Am 27. September steht die Revision des eidgenössichen Jagdgesetzes zur Abstimmung. Das Gesetz soll unter anderem eine Regulierung der stark angewachsenen und noch immer rasch wachsenden Wolfspopulation ermöglichen. In landwirtschaftlichen Kreisen ist die Gesetzesrevision weitgehend unbestritten. Anders sieht dies beim Rest der Bevölkerung aus. Jüngste Meinungsfragen deuten auf einen knappen Ausgang hin. Noch ist offen, ob am 27. September die Befürworter oder Gegner der Vorlage jubeln werden.
Bauernverbände orientierten
Vergangene Woche luden gleich zwei kantonale Bauernverbände zu einer Medienorientierung ein, um für ein Ja zur Vorlage zu werben. «Wird das neue Jagdgesetz abgelehnt, ist die Alpung von Schafen, Ziegen, Rindern und Kühen in vielen Gebieten nicht mehr möglich», sagte Peter Nüesch, der Präsident des St. Galler Bauernverbands, am 31. August augustauf dem Buchserberg. Tag darauf doppelte Thomas Roffler, der oberste Bündner Bauer, in Chur nach: «Wenn Nutztiere die Sommermonate nicht mehr unter gesicherten Bedingungen auf unseren Alpen verbringen können, werden viele Bauern, insbesondere Kleinviehhalter, die Alpwirtschaft aufgeben.»
Sie werben für ein Ja
Neben den Präsidenten des St. Galler und des Bündner Bauernverbands warben am Montag beziehungsweise Mittwoch folgende Referentinnen und Referenten für ein Ja zur Vorlage: die Bündner Nationalrätin Magdalena Martullo-Blocher und der Bündner Ständerat Stefan Engler; Robert Brunold, Präsident des Bündner Patentjägerverbands und Jules Mullis, Vizepräsident Revier Jagd St. Gallen; die Sicht der Alpwirtschaft brachten Markus Hobi von der Alpwirtschaftskommission des St. Galler Bauenverbands ein sowie Martin Renner, Geschäftsführer des Bündner Bauernverbands. Martin Keller sprach in seiner Funktion als Präsident des St. Galler Schafzuchtverbands.
Kompetenzen verlagert
Den Anstoss für die Revision des Jagdgesetzes gab der Bündner Ständerat Stefan Engler mit einer Motion, die im Jahr 2014 überwiesen wurde. Das revidierte Gesetz sieht unter anderem eine Übertragung von Kompetenzen vom Bund an die Kantone vor. Diese können neu die Bestände von Wolf, Steinbock und Höckerschwan regulieren. Diese Regulierung darf die Bestände nicht gefährden. Die Kantone müssen vor einem Wolfsabschuss das Bundesamt für Umwelt (Bafu) anhören. Das Verbandsbeschwerderecht bleibt bestehen und auch das Bafu kann Beschwerde einlegen. «Der Wolf bleibt auch bei einem Ja zur Vorlage ein geschütztes Tier» betonte Engler. Es sei selbstverständlich, dass die Regelung des Arten- und Lebensraumschutzes eine Angelegenheit des Bundes ist. Die Umsetzung der Regulierung müssten die Kantone aber innerhalb der gegebenen Rahmenbedingungen autonom vollziehen können. Der Ständerat wies darauf hin, dass bereits heute etwa im Falle des Steinbocks die Bestandesregulierung funktioniere, ohne dass die Population gefährdet sei. Engler betonte zudem, dass – falls nötig – Wildhüter und nicht Jäger Wölfe abschiessen würden.
«Kein Abschussgesetz»
Jules Mullis hob hervor, dass das revidierte Jagdgesetz «kein Abschussgesetz» sei. So sei neu im Gesetz festgehalten, dass die Jagd nachhaltig sein müsse und eine Koordination zwischen den Kantonen nötig sei. Das Gesetz leiste auch einen wichtigen Beitrag zum Artenschutz und der Biodiversität. So sollen neu 300 Wildkorridore ausgeschieden und geschützt werden. Zudem stelle der Bund neu jährlich 4,5 Millionen Franken zur Verfügung. Beispielsweise für Massnahmen in Wildtierschutzgebieten oder in Wasser- und Zugvogelreservaten. Robert Brunold stellte fest, dass das neue Gesetz auch Akzente für den Tierschutz setze, indem es etwa die Nachsuche auf verletztes Wild obligatorisch erkläre.
