Zwei von fünf Ehen in der Schweiz werden geschieden. Genaue Zahlen aus der Landwirtschaft sind nicht bekannt, allerdings ist Scheiden auch in unserer Branche salonfähig geworden. Aber wie trennt man sich eigentlich richtig, gerade, wenn Kinder involviert sind?
Beziehungsexpertin Martina Rissi hat Antworten auf die brennendsten Fragen.
Wann sollte man sich trennen und nicht länger an einer Beziehung festhalten?
Martina Rissi: Meiner Meinung nach sollte man sich trennen, wenn man nicht mehr die gleichen Werte teilt oder innerhalb der Beziehung nicht mehr die gleichen Ziele hat. Wenn man keine Beziehungsform mehr findet, die beide glücklich macht, sei es monogam, offen oder polyamor. Oder wenn das Zusammensein die meiste Zeit nicht mehr befruchtend ist und beiden Partnern Energie raubt, statt sie zu schenken. Manchmal wartet man, gerade mit Kindern, so lange mit einer Trennung, bis der Körper regelrecht beginnt, den anderen abzustossen. Das heisst, wenn die oder der andere nach Hause kommt, zieht sich zum Beispiel alles in einem zusammen. Wie bei diesen kleinen Spielzeug-Zügli aus den Achtzigerjahren, die sich gegenseitig magnetisch angezogen oder abgestossen haben. Man sollte sich trennen, wenn man sich gegenseitig an der persönlichen Weiterentwicklung hindert oder nur noch aus Angst zusammen ist – und das sind wahnsinnig viele Menschen. Sie haben Angst vor dem Alleinsein, Angst, was «die anderen» sagen, Angst, «was tun wir den Kindern an» und so weiter.
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Wenn der Entscheid erst mal gefallen ist, wie trennt man sich «stilvoll», wie sollte ein Trennungsgespräch ablaufen?
Im Idealfall kommt die Trennung nicht aus dem Nichts und es haben bereits Gespräche stattgefunden. Auch wenn mir das viele nicht glauben, aber man ist meist gleich glücklich oder unglücklich in einer Beziehung. Vielleicht hat einer mehr Verlustangst als der andere und behauptet, «aber ich liebe dich», aber ich erlebe es in meinem Beratungsalltag nie, dass der eine total glücklich und der andere total unglücklich ist. Mit dem Sex ist es ähnlich. Es hat nicht einer Bombensex und der andere findet ihn mies. Das ist wie ein Tanz. Bezüglich Trennungsgespräch: Sicher macht man das persönlich und nicht per SMS usw. und versucht einen guten Rahmen zu schaffen. Vielleicht geht man zu zweit in die Natur und schaut, dass man nicht gleich danach abrennen muss, sondern dass Zeit bleibt und Tränen und Gefühle Platz haben dürfen. Idealerweise bleibt man bei sich, bedankt sich für das Schöne, erklärt seine Gefühle in Ich-Botschaften und macht keine Vorwürfe. In der gewaltfreien Kommunikation findet man viele Tools, wie so ein Gespräch ablaufen könnte.
Zur Person: Martina Rissi
Die Beziehungsexpertin berät Singles und Paare in ihrer eigenen Praxis «Liebesagentur» in Zürich.
Was ist in der ersten Zeit nach der Trennung für die Kinder wichtig?
Es ist wichtig, dass es zwischen den Eltern ruhig ist (womöglich ruhiger als vorher) und möglichst emotional entspannt. Es braucht Raum, um sich altersgerecht um Fragen und Ängste der Kinder zu kümmern, gerade vor dem Schlafengehen. Man sollte genug Nerven und Stabilität haben, um die Kinder in diesem Prozess zu begleiten. Oft war die Situation für die Kinder vor der Trennung belastender und danach kehrt Entspannung ein. In Familien, in denen das Thema sehr unter den Teppich gekehrt wurde, kann der Schock für das Kind dennoch gross sein. Je mehr Dinge noch ungeklärt sind oder Probleme bestehen, wer dann bei wem wohnt usw., zu mehr Ängsten kann es bei den Kindern kommen. Umso mehr brauchen sie dann Stabilität und liebevolle Zuwendung der Eltern.
