Bei Enteignungen von Landwirtschaftsland ist die Entschädigung für das abzutretende Land von zentraler Bedeutung. Das Parlament hat im Sommer 2020 das Bundesgesetz über die Enteignung geändert, sodass künftig bei Enteignungen von Kulturland der dreifache Preis über das bäuerliche Bodenrecht (BGBB) entschädigt werden muss. Diese Änderung hat nun auch Folgen für Enteignungen bei kantonalen Projekten.
Das Wichtigste in Kürze
Bei einer Enteignung von Landwirtschaftsland für ein Bundesprojekt muss neu der 3-fache BGBB-Preis bezahlt werden. Die Entschädigung eines allfälligen Minderwertes der verbleibenden Grundstücksfläche sowie weitere Nachteile, die sich aus der Enteignung ergeben, werden durch die neue Regelung nicht aufgehoben. Mit der neuen Regelung besteht eine Differenz bei der Entschädigung zu den meisten kantonalen Enteignungsgesetzen. In verschiedenen Kantonen sind Vorstösse zur Anpassung des kantonalen Enteignungsrechtes eingereicht worden. Die neue Regelung gilt für Enteignungsverfahren, die nach dem 1. Januar 2021 eingeleitet wurden.
Art. 66 BGBB:
1 Der Erwerbspreis gilt als übersetzt, wenn er die Preise für vergleichbare landwirtschaftliche Gewerbe oder Grundstücke in der betreffenden Gegend im Mittel der letzten fünf Jahre um mehr als 5 Prozent übersteigt.
2 Die Kantone können in ihrer Gesetzgebung diesen Prozentsatz auf maximal 15 Prozent erhöhen.
Verlust von jährlich 200 ha
Wenn Landwirtschaftsland enteignet werden muss, besteht künftig für die Berechnung der Entschädigung ein Unterschied zwischen Enteignungen, die sich auf das Bundesgesetz über die Enteignung stützen, und Enteignungen nach den meisten kantonalen Enteignungsgesetzen (EntG).
Das Enteignungsrecht des Bundes kommt zur Anwendung bei Infrastrukturprojekten des Bundes oder Werken, die im Interesse der Eidgenossenschaft oder eines grossen Teils des Landes liegen – z. B. Nationalstrassen, Eisenbahnlinien, Erdgasleitungen, Wasserbau. Für einen Grossteil des Landbedarfes von Kulturland kommt das Bundesenteignungsgesetz jedoch nicht zur Anwendung, nämlich bei Projekten der Kantone und Gemeinden – z. B. Strassenbauprojekte von Kantons- und Gemeindestrassen, inkl. Radwegprojekte, Bauvorhaben im öffentlichen Interesse wie z. B. eine Schulhauserweiterung, Revitalisierungsprojekte, Hochwasserschutz, sofern nicht das EntG zur Anwendung erklärt wird. Gemäss einer Untersuchung kann davon ausgegangen werden, dass jährlich rund 200 Hektaren Kulturland, die als Landwirtschaftsland wegfallen, unter die kantonalen Enteignungsrechte fallen.
Ungleiche Entschädigung
Die Änderung sieht nun vor, dass zukünftig für Kulturland, das dem bäuerlichen Bodenrecht unterstellt ist und enteignet werden muss, der dreifache Höchstpreis gemäss BGBB entschädigt werden muss. Dies stellt eine wesentliche Änderung der bisherigen Praxis dar. Bisher konnte «nur» der Verkehrswert der betroffenen Fläche entschädigt werden. Wenn bei einer beanspruchten Fläche der Höchstpreis Fr. 8.– pro m² beträgt, macht jetzt die Enteignungsentschädigung neu Fr. 24.– pro m² aus. Gegenüber der Entschädigung einer Fläche im Baugebiet ist die Entschädigung von Landwirtschaftsland in der Regel jedoch immer noch bedeutend tiefer.
