Der Milchviehstall auf dem Eichhof in Oberneunforn TG war komplett leergeräumt. Dennoch herrschte Betriebsamkeit. Zivilschützer in Schutzanzügen und Atemschutzmasken spritzten mit Hochdruckschläuchen sämtliche Oberflächen ab und schrubbten auch die letzten Reste Schmutz weg. Und nicht nur Dreck.
Jahrelange Vorbereitung
Ihr eigentliches Ziel waren die Viren der Maul- und Klauenseuche (MKS, siehe Kasten), denen es unter Anwendung von Desinfektionsmitteln an den Kragen gehen sollte – falls die MKS tatsächlich ausgebrochen wäre. Glücklicherweise handelte es sich beim Einsatz auf dem Eichhof nicht um den Ernstfall, sondern um eine interdisziplinäre Übung, welche das Thurgauer Veterinäramt kürzlich zusammen mit dem Zivilschutz über mehrere Tage durchführte.
Erstmals seit Langem ist die MKS in Europa wieder in Erscheinung getreten. Ein Fall trat im Januar auf einem Landwirtschaftsbetrieb in Deutschland auf, unabhängig davon folgten mehrere Ausbrüche in Ungarn und in der Slowakei. Die Schweiz erlebte 1980 den letzten Fall, seither ist sie amtlich anerkannt frei von MKS. Dass sich dies von heute auf morgen ändern könnte, war auch schon vor den jüngsten Ereignissen klar. Die Behörden wie auch die Landwirtschaft müssen jederzeit gewappnet sein.
Der Kanton Thurgau beispielsweise bereitet sich seit Jahren auf den Ernstfall vor. «Die MKS gilt unter den Veterinärdiensten als Worst-Case-Szenario», stellte Kantonstierärztin Astrid Hollberg an einer Medienorientierung am Rande der Übung fest. Komme es auf einem Betrieb zu einem Ausbruch, sei nicht nur der Betrieb «unter Quarantäne» zu stellen und zu desinfizieren, auch müssten sämtliche Rinder, Schafe, Ziegen und Schweine auf dem Hof gekeult und unschädlich entsorgt werden.
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Wirtschaftlicher Schaden
«Wäre man nicht so rigoros, könnte sich die Seuche im Nu ausbreiten und wäre nur schwer zu stoppen», so Astrid Hollberg weiter. Zwar sei das Virus nicht für alle infizierten Tiere tödlich, doch der wirtschaftliche Schaden landesweit wäre enorm. Dabei ist nicht nur an die Tierverluste, sondern auch an die Ausfälle bei der Milch- und Fleischproduktion, die Einschränkungen im Handel und die Auswirkungen auf nachgelagerte Branchen zu denken.
Da die Eindämmung der MKS besonders anspruchsvoll ist, braucht es zahlreiche Massnahmen, die minutiös aufeinander abgestimmt sind. Aus diesem Grund hat der Thurgau in den vergangenen Jahren zwei Tierseuchenzüge aufgebaut. Diese bestehen aus rund 50 Zivilschutzangehörigen. Gemeinsam üben sie regelmässig den Ernstfall, so wie vergangene Woche auf dem Eichhof in Oberneunforn. «Sobald ein Ausbruch gemeldet wird, haben sich die Teams innert Stunden auf den Einsatz vorzubereiten», sagte Yvo Rindlisbacher, Abteilungsleiter Zivilschutz, beim Rundgang auf dem Schauplatz. Dazu gehört etwa, alles benötigte Material herzuschaffen: Absperrmaterial, Schutzbekleidung, Tanks mit Desinfektionsmittel und Reinigungsgeräte, um ein paar wenige zu nennen. Auch die Zugänge zu Strom und Wasser müssen von aussen kommen. «Der Betrieb könnte die benötigten Mengen unter Umständen gar nicht zur Verfügung stellen», so Rindlisbacher.
Der Seuchenbetrieb wird in mehrere Zonen eingeteilt. Zone Rot, unmittelbar im Stallbereich, hat die höchste Sicherheitsstufe. «Sie darf nur in Schutzkleidung betreten werden», so Rindlisbacher. Nach einem Arbeitseinsatz, welcher am Stück nicht länger als eine bis zwei Stunden dauert, muss jedes Teammitglied duschen. Der Schutzanzug kommt in den Müll, der seinerseits nur unter strengen Vorkehrungen in die Verbrennung gebracht wird.
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Auch Fahrzeuge desinfiziert
Die Devise ist streng: Das Virus darf unter keinen Umständen nach draussen gelangen. Dazu gehört auch, dass Fahrzeuge das Areal nur über eine Desinfektionsschleuse verlassen dürfen. Rund um einen betroffenen Betrieb werden im Ernstfall eine Schutzzone (3-Kilometer-Radius) und eine Überwachungszone (10-Kilometer-Radius) gezogen. In diesen Zonen ist der Tier-, Waren- und Personenverkehr zur Verhinderung der Seuchenverschleppung eingeschränkt. Erst wenn nach einer bestimmten Zeit keine weiteren MKS-Fälle aufgetreten sind, gibt es Entwarnung. In Deutschland war dies Mitte April der Fall, rund drei Monate nach dem Ausbruch.
Nach der mehrtägigen Seuchenübung, an der rund 50 Personen mitgewirkt haben, äusserten sich die Thurgauer Verantwortlichen zufrieden: «Es hat sich gezeigt, dass wir gut auf einen möglichen Ausbruch vorbereitet sind», bilanzierte Astrid Hollberg. Im Ernstfall wäre es eine der ersten Massnahmen gewesen, die Tiere von Fachpersonen töten zu lassen und sie in eine regionale Kadaververbrennungsanlage zu bringen.
Landwirt Andreas Hofer, Gastgeber der Seuchenübung, konnte seine rund 60 Milchkühe und etwa ebenso viele Aufzucht- und Masttiere wieder von der Weide in den Stall holen, der nun kurzfristig ausserordentlich sauber war.
Hochansteckende Viruserkrankung
Bei der Maul- und Klauenseuche (MKS) handelt es sich um eine hochansteckende Viruserkrankung, die Klauentiere wie Rinder, Schafe, Ziegen und Schweine betrifft. Für den Menschen ist sie ungefährlich. Typischerweise tritt hohes Fieber auf, und es bilden sich Bläschen im Bereich des Mauls, der Maulschleimhaut, den Klauen und der Zitzen. Zudem geht die Milchproduktion zurück. Die Krankheitssymptome zeigen sich beim Rindvieh oft ausgeprägter als bei Schafen, Ziegen und Schweinen. Bei Jungtieren ist eine hohe Sterblichkeit zu verzeichnen. Die Erkrankung ist hoch ansteckend: Sie wird nicht nur durch den direkten Tierkontakt und indirekt via kontaminierte Gerätschaften übertragen, das Virus kann sich auch über die Luft und damit über weite Distanzen verbreiten. Dazu kommt, dass das Virus sehr widerstandsfähig ist. Es kann auch in ungenügend erhitzten Lebensmitteln (z. B. Milch- und Fleischprodukten) überleben.
