Es muss einer der heissesten Tage gewesen sein, als die BauernZeitung anfangs Juli den Treichelschmied Yan Moret besuchte. Auf dem Weg zu seiner Werkstatt, inmitten von Walliser Aprikosen- und Apfelhainen, zeigt das Thermometer gegen halb zehn Uhr vormittags bereits 34 Grad. Auf die Bemerkung, bei ihm drinnen sei es ja noch heisser, reagiert er mit einem Lachen: «Für mich ist die Temperatur jetzt am Vormittag normal», sagt er. «Allerdings spüre ich an solch heissen Tagen nachmittags die Hitze auch, wenn ich an der Esse arbeite.» Der Schweiss rinnt dem Handwerker in Strömen von der Stirn. Das erinnert an das «Lied von der Glocke» von Friedrich Schiller, der 1799 schrieb: «Von der Stirne heiss rinnen muss der Schweiss.» Ein Zeichen eines alten Handwerks, das auch nach 220 Jahren im Grunde noch gleich ausgeführt wird.
Verbundenheit mit Tradition
Yan Moret absolvierte erfolgreich eine Lehre als Karosseriespengler, arbeitete in diesem Beruf und träumte seit Langem davon, Eisen zum Klingen zu bringen. Tradition und Heimat bedeuten ihm viel. Also war es quasi vorgegeben, Treicheln für Eringerkühe von Hand zu schmieden. Ihm gefällt der «Sound» auf dem Platz an einem Stechfest, vor allem, wenn die Königinnen aufeinander losgehen. Es erfüllt ihn mit Stolz, wenn Besucher und Touristen in «Aah!» und «Ohh!» ausbrechen beim Anblick der schwarzen Walliser Kühe und beim Anhören der Treichelmelodien. Denn dieser Klang sei wunderbare Musik, immer wieder neu, immer wieder anders.
Kein Unterricht
Yan Moret besuchte eine Weiterbildung in Schmiedearbeit, wo er Lampen, Uhren und Dekorationsgegenstände anfertigte. Am Ende des Kurses fragte er den Leiter, ob er auch Unterricht gebe im Schmieden von Treicheln. «Nein, dafür gibt es keine Ausbildungsplätze», informierte dieser, «dieses Handwerk muss sich jeder selber beibringen.» Allerdings habe er ihm empfohlen, einen bestimmten Treichelschmied zu kontaktieren; vielleicht könne er ihm weiterhelfen. Yan Moret begab sich zu diesem Mann. «Er zeigte mir das Rohblech, vorgeschnittene Treichelhälften, die Esse, den Amboss sowie Produkte in Arbeit und fertige Treicheln», erinnert er sich. Dann habe er kurz und bündig verkündet: «Und jetzt schau, wie du zurechtkommst; wir haben es alle so gelernt.»
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Die erste Treichel Moret
Das spornte den jungen Mann an, es zu probieren. In seiner Garage von vier mal vier Metern in Liddes, wo er damals wohnte, installierte er jene Maschinen und Geräte, die er unbedingt benötigte, und so kam es vor 15 Jahren zur Geburt der ersten «Treichel Moret». Welche Freude! Welche Genugtuung! Er lernte, wie die vielen Arbeitsgänge effizienter ausgeführt werden konnten. Denn der Abläufe, bis eine Treichel angeboten werden kann, braucht es viele, oft bis zu 30: Das geschnittene Blech muss vorgeformt und in die richtige Form gepresst werden. Danach heisst es Hämmern, Schleifen, Bürsten, möglichst alles wiederholen, schliesslich wird lackiert und patiniert. Nun fehlen noch das Anbringen des Stegs, an welchem der Klöppel angehängt wird, sowie des Bügels zum Tragen der Glocke.
