Abo Mitarbeitende Landwirtschaftliche Angestellte sollen mehr Lohn für weniger Arbeit erhalten Sunday, 20. March 2022 Die zwei Bäuerinnen und Berner Grossrätinnen Regina Fuhrer und Christine Bühler haben die Motion, welche bessere Arbeitsbedingungen für landwirtschaftliche Angestellte im Kanton Bern fordert,  miteingereicht. Im Interview mit der BauernZeitung sprechen sie über ihre Beweggründe.

Warum braucht es aus Ihrer Sicht diese Motion?

Regina Fuhrer: Die Landwirtschaft fordert richtigerweise faire Preise für die Lebensmittel. Faire Preise beinhalten aber auch faire Arbeitsbedingungen. Die Schweizer Landwirtschaft muss nachhaltiger werden. Zur Nachhaltigkeit gehören die drei Dimensionen Ökologie, Ökonomie und Soziales. Die Motion fordert eine Verbesserung im sozialen Aspekt, also eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen für landwirtschaftliche Mitarbeitende. [IMG 2]

Christine Bühler: Die Landwirtschaft ist auf ein positives Image in der Öffentlichkeit angewiesen. Landwirtschaftliche Organisationen arbeiten mit viel Aufwand und sehr erfolgreich daran. Positiv wirkt sich ein Image aber erst aus, wenn es im Hintergrund wirklich glaubwürdig ist. Den nur schöne Worte und von Zeit zu Zeit eine negative Berichterstattung über schwierige Arbeitsverhältnisse, untergraben die Glaubwürdigkeit des Bauernstandes schnell. Die Landwirtschaft hat branchenspezifische Ansprüche an die Abmachungen mit ihren Mitarbeitenden wie andere Branchen auch, das wird nicht in Frage gestellt. Die Landwirtschaft ist Teil der Wirtschaft und kein armseliger Sonderfall. Arbeitskosten werden überall im Preis einkalkuliert. Die Arbeit von Landwirt(innen) und ihren Mitarbeitenden hat ihren Wert. Aber nur, wenn wir ihn nicht noch selber klein reden. [IMG 3]

Besteht nicht die Gefahr, dass sich viele Betriebe bei der Annahme dieser Motion keine Angestellten mehr leisten können oder nicht bereit sind, deren Wochenarbeitszeit zu senken?

Fuhrer: Die Motion trägt zur Grundsatzdebatte über die Preisstruktur, über das Preisgefüge von unseren Lebensmitteln bei. Billig, billiger ist immer auf Kosten der Menschen und der Natur. Aus dieser Spirale müssen wir herauskommen. Der Preisdruck und die Margenpolitik dürfen nicht nach unten weitergegeben werden. Der Anspruch für die Preisbildung der Lebensmittel und deren Wertschätzung ist, dass es faire und gute Arbeitsbedingungen für alle ermöglicht.

Bühler: Die grosse Mehrheit der landwirtschaftlichen Familienbetrieben im Kanton Bern beschäftigt dank der Mechanisierung und der Automatisierung in der Regel keine familienfremden  Angestellten, ausser allenfalls Aushilfen im Stundenlohn. Bei einer ehrlichen Beurteilung stellen wir fest, dass  qualifizierte Angestellte, selbst mit den vorgeschlagenen Verbesserungen, aus anderen Branchen viel bessere Angebote erhalten. Der Landwirtschaft geht damit ein grosses Potenzial verloren. Das Arbeitsrecht ist für die gesamte Wirtschaft verbindlich.

Zu den fünf Mitunterzeichnenden gehören mit Ihnen auch zwei Bäuerinnen. Viele Landwirtinnen und Landwirte haben das Gefühl, dass sie mit dieser Motion gegen den eigenen Berufsstand schies­sen. Was sagen Sie zu diesen Vorwürfen?

Fuhrer: Ich bin überzeugt, dass es auch zu diesem Thema innerhalb der Landwirtschaft unterschiedliche Meinungen gibt. Im Kanton St. Gallen wurde der Normalarbeitsvertrag für die Landwirtschaft vom Bauernverband in Zusammenarbeit mit der Arbeitsgemeinschaft Berufsverbände landwirtschaftlicher Angestellter überarbeitet. Seit 2021 gilt der neue Normalarbeitsvertrag, in diesem ist die Wochenarbeitsstunden auf 49,5 Stunden pro Woche festgelegt. Was im Kanton St. Gallen geht, sollte eigentlich auch im Kanton Bern möglich sein.

Bühler: Das Thema wurde noch nicht öffentlich diskutiert. Mein ganzes Leben habe ich mit viel Freude in und für die Landwirtschaft gearbeitet. Eine wichtige Erfahrung ist, dass nicht nur die Anzahl sondern auch die Qualität der geleisteten Arbeitsstunden für den Betriebserfolg ausschlaggebend ist. Das gilt für Betriebsleiter als auch für Mitarbeitende. Sich proaktiv mit gesellschaftlichen Veränderungen auseinanderzusetzen, kann je nach persönlicher Einstellung als «Angriff» oder aber als Vorausschauend gewertet werden.