Vor drei Wochen haben die französische Mikrobiologin Emmanuelle Charpentier und US-Biochemikerin Jennifer Doudna die höchste wissenschaftliche Ehrung erhalten: den Nobelpreis für Chemie für ihre Entdeckung «CRISPR/Cas». Die NZZ am Sonntag betitelt es als eine «Zeitwende in der Pflanzenzucht», die zuvor als undenkbar galt. Ein Züchtungswerkzeug, das die Ernährung der wachsenden Weltbevölkerung in Zeiten des Klimawandels nachhaltig sicherstellen könnte.

Hier liegt die Betonung auf «könnte», denn in der Schweiz ist der Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen nach wie vor durch das Gentechnik-Moratorium verboten. Ob CRISPR/Cas als Gentechnik einzustufen ist, ist derzeit noch unklar. Eine Abstimmung ist ab 2021 wieder vorgesehen. Bruno Studer, Professor für Molekulare Pflanzenzüchtung an der ETH Zürich, erklärt, wie die Landwirtschaft vom neuen Pflanzenzüchtungsverfahren profitieren könnte.

Bruno Studer, welche Chancen bietet CRISPR/Cas im Hinblick auf die aktuellen Pflanzenschutzmittel-Diskussionen?

Bruno Studer: Sorten die resistent oder tolerant gegenüber Krankheiten und Schädlingen sind, bilden die Grundlage für einen nachhaltigen Pflanzenschutz und ermöglichen, auch ohne oder mit geringem Einsatz von Pflanzenschutzmitteln einen stabilen Ertrag zu erzielen. Obwohl die traditionelle Resistenzzüchtung beachtliche Erfolge erzielt hat, bleibt eine der grossen Herausforderungen der Pflanzenzüchtung, auf die sich ständig ändernde Zusammensetzung der Pathogen- und Schädlingspopulationen zeitnah zu reagieren und qualitativ hochwertige Sorten mit den entsprechenden Resistenzen zu züchten. Mittlerweile sind die genetischen Grundlagen der Resistenz gegenüber den wichtigsten Schaderregern in vielen Kulturpflanzenarten gut erforscht. CRISPR/Cas ermöglicht es, sehr spezifisch und mit vergleichsweise kleinem Aufwand Resistenzen in bereits vorhandene, qualitativ hochwertige Sorten einzufügen. Dies bietet die Möglichkeit, auf neue Schaderreger schneller zu reagieren und auch in Zukunft die Landwirtschaft mit hochwertigen, ertragsstarken und weitgehend resistenten Sorten zu versorgen.

In der EU gelten mit CRISPR/Cas-veränderte Pflanzen als Gentechnik. Wie sieht es ausserhalb der EU aus und welche Auswirkungen hat das für den Agrarhandel?

In China und in den USA ist die Innovationsdichte im Bereich der Genom-Editierung bei Pflanzen sehr hoch. Auch regulatorisch gibt es immer mehr Länder, welche CRISPR/Cas bei Pflanzen nicht kategorisch verbieten, sondern je nach Art des Eingriffes differenziert beurteilen wollen. Die Hauptherausforderung beim Agrarhandel sehe ich darin, dass man genom-editierte Pflanzen als solches nicht a priori erkennen kann.

D. h. eine Veränderung des Genmaterials kann nicht nachgewiesen werden?

Wenn man nicht weiss, nach was man suchen muss, nein. In der einfachsten Form kann CRISPR/Cas so angewendet werden, dass keine fremde DNA im Erbgut der Pflanze eingefügt wird, sondern lediglich eine minimalste genetische Veränderung zurückbleibt. Solche Veränderungen passieren auch auf natürliche Weise tagtäglich. Ein Nachweis der für die Veränderung benutzten Methode ist daher nicht möglich. Das neue Merkmal hingegen kann selbstverständlich nachgewiesen werden, könnte aber auch durch klassische Züchtung erzeugt worden sein.

Welche Argumentationen verwenden Kritiker gegen CRISPR/Cas?

