Dieses Buch geht unter die Haut. Die 73 Schwarz-Weiss-Bilder in «Hof Nr. 4233» zeigen zwei Menschen, die betroffen sind vom Bauernsterben, auch Strukturwandel genannt. Hinter der nüchternen Betriebsnummer verbergen sich Ruth und Hans Wüthrich, die Eltern des Fotografen Tomas Wüthrich.

13 000 mal abgedrückt

Vom 11. April 1999 bis zum 30. April 2000 belichtete der damals 27-jährige Fotograf 372 Filme, um das Ende des Bauernbetriebs zu begleiten: «Ein langer Abschied vom Haus und Stall seiner Kindheit, eine schmerzhafte Wiederbegegnung mit dem Vieh, das den Alltag seiner Familie beherrscht hatte, und eine einfühlsame Betrachtung der Menschen, die sich ein Leben lang mit diesem Hof abmühten», schreibt Peter Pfrunder, Direktor der Fotostiftung Winterthur, im Begleittext zum Buch.

Die Bilder zeigen Wüthrichs von ganz nahe, die Eltern scheinen wenig Notiz davon zu nehmen, dass ihr Sohn im Verlauf des letzten Jahres von Hof Nr. 4233 nicht weniger als rund 13 000 mal auf den Auslöser seiner Kamera gedrückt hat. Beim Kalbern, beim Abendessen, beim Leuen, beim Heuet, während der Unterzeichnung des Pachtvertrags, im Holz und beim Abtransport der 13 Stück Vieh.

Bilder, die Gefühle zeigen

Die selbstverständliche Nähe des Sohns zu den Eltern ermöglicht Bilder von einer selten gesehenen Direktheit, man kann die Gefühle der Trauer und der Leere bei den Eltern förmlich nachvollziehen. Sie müssen nach langem Kampf einsehen, dass diese gut sechs Hektaren nicht mehr genug abwerfen. Nicht einmal bei aller Bescheidenheit.

«Wenn diese Arbeit erst 20 Jahre nach ihrer Entstehung so umfassend veröffentlicht wird, so hat dies auch damit zu tun, dass man aus der Distanz ihre Qualitäten besser erkennt», schreibt Peter Pfrunder. Die Fotostiftung hat die Bilder von Tomas Wüthrich gekauft und Pfrunder gab die Initialzündung für das Buch, sagt der Fotograf. Für ihn war die einjährige Arbeit auch ein Stück Vergangenheitsbewältigung. Dass er hier Bilder von dauerhaftem Wert gemacht habe, sei ihm erst spät bewusst geworden, sagt er im Gespräch.

Sein Verhältnis zur Landwirtschaft beschreibt der Bauernsohn als gespalten: Er sei sehr interessiert, so Wüthrich. «Ich merke immer mehr, dass ich starke Wurzeln habe in der Landwirtschaft.» Gleichzeitig bräuchte es aus seiner Sicht aufgrund der Umweltprobleme ein radikales Umdenken. «Ich finde, es bräuchte wieder kleinere Strukturen, eine direkte Vermarktung der Produkte und eine Produktionsweise die dem Boden Sorge trägt», so Wüthrich, «die Landwirte sollten wieder unabhängiger werden von den Grossverteilern und sich stärker für die Natur interessieren».

 

Gewinnen Sie «Hof Nr. 4233»

Der Bildband «Hof Nr. 4233 – ein langer Abschied» von Tomas Wüthrich erscheint dieser Tage im Zürcher Verlag Scheidegger & Spiess. Mit etwas Glück können Sie ein Exemplar des Buchs oder ein Postkartenset mit einigen der eindrücklichen Schwarzweiss-Bilder des Fotografen und Bauernsohns gewinnen. Teilnehmen kann man via untenstehenden Link. Teilnahmeschluss ist der Sonntag, 14. Februar um Mitternacht.

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«Glücklich und zufrieden»

Uns interessierte natürlich auch, was die porträtierten Eltern vom Werk ihres Sohnes halten. Sie finde das Buch «wunderschön», sagt Ruth Wüthrich am Telefon. Tomas habe es am Vortag, pünktlich zum 88. Geburtstag von Hans, vorbeigebracht. Von den Bildern sei kein einziges gestellt, Tomas sei immer wieder vorbeigekommen und sie hätten gar nicht viel gemerkt von seiner Arbeit.

Wenn sie das Buch anschaue, löse das natürlich immer noch viele Gefühle aus, sagt die ­ehemalige Bäuerin, die heuer 79 wird. «Der Tag, an dem die Kühe gingen, das war furchtbar», erinnert sie sich. Aber die folgenden Jahre hätten auch viele neue Freiheiten gebracht.

Ruth Wüthrich erzählt begeistert von den vielen Wanderungen, die sie mit Hans, einem Berner Oberländer und passionierten «Chüejer» unternommen hat. Unterdessen sind sie etwas ruhiger geworden, beide haben ein paar «Brästen» und Corona schränkt den Radius weiter ein. Von Jammern aber keine Spur: «Wir sind glücklich und zufrieden», sagt Ruth Wüthrich abschliessend.

Das Buch kann zum Preis von 49 Franken hier direkt beim Produzenten bestellt werden.

 

Erinnerung

Ein Gedicht von Hans Wüthrich


Ein Bauer bin ich mit Herz und Seele, das weiss ich heute genau,

bin glücklich dabei und arbeite gerne mit meiner lieben Frau.

Nun sagt der Staat, mach langsam Schluss, es kommen jetzt andere dran,

du produzierst nur Überschuss, den man nicht zahlen kann.


Deiner Kuh die Bewegung fehlt, dein Betrieb ist schlecht,

so kannst du nicht haben von unserem Geld, es wäre schlicht nicht recht.

Ich möcht sie mal sehn, die hohen Bosse, wenn sie kämen in Not,


sie müssten mir sagen, lieber Bauer gib uns Milch und gib Brot,

ich würd ihnen sagen das geht nicht, heut hat mein Wort Gehalt,

geht hin und esst den Überschuss, den ihr nicht habt bezahlt.


Die Milch meiner Kuh kann ich euch nicht geben, sie war ja nicht draussen heut,

es gibt viele Arme die möchten auch leben, ich bediene nur diese Leut.

Ich weiss es, das sind leere Worte, bin ja nicht mehr jung,

bald bleibt von meinem Bauernleben nur die Erinnerung.