil er in verschiedene Betriebe hineinsieht und von den Landwirten lernen kann. «Ich bringe die Aussenperspektive und aktuelles Wissen aus der Forschung mit und kann manchmal auch einfacher die Punkte verbinden», sagt Niggli. Das möchte Niggli dereinst auf einem eigenen Betrieb machen. Lieber als nur beraten, möchte Jeremias Niggli nämlich das umsetzen, was er tagtäglich durch seine Arbeit gelernt hat. Die dazu notwendige Haltung scheint er zu haben. Jetzt fehlt ihm nur noch der passende Hof.