Als Risiko wird oft genannt, dass CRISPR/Cas gar nicht präzise ist und auch ungewollte Veränderungen hervorruft. Tatsächlich werden solche «off-target» Effekte beobachtet. Jedoch sind diese selten und verglichen mit klassischer Mutationszüchtung, bei welcher ganz bewusst Tausende, ja sogar Millionen von «off-targets» induziert werden, zu relativieren. Denn Mutationszüchtung ist nach heutigem Recht zulässig und wird seit mehr als 80 Jahren sicher angewendet.

Oft werden auch Bedenken geäussert, dass CRISPR/Cas die wenigen, ganz grossen Saatgutkonzerne mit hohem Marktanteil im Saatgutgeschäft noch stärken könnte. Dies wird ganz bestimmt passieren, sollte CRISPR/Cas generell als Gentechnologie reguliert werden, denn nur ganz Grosse können sich teure Deregulierungs- und Zulassungsverfahren leisten. Bei einer differenzierten Regulierung wäre CRISPR/Cas auch für KMUs eine grosse Chance, Erfahrungen aus anderen Ländern bestätigen dies.

Wie stehen die Chancen für CRISPR/Cas nach dem Nobelpreis?

Es ist zu hoffen, dass die Signalwirkung erkannt wird und sich die Diskussion verstärkt von «wie wurde eine Sorte erzeugt» zu «welche Eigenschaften zeichnet diese Sorte aus» verlagert. Entscheidend ist doch, wie sich eine genetische Veränderung auf die Eigenschaften der Pflanze auswirkt und ob diese Eigenschaften ein Risiko für Mensch oder Umwelt darstellt. Zudem gilt es hier zu differenzieren: Neben klassischen gentechnologischen Eingriffen können mit CRISPR/Cas auch Veränderungen im Erbgut erzeugt werden, die natürlich (durch spontane Mutation) auch entstehen könnten. In diesem Sinne bin ich überzeugt, dass CRISPR/Cas eine wertvolle Ergänzung der verfügbaren Werkzeuge in der Pflanzenzüchtung darstellt.

Welche Konsequenzen hätte eine Verlängerung des Gentechnik-Verbots?

Ein Verbot wäre eine verpasste Chance, die Pflanzenzüchtung im Allgemeinen und die Resistenzzüchtung im Spezifischen effizienter zu gestalten. Dies ist insbesondere zusammen mit der durchaus wünschenswerten Reduktion der Ausbringung von Pflanzenschutzmitteln problematisch. Zudem wäre eine Abwanderung von Spitzenkräften in Forschung und Industrie ins Ausland zu befürchten, wie wir dies bereits beim GVO Moratorium beobachtet haben. Der Forschungsstandort Schweiz könnte an Innovationskraft im Bereich Pflanzenzüchtung verlieren und mit dem Verlust von Fachkräften würden wir auch zu einem gewissen Grad den Anschluss in der Anwendung einer Nobelpreis-gekrönten Methode im Bereich Gentechnik und Pflanzenzüchtung abgeben.

 

Was ist CRISPR/Cas?

In den 1980er Jahren entdeckten Forscher im Erbgut von Bakterien sich wiederholende Sequenzen. Es stellte sich heraus, dass es Schnipsel aus dem Erbgut von eindringenden Viren sind, die sie als Schutz in ihre eigene DNA einbauten. Bei einer erneuten Infektion wird der Eindringling wiedererkannt und seine DNA-Sequenz mit dem Enzym Cas zerschnitten. Damit schützt sich das Bakterium vor dem Virus.

Die molekularbiologische Methode funktioniert grundsätzlich bei allen Organismen. Mit CRISPR/Cas können Gene verändert, an- und ausgeschaltet und durch fremde Bestandteile ergänzt oder ersetzt werden.

Im Vergleich zu anderen klassischen Verfahren lässt sich das CRISPR/Cas-System viel einfacher, schneller und kostengünstiger herstellen. Zudem arbeitet es präziser, d. h. unbeabsichtigte Schnitte im DNA-Strang ausserhalb der Zielregion sind selten und lassen sich weitgehend ausschliessen.