Treicheln werden repariert
Nach dem Besuch der Werkstatt geht es hinauf zur «Alpage de la Forclaz» auf 1500 Meter über Meer, und zwar auf der Passstrasse, die von Martigny nach Chamonix (F) führt. Keine Abkühlung auch auf dieser Höhe, auch nicht für die rund 50 Treicheln tragenden Eringerkühe, die träge herumliegen oder sich in einem braunen Sumpf abkühlen. Die Alp mit der kleinen Buvette (Getränke- und Snackkiosk) wird in Pacht betrieben von Yan Morets Bekannten Monique und François Moret. Sein Kollege kommt auf ihn zu mit einer Treichel, die eine Delle aufweist. Der Schmied nimmt sie entgegen, schüttelt sie und sagt: «Das tönt ja wie eine alte Pfanne!» Er erklärt, es sei nicht nur wichtig, Treicheln zu verkaufen, sondern diese auch zu reparieren. Yan Moret ist zuversichtlich, dass er eines Tages voll auf seine Treichelschmiede setzen kann; Nachfrage gebe es genug. Im Hinblick auf eine grössere Produktionsmenge hat er vor fünf Jahren das heutige Atelier von sechs mal sechs Quadratmetern gemietet. «Meine Frau Myriam hat mich über alle Jahre unterstützt; sie ist zuständig für die Administration und das Marketing», sagt ihr Mann. «Ohne sie hätte ich es nicht so weit gebracht.» Dennoch ist der Treichelschmied auf sein Einkommen bei der Transports de Martigny et Régions SA (TMR) angewiesen. TMR, eine Walliser Verkehrsgesellschaft, beschäftigt 180 Mitarbeitende und betreibt den Mont-Blanc Express und den Saint-Bernard Express. Sie unterhält im Auftrag von Postauto auch Buslinien für den Tourismus und führt über den St. Bernhard. Zudem verfügt sie über einen Cammionage- und einen Logistikservice.
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Wichtiges Einkommen
Seit 2008 arbeitet Yan Moret während acht Monaten bei TMR als Schienenmonteur, und zwar von Mai bis Dezember. Die übrigen vier Monate steht er an Esse und Amboss in seiner Werkstatt. «Solange unsere Tochter Allison (23) und unser Sohn Nolan (19) im Studium respektive in der Lehre sind und bei uns wohnen», erklärt er, «muss ich einer Arbeit nachgehen, die unserer Familie Ende Monat ein geregeltes Einkommen garantiert.» Sein Traum ist es aber, sich eines Tages nur noch «Les Sonnettes» zu widmen und ein kleines, feines Treichelmuseum einzurichten. Dafür kauft er seit Jahren Schellen aus verschiedenen Regionen und Zeitspannen und von verschiedenen Produzenten. Bis jetzt existiere keine solche Sammlung, lächelt er. Vielleicht sei er ja der Erste, der sie zeigen könne.
Vier Walliser Treichelschmiede
Wenn die Rechnung stimmt, so arbeitet der Handwerker also insgesamt zwölf Monate. Hat er keine Ferien? «Doch», sagt er, «Ende April/Anfang Mai nehme ich zwei Wochen frei, die ich nicht nur für Auszeiten, sondern auch für Weiterbildung nutze.» Übrigens arbeite er an Glocken auch in der Zeit, wenn er nicht bei TMR präsent sei, nämlich an Samstagen und am Feierabend, sofern es sich um Arbeiten handle, die niemanden störten. Im Wallis gibt es im Ganzen vier Glockenschmiede. Sie hätten genug zu tun und würden einander nicht ins Gehege kommen. Schliesslich habe jeder Schmied seine eigene Art, wie er Treicheln kreiere. Übrigens würden nicht nur Eringerbesitzer ihre Treicheln kaufen, sondern auch Züchter anderer Rassen. «Stolz sind wir», meint er, «wenn unsere handwerklichen Erzeugnisse von Deutschschweizern gekauft werden.»Benildis Bentolila
Weitere Informationen: www.sonnettes.ch
In der nächsten Folge Sommerserie besucht Simone Barth den Bildhauer, Maler und Gestalter Björn Zryd aus Adelboden.