Wie informiert man Kinder über die Trennung?
Auch hier sind viel Zeit und Raum wichtig. Dass man ein solches Gespräch in Ruhe zu Hause am Familientisch führt und nicht irgendwo draussen, dass nicht eine Partei gleich wieder losrasen muss zur Arbeit oder zu einem Hobby. Ich bringe immer dieses Bild: Zwischen allen Familienmitgliedern ist ein Faden gespannt, der Beziehungsfaden, von Vater zu Tochter, Mutter zu Sohn, zwischen den Kindern usw. Bei den Eltern gibts zum Elternfaden zusätzlich noch einen Liebesfaden. Wichtig ist, den Kindern zu vermitteln, dass der Liebesfaden zwischen Mama und Papa durchtrennt sein kann, nie aber der Elternfaden. Die Botschaft «Wir bleiben eine Familie» ist essenziell. Und für die Kinder ist auch wichtig, zu erfahren, dass sie keinerlei Schuld an der Trennung tragen. Denn jedes Kind in jedem Alter, ob bewusst oder unbewusst, wird sich fragen, ob es etwas hätte anders machen sollen. Kinder haben immer das Gefühl, sie trügen eine Mitschuld, und es ist ganz wichtig, sie davon freizusprechen.
Wie viel sollten Kinder über Trennungsgründe erfahren?
Die Gründe, warum man sich getrennt hat, gehen die Kinder nichts an. Alles, was auf der Paarebene oder der intimen Ebene ist, sollte bei den Eltern bleiben. Die Kinder sollten nichts erfahren, das sie Position beziehen lässt. Es ist ganz wichtig, den Frust über den anderen nicht bei den Kindern abzuladen – bitte machen Sie das bei Freunden oder dem Therapeuten. Die Kinder werden diese Infos sonst innerlich aufnehmen und sich automatisch auf einer Seite positionieren. Die Botschaft, dass sich Kinder nie, aber wirklich nie, für Mami oder Papi entscheiden müssen, ist wahnsinnig wichtig. [IMG 3]
«Kinder manipulieren, ist ein No-Go.»
Martina Rissi über einen den grössten Fehler, den man machen kann.
Kann man verhindern, dass die Kinder unter der Trennung leiden, oder ist das gar nicht möglich?
Alle Kinder möchten zuerst einmal gerne, dass die Eltern zusammen sind. Aber: Sie merken auch, wenn die Eltern ihretwegen zusammenbleiben, sich halbwegs arrangieren, aber damit unglücklich sind. Ich habe sehr viele Klienten in der Praxis, die das so gemacht haben. Dann wird mehr Alkohol getrunken, mehr in den Ausgang gegangen und man betrügt sich. Alle Kinder in dieser Konstellation leiden. Sie merken unbewusst, dass die Eltern nicht mehr happy sind, und geben sich die Schuld daran. Das ist eine negative Prägung, die das spätere Bindungsverhalten als Erwachsene beeinträchtigen kann. Kinder leiden dann unter einer Trennung, wenn sie als Spielball benutzt werden und sich bewusst oder unbewusst für eine Seite entscheiden müssen. Die Kinder manipulieren oder absichtlich schlecht über den anderen reden – das sind deshalb No-Gos.
Was ist nach der Trennung weiter wichtig?
Natürlich braucht es Regeln, aber es ist wichtig, dass Kinder einen regelmässigen Zugang zum zweiten Elternteil haben (in vielen Fällen ist es der Vater). Sie brauchen Klarheit und Stabilität. Sie sollten auch das zweite neue Zuhause mitgestalten dürfen und dort einen Wohlfühlplatz haben. Entscheidend ist auch, dass die Eltern ihre eigenen Themen aufarbeiten, zum Beispiel therapeutisch, und die Kinder nicht benutzen, um eigene Bedürfnisse zu stillen, sondern ihnen genug Freiraum geben und auch das Loslassen üben.