Bestand wächst stetig
Im Jahr 2011 hat sich im Calanda-gebiet das erste Wolfsrudel in der Schweiz gebildet. Das Wachstum der Wolfspopulation hat sich seither stets beschleunigt und beschleunigt sich weiter. Heute wird der Bestand in der Schweiz auf rund 80 Tiere geschätzt, die in zehn Rudeln verteilt auf verschiedene Regionen leben. Mit dem Wachstum der Population hat sich auch die Zahl der Risse an Nutztieren erhöht. Das führt zu Konflikten zwischen Wolf und Tierhaltern. Besonders stark betroffen davon sind die Berglandwirtschaft sowie die Alpwirtschaft. Entsprechend gross ist denn auch aus diesen Regionen die Forderung nach einer Regulierung des Wolfbestandes. Denn trotz Herdenschutz sind Übergriffe von Wölfen auf Nutztiere nicht zu verhindern. «Wenn der Wolfsbestand nicht reguliert wird, erhöht sich dieser Druck weiter, was letztlich den Weiterbestand eines Teils der Alpwirtschaft gefährdet», argumentieren die Befürworter des revidierten Jagdgesetzes:
- In rund einem Viertel aller Alpgebiete ist ein Herdenschutz aus topographischen Gründen nicht realisierbar, sagt Peter Nüesch.
- Herdenschutzhunde und Tourismus beissen sich, sagt Markus Hobi. In den Flumserbergen oder etwa im Pizolgebiet würden viele Wanderwege durch Schafalpen führen. Beissverletzungen würden sich da nicht verhindern lassen.
- Mit Blick auf die Futterbeschaffung für das Winterhalbjahr bilden Alp- und Berglandwirtschaft eine Symbiose
- Wölfe unterlaufen Schutzmassnahmen, sagt Martin Keller. Sie ermüden Schutzhunde systematisch. Sie wühlen sich unter Schutzzäunen durch.
- Besitzer von Schafen und Ziegen lassen ihre Tiere nicht mehr sömmern, weil sie sich vor Rissen fürchten.
- Es wird schwieriger, Alppersonal zu finden. Für dieses ist es eine psychische Belastung, wenn Wölfe Tiere reissen, die ihnen zur Obhut überlassen worden sind.
- Gerade für kleine Alpen ist ein professioneller Herdenschutz zu teuer.
Besonders hohe Dichte
Besonders viele Wölfe leben im Kanton Graubünden und den angrenzenden Gebieten. Es sind über 50 in sieben Rudeln. Martin Renner befürchtet, dass bei einer gleichbleibenden Entwicklung 2021 über 80 Wölfe im Bündnerland leben werden. Wie Renner weiter darlegte, wurden im laufenden Jahr bis Ende August allein im Kanton Graubünden über 190 Risse verzeichnet, 90 davon in geschützten Herden. Renner wies darauf hin, dass die Alp- und Berglandwirtschaft wertvolle regionale und ökologische Nahrungsmittel produziere. Er stellte fest, dass es trotz Herdenschutz Wölfen gelinge, Nutztiere zu reissen. Könnten die Alpen wegen der hohen Wolfsdichte nicht mehr bestossen werden, ginge dem Kanton ein wichtiger wirtschaftliche Zweig verloren, warnte der Geschäftsführer des Bündner Bauernverbands.
Verlorenen Scheu schafft Probleme
Magdalena Martullo-Blocher sagte, die Verbreitung von Wölfen in Siedlungsnähe schaffe Probleme. Aggressives Verhalten, verlorene Scheu vor Menschen und atypische Lebensweise würden Mensch und Tier gefährden. Sie erinnerte an Vorfälle der letzten Monate im Kanton Graubünden: Etwa an den Wolf, der eine halb offene Stalltür übersprungen hatte, oder an jenen Wolf, der an einer Kinderskischule vorbeistreifte. Wölfe würden nun auch im Bündnerland Kühe und Kälber angehen, was man bereits aus den Nachbarländern kenne, sagte die Nationalrätin. Gerade Mutterkuhherden würden nach einem Wolfsangriff derart in Rage geraten, dass sie alles niedertrampelten. Um Unfällen vorzubeugen, evaluierten Bündner Gemeinden bereits Sperrungen von Wanderwegen und Erholungsgebieten. Das revidierte Jagdgesetz erlaube es, bei Problemwölfen zu handeln, bevor der Schaden angerichtet sei.