Was in den Kantonen St. Gallen und Genf schon üblich ist, soll jetzt auch im Kanton Bern Einzug halten: Die Arbeitszeit für landwirtschaftliche Angestellte soll runter, der Mindestlohn rauf. Geht es nach einer Motion von fünf Ratsmitgliedern des Berner Grossen Rats, müsse der Normalarbeitsvertrag (NAV) für die Landwirtschaft überarbeitet werden. Miteingereicht haben die Motion neben Natalie Imboden (Grüne), Dominique Bühler (Grüne), Hannes Zaugg-Graf (glp), auch die zwei Bäuerinnen und Grossrätinnen Christine Bühler (Die Mitte) und Regina Fuhrer-Wyss (SP). Ihre Beweggründe erläutern sie hier. Die Motion wird entweder in der Sommersession oder in der Herbstsession im Grossen Rat beraten.
Mindestlohn von 4000 Franken
Beim Normalarbeitsvertrag für die Landwirtschaft sollen laut Motion folgende Punkte angepasst werden:
- Senkung der Arbeitsstunden: In einem ersten Schritt auf 49,5 Stunden/Woche im Jahresdurchschnitt, mit dem Ziel der Einführung der 45-Stunden-Woche mit Begrenzung der Überstunden.
- Einführung eines verbindlichen Mindestlohns von brutto 4000 Franken pro Monat.
- Der Berner Regierungsrat soll sich für die Unterstellung der Landarbeit unter das Arbeitsgesetz (ArG) einsetzen.
- Faire Bedingungen
Aus Sicht von Regina Fuhrer braucht es diese Motion: «Die Landwirtschaft fordert richtigerweise faire Preise für die Lebensmittel. Faire Preise beinhalten aber auch faire Arbeitsbedingungen», sagt sie. Christine Bühler ist hier der Meinung, dass die Arbeit der Landwirtschaft und ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ihren Wert habe. «Aber nur, wenn wir ihn nicht selber klein reden», so Bühler.
Die Motion kommt überraschend
Anderer Meinung ist hier der Landwirt und SVP-Grossrat Markus Aebi (Präsident der Schweizer Agrarmedien AG): «Der Vorstoss ist für mich als Arbeitgeber überraschend», sagt er auf Anfrage. So werden die Löhne und die Arbeitsbedingungen doch unter den Sozialpartnern ausgehandelt. «In der Landwirtschaft haben wir saisonal unterschiedlich lange Arbeitszeiten, darum rechnen wir in der Landwirtschaft auch mit Jahresarbeitszeiten, was sicher Sinn macht», hält er fest.
Abbau von Arbeitsplätzen wird befürchtet
Die Mindestlöhne seien bei den neu in der Landwirtschaft tätigen Saisonniers und Hilfskräften ein Thema. Hier spiele aber der Arbeitsmarkt: Wer nicht marktfähige Löhne zahle, finde heute in der Landwirtschaft keine Mitarbeitende mehr. «Die Reduktion der Arbeitszeit auf 48 Stunden würde zu einem weiteren starken Abbau von Arbeitsplätzen in der Landwirtschaft führen», ist Aebi überzeugt. Befremdend für ihn sei zudem, dass Bäuerinnen den Vorstoss unterstützen. «Die wegfallende Arbeitszeit wird zwangsläufig familienintern kompensiert werden müssen und somit auch in deren Hände fallen», ist er überzeugt.
Der Berner Bauernverband ist dagegen
Auch der Berner Bauernverband (BEBV) hat wenig Freude an der Motion. «Wir sind enttäuscht, dass die Motionärinnen und Motionäre nicht vorgängig das Gespräch mit uns gesucht haben», sagt deren Geschäftsführerin Karin Oesch. Hier bestehe doch Aufklärungsbedarf. «Der BEBV nimmt regelmässig an den Sozialpartnergesprächen mit der Wirtschafts-, Energie- und Umweltdirektion sowie den Gewerkschaften teil. Weiter führen wir Arbeitgeber- bzw. Arbeitnehmerdialoge durch», hält Oesch fest. Das Thema sei dem BEBV somit vertraut. «Wir sind nach wie vor der Meinung, dass wir vor allem in der Berufsbildung auf die Jahresarbeitszeit von 2750 Stunden angewiesen sind – wir sprechen hier nicht nur von Arbeitszeit, vielmehr von Ausbildungszeit», sagt die Geschäftsführerin klar und deutlich.
Aufklärungsarbeit wird geleistet
Der Berner Bauernverband will der Motion aber nicht tatenlos zusehen und hat diesbezüglich schon die ersten Schritte eingeleitet. «Wir haben bereits mit zwei Motionärinnen das Gespräch gesucht und unsere Sichtweise dargelegt. Selbstverständlich werden wir im Berner Parlament Aufklärungsarbeit leisten», sagt Karin Oesch.
Andere Kantone haben andere Voraussetzungen
Den Vorwurf, dass die Kantone St. Gallen und Genf die Arbeitszeit der landwirtschaftlichen Angestellten auf 45 respektive auf 49,5 Stunden pro Woche gesenkt haben und der Kanton Bern diesbezüglich nachhinke, lässt Oesch nicht gelten. «Das Mengengerüst und die Vielfältigkeit der Berner Landwirtschaft ist nicht mit Genf oder St. Gallen zu vergleichen. Ausserdem stellt sich nicht unbedingt die Frage der Möglichkeit, sondern ob diese Massnahme zielführend ist», so die Geschäftsführerin.
Das Know-how wird entlohnt
Für den Berner Bauernverband sei klar, dass nicht jeder Betrieb den Mindestlohn für landwirtschaftliche Angestellte einfach so auf 4000 Franken im Monat anheben könne. Die Richtlöhne in der Landwirtschaft seien zurecht in verschiedene Lohnklassen aufgeteilt.
«Das gut ausgebildete und erfahrene Mitarbeitende einen deutlich höheren Lohn verdienen, ist durch ihre selbstständige Arbeitsweise begründet», hält Karin Oesch fest. Arbeitskräfte mit wenig Know-how, keiner Erfahrung oder fehlenden Sprachkenntnissen seien aber auf viel Unterstützung angewiesen. «Die höheren Löhne können dann teilweise nicht mehr bezahlt werden», sagt sie. Die Mehrarbeit müssen dann die Bauernfamilien leisten, was sozial nicht vertretbar sei.
