Ist das verbindende Seil zwischen mir und meinem Partner stark und belastbar? Oder hat es schon ein paar Risse in Form von Verletzungen erlebt, hält aber noch gut? Oder verbindet nur noch ein dünner Faden die beiden Seilteile? Anja Fehr, Einzel-, Paar- und Familienberaterin aus Winterthur ZH, stellte diese Fragen an einem Vortrag des Elternforums Untersee und Rhein in Steckborn TG dem Publikum. Sie erklärte, wie Risse im Beziehungsband entstehen und wie sie verhindert werden können.
Altlasten aufarbeiten
Es gibt verschiedene Risiken, die eine Partnerschaft belasten können. Zum einen wird oft eine zu schnelle Partnerwahl getroffen. Dinge, die einem anziehen, zum Beispiel Äusserliches, versetzen uns in einen Höhenflug. Ob die gelebten Werte übereinstimmen oder der Charakter stimmt, wird zu wenig überprüft. Manchmal dient der neue Partner auch als Antwort auf eine bisherige Beziehung. Beispielsweise: "Endlich habe ich jemanden an meiner Seite, der gut zuhören kann." Solche Altlasten aus früheren Beziehungen beeinflussen die aktuelle Beziehung. Alle tragen Verletzungen aus der Vergangenheit in sich, sei es aus der Herkunftsfamilie, sei es von früheren Partnern. Hinzu kommt, dass manchmal unbewusst vom Partner erwartet wird, dass er diese Verletzungen heilt. "Wenn Altlasten nicht aufgearbeitet werden, können sie die Partnerschaft belasten", so Anja Fehr.
Zur Person
Anja Fehr ist Beraterin im psychosozialen Bereich mit eidgenössischem Diplom. Sie bietet in ihrer Praxis in Winterthur Einzel-, Paar- und Familienberatung sowie Sexualtherapie an.
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(Bild zVg)
Unterschiede bereichern
Am Anfang einer Beziehung können Gegensätze anziehend sein. Irgendwann stellt man dann aber fest, dass diese Unterschiede auch Konflikte auslösen können. Dabei muss es sich nicht immer um grosse Themen, wie Religion und Kultur handeln, sondern auch banale, alltägliche Dinge führen zu Streit. Diese Unterschiede sollte man nicht als Bedrohung, sondern als Bereicherung, Ergänzung und Entwicklungschancen sehen. Zu Streit führen oft auch hohe Erwartungen an den Partner. Oft sind sie unausgesprochen und deshalb gefährliche Fallen. Wir erwarten, dass der andere doch spüren sollte, was man braucht. Anja Fehr empfiehlt zu akzeptieren, dass ungestillte Bedürfnisse zur Beziehungsrealität gehören. Ebenso dürfen hin und wieder Streit und Spannungen sein, sie bieten auch immer Chancen für neue Wege. Wenn man den anderen verletzt hat, sollte man dies anerkennen und sich entschuldigen, jedoch nicht zwingend für die Handlung, sondern was es beim Partner ausgelöst hat.
Komplimente helfen
Als riesiges Glück, aber auch als unheimliche Herausforderung bezeichnet Anja Fehr das Gründen einer Familie. Der Fokus verschiebt sich vom Partner auf das Kind. Die Gefahr ist hier, dass zwischen den Kindern und der Mutter eine engere Bindung entsteht und der Mann sich aussen vor fühlt. Für die Fachfrau sollte die Partnerschaft unbedingt vor der Elternschaft kommen, denn wenn sich beide in der Partnerschaft wohlfühlen und diese funktioniert, profitieren davon auch die Kinder stark. Deshalb sollte man sich regelmässig eine "Paarzeit" einräumen.
Als das Wichtigste in einer Beziehung überhaupt bezeichnet Anja Fehr die Wertschätzung dem anderen Gegenüber. "Wertschätzung hilft am meisten und schnellsten, das Beziehungsband zu stärken", sagt Anja Fehr. Leider kommt Wertschätzung oft zu kurz. Wir legen den Fokus eher auf Probleme, das Gute bekommt zu wenig Aufmerksamkeit. Positive Rückmeldungen geben und Komplimente machen,auch für kleine, selbstverständliche Dinge, ist wichtig. Fühlen wir uns geliebt und wertgeschätzt, sind wir stressresistenter und toleranter. Anja Fehr gibt den Tipp, ein Wertschätzungstagebuch zu führen, in dem beide Partner jeden Abend oder einmal in der Woche eintragen können, was sie am anderen schätzen.
Gesprächsgrund angeben
Ein bekanntes Risiko für Konflikte in Beziehungen ist das Führen von Gesprächen. Für viele Paare ist es schwierig, Gesprächezu führen, weil sie einen völlig unterschiedlichen Gesprächsbedarf haben. Oft sind Frauen eher kritisierend, während sich Männer tendenziell eher zurückziehen. Gemeinsame, offene Gespräche sind wichtig. Man soll dem Partner sagen, warum man reden will. Will ich eine Klagemauer oder einfach plaudern, geht es um Information, Organisation oder ein Zwiegespräch?
Drei Intimitäten
Das richtige Mass an Intimität ist bei Beziehungen wichtig. Dabei unterscheidet man drei Arten von Intimität: Die psychische Intimität (z. B. Gespräche), die körperliche Intimität (Umarmung und Liebkosung) und die sexuelleIntimität (Lust, Erotik und Erregung). Alle drei Intimitäten müssen in einer Beziehung vorhanden sein. Oft entstehen Probleme, weil die Lust auf sexuelle Intimität sehr unterschiedlich ist. Mit ein Grund dafür kann mangelnde Intimität auf psychischer Ebene sein. Achtet mein Partner mich, fühle ich mich angenommen und gehört? Wenn Intimität auf psychischer Ebene fehlt, wird es schwierig, sich auf körperlicher Ebene hinzugeben. Und manchmal bleiben wir einfach derart in den Alltagsanforderungen hängen, dass wir es verpassen, der Beziehung Priorität zu geben. "Warum nicht ein Sex-Date vereinbaren?", schlägt Anja Fehr vor. Denn Berührungen und Zärtlichkeit sind nährend und sehr wichtig. Man sollte Tabus überwinden und sich getrauen, offen über Sexualität zu reden. Wenn über Probleme nicht gesprochen wird, gibt es viele Missinterpretationen und es stärkt die Unsicherheit. Vor allem nach der Babypause sollte sich das Paar zusammen überlegen, wie die Lust neu geweckt werden kann.