Etwa alle 20 Jahre verfasst der St. Galler Regierungsrat einen Bericht zum Zustand der St. Galler Landwirtschaft. Seit einigen Wochen liegt nun der jüngste Bericht zu den «Perspektiven der St. Galler Landwirtschaft» vor. Er wurde von einer vorberatenden Kommission des Kantonsparlaments unter die Lupe genommen.
Zufrieden mit der Bestandesaufnahme
«Der Bericht ist umfassend ausgefallen», stellt Kommissionspräsidentin Barbara Dürr (CVP) fest. Die gesamte Kommission sei sehr zufrieden mit der Bestandesaufnahme der Regierung, sagt die ehemalige Präsidentin der St. Galler Bäuerinnen, die gegenwärtig auch dem landwirtschaftlichen Klub des St. Galler Kantonsparlament vorsteht.
«In der Kommission hatten wir allerdings den Eindruck, dass es noch mehr Stärken der St. Galler Landwirtschaft gibt, die man im Bericht hätte herausschälen können», fügt Dürr an. Die vorberatende Kommission ein Kommissionspostulat formuliert, in dem sie die Regierung auffordert, einen ganzen Strauss von Fragen zur Weiterentwicklung der St. Galler Landwirtschaft zu beantworten.
Förderung der Rand- und Bergregionen gefordert
Frau Dürr, der Kanton St. Gallen umfasst alpine und voralpine Gebiete, viel Weideland, aber auch sehr fruchtbare Böden für Acker und Gemüsebau. Er ist ein Abbild der Schweizer Landwirtschaft im Kleinen. Ist es da möglich, eine Strategie für den ganzen Kanton zu formulieren?
Barbara Dürr: Es ist nicht einfach. Aber es macht die Sache interessant und spannend. Aus dieser Vielseitigkeit können sich auch Synergien ergeben. Bauern im Talgebiet können beispielsweise ihre Tiere zur Aufzucht in die Bergzone geben. Auf diese Weise werden im Talgebiet Flächen frei, etwa für den Gemüsebau. Das ist beispielsweise im St. Galler Rheintal im grossen Stil geschehen.
Im Bericht steht, dass die Produktionsintensität und die Tierbestände im Kanton sehr hoch sind. Dies führe zu Problemen in den Bereichen Ökologie, Biodiversität und Bodenfruchtbarkeit. Berücksichtigt der Kanton diesen Konflikt in genügendem Masse?
Was ich dazu jetzt sage, ist meine ganz persönliche Meinung: Ich denke, wir sind im Kanton St. Gallen dank der Vorgaben für die Direktzahlungen in diesen Bereichen nicht besser und nicht schlechter unterwegs als andere Kantone. Die allermeisten Betriebe sind ja Direktzahlungsbetriebe. Da sind die Vorgaben in Sachen Ökologie bereits recht hoch.
Der Bericht der Regierung bezieht sich aber auch auf Motionen, in denen es um Anliegen der Biolandwirtschaft geht. Diese Aspekte hat die Regierung ebenfalls in diesen Bericht hineingepackt und das merkt man ihm auch an.
Der Bericht schlägt Mehrausgaben des Kantons zugunsten der Landwirtschaft vor: Jährlich 400 000 Franken für die Verbesserung der Wasserversorgung und der Verarbeitungsstrukturen auf Alpen sowie jährlich 600 000 Franken für die Umsetzung von drei Ressourcenschutzprojekten. Das genügte der vorbereitenden Kommission offenbar nicht.
Aus unseren Diskussionen ging relativ bald hervor, dass der Kanton eher zu wenig macht im Bereich der Projekte zur regionalen Entwicklung (PRE). Und auch im Bereich der Neuen Regional-Politik (NRP) ist er zu wenig aktiv. Bei diesen Instrumenten zur Förderung der Wertschöpfung in strukturarmen Regionen verhält es sich so, dass Bund und Kanton sich an Investitionskosten einer lokalen Trägerschaft beteiligen.
In seinem Bericht hält der Regierungsrat lediglich fest, das Einreichen solcher Projekte sei relativ kompliziert und aufwendig. Deshalb habe man in den letzten Jahren darauf verzichtet. Die AP 22+ sieht vor, dass in diesem Bereich Vereinfachungen kommen werden.
Haben Sie denn gewisse Regionen oder Projekte im Hinterkopf, in denen solche Projekte aufgegleist werden sollten?
Wir sind der Meinung, dass es eine Chance für die Berggebiete sein könnte. Zum Beispiel auch in Kombination mit Massnahmen im Bereich des Tourismus.
Die Kommission fordert konkret, die Wertschöpfung auf der Alpmilch sei zu erhöhen. Das ist vor allem dann möglich, wenn die Milch auf der Alp verarbeitet wird. Auf den Alpen im Sarganserland etwa gibt es bereits Käsereien mit modernen Infrastrukturen. Aber im Toggenburg mit eher kleinen und familiären Alpstrukturen ist ein solches Vorhaben wohl eher schwierig zu realisieren.
