Empfindung, Haltung, bei der jemand einem anderen dessen Besitz oder Erfolg nicht gönnt und selbst haben möchte.» So definiert der Duden Neid. Wer Emmi-CEO Urs Riedener sein Gehalt von 1,48 Millionen Franken nicht gönnt, ist demnach neidisch. Wer Bundesrat Guy Parmelin seinen Sold von 450 00 Franken nicht gönnt, ist neidisch. Wer seinem Kollegen auf der anderen Seite des Dorfes den neuen Stall nicht gönnt und lieber selbst dort wohnen möchte, ist neidisch. Wer zusehen muss, wie nicht die eigene Kuh, sondern jene vom Nachbar, der nicht Landwirt ist, auf dem ersten Platz rangiert, ist – Sie ahnen es schon – neidisch.

Aber warum ist das so?
Warum gehört es gerade bei Landwirten zum guten Ton, neidisch zu sein?

Helmut Schoeck hat 1966 in seinem Buch «Der Neid und die Gesellschaft» dargelegt, dass Neid die Menschen schon immer begleitet hat. Und zwar ab dem Augenblick, wo der direkte Vergleich möglich wurde. Das dürfte bei der Körperlänge angefangen haben, und hört heute bei den Löhnen, der Traktorengrösse und bei den Milchleistungen der Kühe auf. Wer vergleichen kann, kann auch neidisch werden.

Der Neid hilft, dass die soziale Kontrolle funktioniert. Der Neid hält gewissermassen die Gier im Zaum. Und der Neid sorgt dafür, dass es so etwas wie Gerechtigkeit gibt; man muss nämlich schon sehr neidisch sein, um einen
Gerichtsfall durchzustehen oder einen Streit um Grund-besitz vom Zaun zu brechen. Neid hat aber noch einen anderen Vorteil: er lässt sich gut kontrollieren: Der Wir-gegen-sie-Reflex funktioniert in der Politik, im Krieg und in den Geschichten, die wir uns erzählen: Die armen Bürger gegen die reichen Banker, die armen Bauern gegen den reichen Staat. Die reichen Bauern gegen die arme Umwelt. Oder die reichen Bauern gegen ihre armen Kollegen. Oder die armen Bauern gegen den reichen und mächtigen Detailhandel.

Wer als Milchproduzent auf den Lohn von Urs Riedener neidisch ist, und diesen Neid zusammen mit ein paar Kollegen an einer Viehausstellung diskutiert, weiss, wo er dazugehört. Und er weiss auch, wo er nicht dazugehört – nämlich zur Emmi-Geschäftsleitung. Wenn eine Politikerin die Privilegien der Landwirte zur Diskussion stellen will, weil sie neidisch ist, dann wissen ihre Wählerinnen und Wähler, für was «ihre» Politikerin steht – nicht «für» die Landwirtschaft. Kein Wunder, setzten Politiker gerne auf die Neid-Karte und erklären, wie falsch doch die Position des anderen ist. Dabei sind sie insgeheim nur neidisch darauf, dass man auch mit etwas mehr Zurückhaltung und Stil Geschäfte durch das Parlament bringen kann. Selbst aus journalistischer Sicht ist es einfacher, über das Bauernsterben zu schreiben, als darüber, wie gut es auf einem Betrieb läuft. Die Gesellschaft hat sich daran gewöhnt, dass es der Landwirtschaft schlecht geht. Es ist einfacher, irgend eine mittelmässige Geschichte über einen beliebigen Landwirt zu machen, als eine Geschichte über Landwirt, Viehhändler und Viehzüchter Robert Hess aus Dürnten ZH, der De Laval vor Gericht zog, weil sein Melkstand nicht so funktionierte, wie er sollte.

Dass dabei  der Neid unter den Landwirten oft grösser ist, als der Futterneid zweier Pferde, die nebeneinander auf der Koppel weiden, hat durchaus strukturelle Gründe. Mit der Einführung der Milchkontingentierung 1977 und deren Abschaffung im Jahr 2009 hat der Bund zum Beispiel gleich zwei Gelegenheiten für Neid geschaffen: wer nämlich als Masshalter im Sinne von Branche und Allgemeinheit handelte, wurde von den Turbomelkern überholt. Letztere kommen jetzt über die Runden, erstere gibt es (bald) nicht mehr. Es braucht schon viel Langmut – um nicht zu sagen Gleichgültigkeit – um das einfach so hinzunehmen. Die Geschichte schlägt sich interessanterweise auf die politische Diskussion nieder: Im Falle der Milchwirtschaft darf es nämlich keinen Milchproduzenten geben, der gut verdient. Politisch muss der Milchpreis immer zu tief sein. Dass es heute Landwirte gibt, die von sich sagen, dass sie mit 45 Rappen pro Kilo Milch kostendeckend (!) produzieren können, wird dabei gerne unter den Tisch gekehrt.

Es wäre die falsche Antwort, die Daten und Zahlen nicht mehr zu erfassen, nur um dem Neid zu entgehen. Es wäre falsch, in der Politik auf die Neid-Karte zu verzichten. Sie sorgt nämlich gerade jetzt dafür, dass sich die Initianten der Pestizid-Initiative und jene der Trinkwasser-Initiative selbst zerfleischen. Und sie sorgt auch dafür, dass alle wenigstens ein bisschen Anständig bleiben. Es lohnt sich trotzdem nicht, sich vom Neid zerfressen zu lassen. Denn er gibt auch Ansporn, Dinge besser zu machen. Und davon profitieren alle, selbst der oder die Beneidete. Denn wer sich den Neid verdient hat, der führt in der Regel ein einsames Leben.