Bei Enteignungen aufgrund kantonaler Enteignungsgesetze ist mit wenigen Ausnahmen die Entschädigung für das abzutretende Land nicht höher als der BGBB-Preis (Ausnahme: Kanton Zug: Fr. 80.– pro m² für Landerwerb in Landwirtschaftszone für Kantonsprojekte, insbesondere Strassen und Gewässer). Damit wird in den meisten Kantonen das abzutretende Land ungleich entschädigt. Das heisst, bei einem kantonalen Strassenbauprojekt wird für das abzutretende Land der Höchstpreis gemäss BGBB entschädigt (z. B. Fr. 8.– pro m²). Würde die gleiche Fläche jedoch für eine Nationalstrasse benötigt, würde die Entschädigung Fr. 24.– pro m² betragen. In verschiedenen Kantonen wurden daher Vorstösse eingereicht, um die kantonalen Enteignungsgesetze an das Bundesgesetz über die Enteignung anzupassen. Eine Übersicht über die Situation in den Kantonen ist noch nicht bekannt.
Überblick über Entschädigungspositionen:
Beispiel für die Zusammensetzung der Entschädigung bei einer Abtretung von Landwirtschaftsland für ein Infrastrukturprojekt des Bundes (fiktives Beispiel mit Annahmen):
- Entschädigung für abzutretendes Landwirtschaftsland: 1000 m² à Fr. 8.-- x 3 = Fr. 24'000.-
- Entschädigung Minderwert des Restgrundstückes: Fr. 3'000.-
- Entschädigung Anpassung Zufahrt: Fr. 5'000.-
- Entschädigung Parteikosten: Fr. 5'000.-
Nachteile der Enteignung
Die neue Entschädigungsvorschrift für Landwirtschaftsland im Enteignungsfall wird dazu führen, dass bei einem Landbedarf für ein Bundesprojekt der Landerwerber bereits zu Beginn der Verhandlungen eine Entschädigung mit dem dreifachen Höchstpreis gemäss BGBB anbieten wird. Ansonsten dürfte der Landwirt keine einvernehmliche Entschädigung unterschreiben und würde die Enteignung verlangen.
Von der Änderung nicht betroffen sind die weiteren Entschädigungspositionen, die nach dem Enteignungsrecht vorgesehen sind. Dazu gehören eineallfällige Wertminderung der verbleibenden Fläche des Grund-stückes, wenn nur eine Teilfläche des Grundstückes enteignet wird, und weitere Nachteile, die sich aus der Enteignung ergeben. Insbesondere ist es nicht so, dass diese weiteren Entschädigungspositionen durch den dreifachen BGBB-Preis ersetzt werden. Wenn für die abzutretende Fläche eine vergleichbare Ersatzfläche angeboten wird, dürfte die neue Regelung auch nicht zur Anwendung kommen. Unklar ist, ob die neue Regelung eine Auswirkung auf die Entschädigungen einer materiellen Enteignung haben wird (materielle Enteignung = Nutzungseinschränkung, die einer Enteignung gleichkommt). Keine Auswirkungen hat die neue Regelung auf die bestehenden Entschädigungsansätze für elektrische Freileitungen und Strommasten sowie für Schächte und erdverlegte Leitungen. Diese Entschädigungsansätze stützen sich auf den Mehraufwand und die Ertragsminderungen, die sich bei der Bewirtschaftung einer belasteten Fläche ergeben, und nicht auf den BGBB-Preis.
Die neue Regelung des dreifachen BGBB-Preises ist mit weiteren Änderungen des Bundesgesetzes über die Enteignungam 1. Januar 2021 in Kraft getreten. Nach den Übergangsbestimmungen werden Enteignungsverfahren, die vor dem 1. Januar 2021 eingeleitet wurden, nach dem bisherigen Recht zu Ende geführt.
Neue Formulierung Art. 19 EntG:
Bei der Festsetzung der Entschädigung sind alle Nachteile zu berücksichtigen, die dem Enteigneten aus der Entziehung oder Beschränkung seiner Rechte erwachsen. Demnach sind zu vergüten:
a. der volle Verkehrswert des enteigneten Rechtes;
abis. für Kulturland im Geltungsbereich des Bundesgesetzes vom 4. Oktober 1991 über das bäuerliche Bodenrecht (BGBB) das 3-fache des ermittelten Höchstpreises gemäss Artikel 66 Absatz 1 BGBB;
b. wenn von einem Grundstück oder von mehreren wirtschaftlich zusammenhängenden Grundstücken nur ein Teil in Anspruch genommen wird, auch der Betrag, um den der Verkehrswert des verbleibenden Teils sich vermindert;
c. alle weitern dem Enteigneten verursachten Nachteile, die sich nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge als Folge der Enteignung voraussehen lassen.
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