Von den Strukturen her ist ein solches Anliegen im Sarganserland mit seinen grossen Gemeinschafts-, Ortsalpen und Alpkooperationen sicher einfacher zu verwirklichen. Aber gerade für eine Region wie das Toggenburg wäre dies eine Chance.
Alpkäse, Alpbutter oder Alp-Joghurts sind gefragte Produkte. Trotzdem wird in dieser Region Alpmilch teilweise ins Unterland abgeführt und unter ihrem Wert verkauft. So etwas anzustossen, ist sicher nicht einfach. Ich möchte aber darauf hinweisen, dass im Toggenburg gegenwärtig das Projekt «Chäswelt Toggenburg» anläuft, das genau in diese Richtung zielt.
Das Kommissionspostulat regt auch an, die vom Kanton geführten Landwirtschaftsbetriebe wie etwa jene der Landwirtschaftlichen Zentren Salez und Flawil oder der Strafanstalt Saxerriet seien neu auszurichten. In welcher Richtung denn?
Im Bericht der Regierung ist oft von «Bio» die Rede. Wir von der vorberatenden Kommission erachten es als zielführender, eine ressourcenschonende Produktion zu verlangen. Das ist viel offener und lässt mehr Möglichkeiten zu. Bei «Bio» kommen relativ schnell die Richtlinien von Knospe oder von ähnlichen Labels ins Spiel.
Der grosse Teil der landwirtschaftlichen Betriebe im Kanton St. Gallen produziert jedoch nicht nach Bio-Richtlinien. Deshalb ist es sinnvoller, die dem Kanton gehörenden Betriebe auf eine ressourcenschonende Produktion auszurichten. Wichtig ist zudem, dass es auf dem vom Kanton geführten Betrieben auch genügen Raum gibt für praxisnahe Pilot- und Demonstrationsprojekte.
Woran denken sie da? An Bereiche wie Smart oder Digital Farming?
Auch. Wichtig sind aber auch Fragen im Zeichen des Klimawandels. Etwa die: Wie soll ein Wiesenbestand in 30 Jahren aussehen? Solche Fragestellungen und Versuche kann man als einzelner Betrieb nicht angehen.
Auch beim Bildungsauftrag der Landwirtschaftlichen Zentren des Kantons sollen die Schwerpunkte neu gesetzt werden.
Da ist es zuerst einmal wichtig festzustellen, dass die landwirtschaftliche Grundausbildung vom Bund geregelt wird. Unsere Anliegen beziehen sich auf die Bereiche Weiterbildung und Beratung: Da fordern wir einen Schwerpunkt in der Milchwirtschaft, weil der grösste Teil der St. Galler Betriebe in diesem Bereich aktiv ist.
Weitere Schwerpunkte sollen die Bereiche Acker- und Gemüsebau sowie die Mutterkuhhaltung sein. Unser Ziel ist es aber nicht, ein neues Forschungszentrum aufzubauen. Wir möchten vor allem, dass die Erkenntnisse der Forschung auf einem kantonalen Betrieb umgesetzt und ausprobiert werden können.
Die Kommission verlangt auch, dass der Regierungsrat einen Bericht zu Innovationen in der St. Galler Landwirtschaft verfasst. Was hat man sich darunter vorzustellen?
Die Fachhochschulen im Kanton St. Gallen decken ein breites Spektrum ab. Von der Pädagogik über die Technik bis zur Sozialarbeit. Da sehen wir auch Berührungspunkte. Ich denke da an Bereiche wie die Betreuung auf dem Bauernhof. Das kann von der Kinderspielgruppe bis zur Alters- und Behindertenbetreuung gehen.
Andere Kantone investieren im Bildungsbereich und fördern «Schule auf dem Bauernhof». Das sind Bereiche, die von der grossen Schweizer Landwirtschaftspolitik nicht tangiert werden und in denen der Kanton aktiv werden könnte.
Darauf wollte ich Sie auch noch ansprechen: In der AP 22+ ist sehr vieles aufgegleist. Es ist aber völlig offen, was dann auch tatsächlich umgesetzt wird. Es ist nicht einmal sicher, ob das Parlament auf das Geschäft eintreten wird. Ist es da nicht eine etwas unglückliche Ausgangslage, mit einem Forderung-skatalog beim Kanton anzuklopfen?
Wir haben den Eindruck, dass unsere Forderungen, die wir in Form von Aufträgen formuliert haben, in der Kompetenz der Kantonsregierung liegen. Wir denken zudem, dass unsere Anliegen mit einer künftigen nationalen Landwirtschaftspolitik kompatibel sind und nicht quer in der politischen Landschaft stehen.
Der Bericht der Regierung und ihr Kommissionspostulat werden im September vom Kantonsrat behandelt. Wie stehen die Chancen, dass die Anliegen der Kommission im Rat durchkommen?
Die Stimmung in der Kommissionssitzung war gut und ich gehe davon aus, dass das Postulat im Kantonsrat durchkommt. Es ist möglich, dass im September bei der Beratung des Berichts noch weitere Aufträge kommen werden.